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Die Grenzboten. Jg. 42, 1883, Zweites Quartal.

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Die ungarische Sprache.

Sprachforscher vieles interessante haben. Die türkische Sprache vor allen ist
so regelmäßig gebaut, daß man von ihr gesagt hat, eine Kunstsprache könnte,
wenn sie von einer eigens zu diesem Behufe zusammengetretenen Gesellschaft
von sprachgelehrten erfunden werden sollte, kaum regelmäßiger als jene aus¬
fallen. Es ist aber nicht außer Acht zu lasse", daß viele Züge, die wir am
Ungarischen hervorheben werden, demselben mit seinen Vettern gemeinsam sind;
wir werden darauf nicht ausdrücklich hinweisen, da ja lediglich eine Betrachtung
der Sprache der Magyaren der Zweck dieses Aufsatzes ist.

1. Laut- und Flexionseigentümlichkeiten.

Jedes ungarische Wort, sei es auch noch so lang, hat den Haupttor auf
der ersten Silbe. Bei gleichwertigen Zusammensetzungen hat der zweite oder haben
die folgenden Teile selbstverständlich wieder auf der ersten Silbe einen Neben¬
ton. Die Leichtigkeit in der Bildung von Zusammensetzungen ist dieselbe wie
im Deutschen.

Die Vokale sind, wie in den alten Sprachen, von Natur entweder lang
oder kurz. Die Naturlänge wird mit dem Akut (') bezeichnet. Daneben tritt, bei
mehreren folgenden Konsonanten, zu denen auch das it gerechnet wird, Positions¬
länge ein. Das Ungarische kann deshalb nach Weise der klassischen Sprachen
genau quantitirende Verse bauen, ist also sehr geschickt in Nachahmung der
alten Meeren. Trotzdem wendet die Poesie gewöhnlich nach moderner Art
qnantitätslose, gereimte Verse an.

Viel merkwürdiger ist aber eine andre Einteilung der Vokale, die in hoch-
und tieftonige. Die erstem sind 6, ü, L, ü und ü, die letzteren s. ä,, o, 6, u
und ri. Drei. 6, i, i, können zu beiden Klassen gerechnet werden. Die Sprache
hält streng darauf, daß sich innerhalb desselben Wortes nur Vokale ein und
derselben Klasse finden; sämtliche für die Abwandlung der Wörter bestimmten
Anhängesilben sind deshalb in doppelter, in hoher und tiefer Form vorhanden.
Daher ist eine Vokalznsammcnstellung, wie wir sie z. B. in Bewegung haben,
im Ungarischen unmöglich.

Ein Geschlecht der Hauptwörter giebt es nicht. Dieses Prinzip reicht im
Ungarischen viel weiter als z. B. im Englischen. So hat man für er und
sie nur ein Wort, L; der Zusammenhang muß die richtige Deutung ergeben.

Die Flexion der wandelbaren Wörter, also Deklination, Komparation und
Konjugation, erfolgt, wie bei uns, durch Anhängung gewisser Buchstaben oder
Silben, wie es denn überhaupt ein wichtiges Gesetz des Ungarischen ist, daß
das bestimmende Wort dem bestimmten nachgesetzt wird. Während nun aber
diese Silben in den indoeuropäischen Sprachen, welche sämtlich der amal-
gamirenden, d. h. verschmelzenden Sprachenklasse angehören, mit den abzu¬
wandelnden Wörtern so verwachsen, daß man die Fugen mit ungeübtem Auge
nicht mehr erkennen kann, tritt die Endung in den terminationalen Sprachen,


G'-enzbow, II. 138S. S
Die ungarische Sprache.

Sprachforscher vieles interessante haben. Die türkische Sprache vor allen ist
so regelmäßig gebaut, daß man von ihr gesagt hat, eine Kunstsprache könnte,
wenn sie von einer eigens zu diesem Behufe zusammengetretenen Gesellschaft
von sprachgelehrten erfunden werden sollte, kaum regelmäßiger als jene aus¬
fallen. Es ist aber nicht außer Acht zu lasse», daß viele Züge, die wir am
Ungarischen hervorheben werden, demselben mit seinen Vettern gemeinsam sind;
wir werden darauf nicht ausdrücklich hinweisen, da ja lediglich eine Betrachtung
der Sprache der Magyaren der Zweck dieses Aufsatzes ist.

1. Laut- und Flexionseigentümlichkeiten.

Jedes ungarische Wort, sei es auch noch so lang, hat den Haupttor auf
der ersten Silbe. Bei gleichwertigen Zusammensetzungen hat der zweite oder haben
die folgenden Teile selbstverständlich wieder auf der ersten Silbe einen Neben¬
ton. Die Leichtigkeit in der Bildung von Zusammensetzungen ist dieselbe wie
im Deutschen.

Die Vokale sind, wie in den alten Sprachen, von Natur entweder lang
oder kurz. Die Naturlänge wird mit dem Akut (') bezeichnet. Daneben tritt, bei
mehreren folgenden Konsonanten, zu denen auch das it gerechnet wird, Positions¬
länge ein. Das Ungarische kann deshalb nach Weise der klassischen Sprachen
genau quantitirende Verse bauen, ist also sehr geschickt in Nachahmung der
alten Meeren. Trotzdem wendet die Poesie gewöhnlich nach moderner Art
qnantitätslose, gereimte Verse an.

