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Die Grenzboten. Jg. 42, 1883, Zweites Quartal.

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Die Grafen von Altenschroerdt.
August Niemann Roman von(Gotha).
(Fortsetzung.)

aron Sextus ließ vor seinen Augen Dorotheens Schimmel und
seinen Goldfuchs satteln, gab den Reitknechten noch einige ge¬
wichtige Andeutungen über das Wesen der Kinnkette und die Art
und Weise, wie sie eingehakt werden müsse, schwang sich mit einer
Gelenkigkeit in den Sattel, die er fast allein für diese Übung noch
bewahrt hatte, und ritt vor die Thür, um Dorothea zu erwarten.
Sie kam gleich darauf, die Schleppe über dem Arm, die Treppe herab, und
indem sie auf der untersten Stufe stehen blieb, um von hier aufzusteigen, und
mit prüfendem Auge ihr Pferd betrachtete, dachte Baron Sextus mit einem
nur innerlich gesprochenen Soldatenfluch, sie sei eine prachtvolle Erscheinung, und
die Vorsehung dürfe nun und nimmer zulassen, daß ihr die Erbschaft von Eich¬
hausen entgehe.

Auf dem Wege zum Erlenbruch, den sie in schlankem Trabe zurücklegten,
ward nur sehr wenig gesprochen, dort aber ritten sie im Schritt an der in Frage
stehenden Stelle auf und ab, und nachdem Dorothea ihre Gedanken entwickelt
hatte, sagte der Baron: Das sind ganz hübsche Ideen, mein liebes Kind, aber
es kommt mir doch so vor, als wolltest du etwa mit deinem Fingerhut an¬
fangen, das Meer da drüben auszuschöpfen. Denn der Grund des jetzigen
Elends ist ein ganz allgemeiner, der nicht nur hier auf unsrer Herrschaft, son¬
dern überall im Kreise, überall in der Provinz, überall in der Monarchie und
eigentlich überall in der Welt herrscht, nämlich kein andrer als die Revolution,
die Schrankenlosigkeit infolge der Aufhebung alter guter Staatseinrichtungen.
Seitdem man den Bestand des Adels erschüttert hat, find die Grundvesten der
Gesetzmäßigkeit, der Ordnung, und damit auch des Wohlstandes der ländlichen
Bevölkerung ins Wanken gekommen, und der Einzelne kann daran schwerlich
etwas bessern. Wir haben ja fast keinen Einfluß mehr auf die Leute. Wie
können wir etwas zur Verbesserung ihrer Lage thun, wo wir sie doch nicht
mehr zum Guten zwingen können, und wo sie, von demokratischen Ideen an¬
gesteckt, jede beabsichtigte Fürsorge unsrerseits als eine unberechtigte Einmischung
beargwöhnen? Ich fürchte, daß die Leute, die du hier in einer Kolonie ver¬
einigen willst, wenn die Geschichte wirklich zustande kommt, sich einbilden werden,


Gronzboten II. 188IZ. 73


Die Grafen von Altenschroerdt.
August Niemann Roman von(Gotha).
(Fortsetzung.)

aron Sextus ließ vor seinen Augen Dorotheens Schimmel und
seinen Goldfuchs satteln, gab den Reitknechten noch einige ge¬
wichtige Andeutungen über das Wesen der Kinnkette und die Art
und Weise, wie sie eingehakt werden müsse, schwang sich mit einer
Gelenkigkeit in den Sattel, die er fast allein für diese Übung noch
bewahrt hatte, und ritt vor die Thür, um Dorothea zu erwarten.
Sie kam gleich darauf, die Schleppe über dem Arm, die Treppe herab, und
indem sie auf der untersten Stufe stehen blieb, um von hier aufzusteigen, und
mit prüfendem Auge ihr Pferd betrachtete, dachte Baron Sextus mit einem
nur innerlich gesprochenen Soldatenfluch, sie sei eine prachtvolle Erscheinung, und
die Vorsehung dürfe nun und nimmer zulassen, daß ihr die Erbschaft von Eich¬
hausen entgehe.

