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Die Grenzboten. Jg. 42, 1883, Zweites Quartal.

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Es war völlig still in der Bibliothek, nur die sanften Töne dieser aus¬
drucksvollen Stimme durchdrangen das feierliche Schweigen. Die Frage drang
tief zum Herzen des Barons Sextus. Er zuckte die Achseln, und ein trauriger
Ausdruck kam in seine Miene.

Meine Ehe ist nicht ganz das gewesen, was sie hätte sein können, sagte
er. Mit einer höchst liebenswürdigen, achtungswerten Dame vermählt, ward
ich doch nicht so von Gott gesegnet, wie ich wohl ersehnte. Dorothea blieb
mein einziges Kind, meine Frau starb früh, und ein Sohn --

Der Baron seufzte und vollendete seinen Satz nicht.

Und Sie haben nicht daran gedacht, sich wieder zu vermählen? Sie haben
die Hoffnung aufgegeben, einem eignen Sohn den Namen, die Ehren und den
Besitz des alten Geschlechts zu hinterlassen?

Ein schwaches Lächeln flog über das kriegerische Gesicht des alten Herrn.

In meinen Jahren, sagte er, wenn vierundsechzig Winter ihren Schnee ans
das Haupt gestreut haben, denkt man wohl nicht mehr an Vermählung.

Es trat ein kurzes Schweigen ein, dann sagte Gräfin Sibylle mit
ruhiger und klarer Stimme: Ein Mann ist niemals zu alt, um zu heiraten.




Siebzehntes Aapitel.

Es war ein eigentümlicher Klang in den Worten der Gräfin Sibylle, und
hauptsächlich dieser Klang war es, der den Baron lebhaft berührte, sodaß es
ihm beinahe so war, als sei er von einem elektrischen Funken getroffen worden.
Er betrachtete aufmerksam das Gesicht der Gräfin, welches ihm voll zugewandt
war, und es kam ihm in diesem Augenblick erst recht zum Bewußtsein, daß sie
eine schöne Frau sei. Etwas vornehm gebietendes lag in ihren ausgeprägten
Zügen, der kühne Schnitt der Nase gab ihnen etwas majestätisches, und die
dunkeln Augen hatten ein zugleich verführerisches und durchdringendes Licht.
Sie strahlten unter den hochgewölbten Brauen mit einem gefährlich fesselnden
Glanz hervor. Die schönen Farben auf Stiru und Wangen ließen jeden Ge¬
danken daran verschwinden, daß diese Dame einen heiratsfähigen Sohn besitze,
und die Lippe" waren so korallenrot, wie die eines soeben erblühten Mädchens.
Wenn das Spitzentuch auf dem dunkeln Haar über der niedrigen, doch stark¬
gewölbten Stirn sich in eine von Diamanten blitzende goldene Krone verwandelt
hätte, so würde das Bild einer Königin, die ihre Unterthanen, einer Elisabeth und
Katharina gleich, ebensowohl durch ihre persönlichen Reize wie durch die Macht
ihres Szepters zu beherrschen sucht, vollkommen gewesen sein.

Etwas sehr angenehmes lag für den Hörer in den Worten der Gräfin.
Baron Sextus hatte seit langen Jahren nicht mehr daran gedacht, sein Lebens-
bvot noch einmal wieder in das ungewisse Meer der Ehe hinauszusteuern und
war an die Meinung gewöhnt, daß er zu alt sei, um mit dem Geschick noch


Es war völlig still in der Bibliothek, nur die sanften Töne dieser aus¬
drucksvollen Stimme durchdrangen das feierliche Schweigen. Die Frage drang
tief zum Herzen des Barons Sextus. Er zuckte die Achseln, und ein trauriger
Ausdruck kam in seine Miene.

Meine Ehe ist nicht ganz das gewesen, was sie hätte sein können, sagte
er. Mit einer höchst liebenswürdigen, achtungswerten Dame vermählt, ward
ich doch nicht so von Gott gesegnet, wie ich wohl ersehnte. Dorothea blieb
mein einziges Kind, meine Frau starb früh, und ein Sohn —

Der Baron seufzte und vollendete seinen Satz nicht.

Und Sie haben nicht daran gedacht, sich wieder zu vermählen? Sie haben
die Hoffnung aufgegeben, einem eignen Sohn den Namen, die Ehren und den
Besitz des alten Geschlechts zu hinterlassen?

Ein schwaches Lächeln flog über das kriegerische Gesicht des alten Herrn.

In meinen Jahren, sagte er, wenn vierundsechzig Winter ihren Schnee ans
das Haupt gestreut haben, denkt man wohl nicht mehr an Vermählung.

Es trat ein kurzes Schweigen ein, dann sagte Gräfin Sibylle mit
ruhiger und klarer Stimme: Ein Mann ist niemals zu alt, um zu heiraten.




Siebzehntes Aapitel.

Es war ein eigentümlicher Klang in den Worten der Gräfin Sibylle, und
hauptsächlich dieser Klang war es, der den Baron lebhaft berührte, sodaß es
ihm beinahe so war, als sei er von einem elektrischen Funken getroffen worden.
Er betrachtete aufmerksam das Gesicht der Gräfin, welches ihm voll zugewandt
war, und es kam ihm in diesem Augenblick erst recht zum Bewußtsein, daß sie
eine schöne Frau sei. Etwas vornehm gebietendes lag in ihren ausgeprägten
Zügen, der kühne Schnitt der Nase gab ihnen etwas majestätisches, und die
dunkeln Augen hatten ein zugleich verführerisches und durchdringendes Licht.
Sie strahlten unter den hochgewölbten Brauen mit einem gefährlich fesselnden
Glanz hervor. Die schönen Farben auf Stiru und Wangen ließen jeden Ge¬
danken daran verschwinden, daß diese Dame einen heiratsfähigen Sohn besitze,
und die Lippe» waren so korallenrot, wie die eines soeben erblühten Mädchens.
Wenn das Spitzentuch auf dem dunkeln Haar über der niedrigen, doch stark¬
gewölbten Stirn sich in eine von Diamanten blitzende goldene Krone verwandelt
hätte, so würde das Bild einer Königin, die ihre Unterthanen, einer Elisabeth und
Katharina gleich, ebensowohl durch ihre persönlichen Reize wie durch die Macht
ihres Szepters zu beherrschen sucht, vollkommen gewesen sein.

Etwas sehr angenehmes lag für den Hörer in den Worten der Gräfin.
Baron Sextus hatte seit langen Jahren nicht mehr daran gedacht, sein Lebens-
bvot noch einmal wieder in das ungewisse Meer der Ehe hinauszusteuern und
war an die Meinung gewöhnt, daß er zu alt sei, um mit dem Geschick noch


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 42, 1883, Zweites Quartal, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341837_152756/53>, abgerufen am 29.06.2024.