Viel merkwürdiger ist aber eine andre Einteilung der Vokale, die in hoch-
und tieftonige. Die erstem sind 6, ü, L, ü und ü, die letzteren s. ä,, o, 6, u
und ri. Drei. 6, i, i, können zu beiden Klassen gerechnet werden. Die Sprache
hält streng darauf, daß sich innerhalb desselben Wortes nur Vokale ein und
derselben Klasse finden; sämtliche für die Abwandlung der Wörter bestimmten
Anhängesilben sind deshalb in doppelter, in hoher und tiefer Form vorhanden.
Daher ist eine Vokalznsammcnstellung, wie wir sie z. B. in Bewegung haben,
im Ungarischen unmöglich.

Ein Geschlecht der Hauptwörter giebt es nicht. Dieses Prinzip reicht im
Ungarischen viel weiter als z. B. im Englischen. So hat man für er und
sie nur ein Wort, L; der Zusammenhang muß die richtige Deutung ergeben.

Die Flexion der wandelbaren Wörter, also Deklination, Komparation und
Konjugation, erfolgt, wie bei uns, durch Anhängung gewisser Buchstaben oder
Silben, wie es denn überhaupt ein wichtiges Gesetz des Ungarischen ist, daß
das bestimmende Wort dem bestimmten nachgesetzt wird. Während nun aber
diese Silben in den indoeuropäischen Sprachen, welche sämtlich der amal-
gamirenden, d. h. verschmelzenden Sprachenklasse angehören, mit den abzu¬
wandelnden Wörtern so verwachsen, daß man die Fugen mit ungeübtem Auge
nicht mehr erkennen kann, tritt die Endung in den terminationalen Sprachen,


G'-enzbow, II. 138S. S
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[0073] Die ungarische Sprache. Sprachforscher vieles interessante haben. Die türkische Sprache vor allen ist so regelmäßig gebaut, daß man von ihr gesagt hat, eine Kunstsprache könnte, wenn sie von einer eigens zu diesem Behufe zusammengetretenen Gesellschaft von sprachgelehrten erfunden werden sollte, kaum regelmäßiger als jene aus¬ fallen. Es ist aber nicht außer Acht zu lasse», daß viele Züge, die wir am Ungarischen hervorheben werden, demselben mit seinen Vettern gemeinsam sind; wir werden darauf nicht ausdrücklich hinweisen, da ja lediglich eine Betrachtung der Sprache der Magyaren der Zweck dieses Aufsatzes ist. 1. Laut- und Flexionseigentümlichkeiten. Jedes ungarische Wort, sei es auch noch so lang, hat den Haupttor auf der ersten Silbe. Bei gleichwertigen Zusammensetzungen hat der zweite oder haben die folgenden Teile selbstverständlich wieder auf der ersten Silbe einen Neben¬ ton. Die Leichtigkeit in der Bildung von Zusammensetzungen ist dieselbe wie im Deutschen. Die Vokale sind, wie in den alten Sprachen, von Natur entweder lang oder kurz. Die Naturlänge wird mit dem Akut (') bezeichnet. Daneben tritt, bei mehreren folgenden Konsonanten, zu denen auch das it gerechnet wird, Positions¬ länge ein. Das Ungarische kann deshalb nach Weise der klassischen Sprachen genau quantitirende Verse bauen, ist also sehr geschickt in Nachahmung der alten Meeren. Trotzdem wendet die Poesie gewöhnlich nach moderner Art qnantitätslose, gereimte Verse an. Viel merkwürdiger ist aber eine andre Einteilung der Vokale, die in hoch- und tieftonige. Die erstem sind 6, ü, L, ü und ü, die letzteren s. ä,, o, 6, u und ri. Drei. 6, i, i, können zu beiden Klassen gerechnet werden. Die Sprache hält streng darauf, daß sich innerhalb desselben Wortes nur Vokale ein und derselben Klasse finden; sämtliche für die Abwandlung der Wörter bestimmten Anhängesilben sind deshalb in doppelter, in hoher und tiefer Form vorhanden. Daher ist eine Vokalznsammcnstellung, wie wir sie z. B. in Bewegung haben, im Ungarischen unmöglich. Ein Geschlecht der Hauptwörter giebt es nicht. Dieses Prinzip reicht im Ungarischen viel weiter als z. B. im Englischen. So hat man für er und sie nur ein Wort, L; der Zusammenhang muß die richtige Deutung ergeben. Die Flexion der wandelbaren Wörter, also Deklination, Komparation und Konjugation, erfolgt, wie bei uns, durch Anhängung gewisser Buchstaben oder Silben, wie es denn überhaupt ein wichtiges Gesetz des Ungarischen ist, daß das bestimmende Wort dem bestimmten nachgesetzt wird. Während nun aber diese Silben in den indoeuropäischen Sprachen, welche sämtlich der amal- gamirenden, d. h. verschmelzenden Sprachenklasse angehören, mit den abzu¬ wandelnden Wörtern so verwachsen, daß man die Fugen mit ungeübtem Auge nicht mehr erkennen kann, tritt die Endung in den terminationalen Sprachen, G'-enzbow, II. 138S. S

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 42, 1883, Zweites Quartal, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341837_152756/73>, abgerufen am 29.06.2024.