Auf dem Wege zum Erlenbruch, den sie in schlankem Trabe zurücklegten,
ward nur sehr wenig gesprochen, dort aber ritten sie im Schritt an der in Frage
stehenden Stelle auf und ab, und nachdem Dorothea ihre Gedanken entwickelt
hatte, sagte der Baron: Das sind ganz hübsche Ideen, mein liebes Kind, aber
es kommt mir doch so vor, als wolltest du etwa mit deinem Fingerhut an¬
fangen, das Meer da drüben auszuschöpfen. Denn der Grund des jetzigen
Elends ist ein ganz allgemeiner, der nicht nur hier auf unsrer Herrschaft, son¬
dern überall im Kreise, überall in der Provinz, überall in der Monarchie und
eigentlich überall in der Welt herrscht, nämlich kein andrer als die Revolution,
die Schrankenlosigkeit infolge der Aufhebung alter guter Staatseinrichtungen.
Seitdem man den Bestand des Adels erschüttert hat, find die Grundvesten der
Gesetzmäßigkeit, der Ordnung, und damit auch des Wohlstandes der ländlichen
Bevölkerung ins Wanken gekommen, und der Einzelne kann daran schwerlich
etwas bessern. Wir haben ja fast keinen Einfluß mehr auf die Leute. Wie
können wir etwas zur Verbesserung ihrer Lage thun, wo wir sie doch nicht
mehr zum Guten zwingen können, und wo sie, von demokratischen Ideen an¬
gesteckt, jede beabsichtigte Fürsorge unsrerseits als eine unberechtigte Einmischung
beargwöhnen? Ich fürchte, daß die Leute, die du hier in einer Kolonie ver¬
einigen willst, wenn die Geschichte wirklich zustande kommt, sich einbilden werden,


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[0625] [Abbildung] Die Grafen von Altenschroerdt. August Niemann Roman von(Gotha). (Fortsetzung.) aron Sextus ließ vor seinen Augen Dorotheens Schimmel und seinen Goldfuchs satteln, gab den Reitknechten noch einige ge¬ wichtige Andeutungen über das Wesen der Kinnkette und die Art und Weise, wie sie eingehakt werden müsse, schwang sich mit einer Gelenkigkeit in den Sattel, die er fast allein für diese Übung noch bewahrt hatte, und ritt vor die Thür, um Dorothea zu erwarten. Sie kam gleich darauf, die Schleppe über dem Arm, die Treppe herab, und indem sie auf der untersten Stufe stehen blieb, um von hier aufzusteigen, und mit prüfendem Auge ihr Pferd betrachtete, dachte Baron Sextus mit einem nur innerlich gesprochenen Soldatenfluch, sie sei eine prachtvolle Erscheinung, und die Vorsehung dürfe nun und nimmer zulassen, daß ihr die Erbschaft von Eich¬ hausen entgehe. Auf dem Wege zum Erlenbruch, den sie in schlankem Trabe zurücklegten, ward nur sehr wenig gesprochen, dort aber ritten sie im Schritt an der in Frage stehenden Stelle auf und ab, und nachdem Dorothea ihre Gedanken entwickelt hatte, sagte der Baron: Das sind ganz hübsche Ideen, mein liebes Kind, aber es kommt mir doch so vor, als wolltest du etwa mit deinem Fingerhut an¬ fangen, das Meer da drüben auszuschöpfen. Denn der Grund des jetzigen Elends ist ein ganz allgemeiner, der nicht nur hier auf unsrer Herrschaft, son¬ dern überall im Kreise, überall in der Provinz, überall in der Monarchie und eigentlich überall in der Welt herrscht, nämlich kein andrer als die Revolution, die Schrankenlosigkeit infolge der Aufhebung alter guter Staatseinrichtungen. Seitdem man den Bestand des Adels erschüttert hat, find die Grundvesten der Gesetzmäßigkeit, der Ordnung, und damit auch des Wohlstandes der ländlichen Bevölkerung ins Wanken gekommen, und der Einzelne kann daran schwerlich etwas bessern. Wir haben ja fast keinen Einfluß mehr auf die Leute. Wie können wir etwas zur Verbesserung ihrer Lage thun, wo wir sie doch nicht mehr zum Guten zwingen können, und wo sie, von demokratischen Ideen an¬ gesteckt, jede beabsichtigte Fürsorge unsrerseits als eine unberechtigte Einmischung beargwöhnen? Ich fürchte, daß die Leute, die du hier in einer Kolonie ver¬ einigen willst, wenn die Geschichte wirklich zustande kommt, sich einbilden werden, Gronzboten II. 188IZ. 73

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 42, 1883, Zweites Quartal, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341837_152756/625>, abgerufen am 29.06.2024.