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Die Grenzboten. Jg. 42, 1883, Zweites Quartal.

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Die Grafen von Altenschwerdt.

um andre Güter zu ringen, als Politik, Taktik und Landwirtschaft eintragen
können. Er war viel zu fest in dieser Meinung, als daß die Bemerkung der
Gräfin ihn hätte umstimmen können, aber doch hatte er sie gern gehört, und
als er sich erhob, um den Gast, nachdem die Dokumente genügend betrachtet
waren, wieder Hinabzugeleiten, kam es ihm vor, als spüre er nichts mehr von
der Gicht. Er fand, daß die Gräfin etwas belebendes in ihrer Unterhaltung
habe, und er begrüßte seinen Freund, den General, der sich inzwischen eingestellt
hatte, in der allerbesten Laune.

Mit einem eigentümlichen Interesse sah Gräfin Sibylle den General an,
als sie den Namen Graf von Franeker hörte, und sie benutzte einen ungestörten
Augenblick, um Baron Sextus nach diesem Herrn zu fragen. Die Familie von
Franeker ist sehr ausgedehnt, sagte sie, und es ist möglich, daß ich mich in der
Person irre. Aber es schwebt mir so etwas vor -- eine alte Geschichte, die
vor fünfzehn Jahren Sensation in der Gesellschaft machte. Ist nicht damals
eine Gräfin von Franeker, geborne von Lasson, ihrem Manne durchgegangen?
Und war nicht deren Gemahl Offizier?

Sie haben ganz recht, gnädigste Gräfin, wenn sie vermuten, daß dies der¬
selbe Mann ist, der damals so schwer durch die Untreue seiner Frau betroffen
wurde, entgegnete der Baron. Jener traurige Fall ist das Unglück seines
Lebens geworden.

Und wer war doch der Entführer? fragte die Gräfin mit lauerndem Blick.

Das ist mir nicht mehr erinnerlich. Ich hatte damals noch nicht die Ehre,
den Grafen zu kennen, und Sie begreifen, daß ich ihn niemals, trotz unsrer
nahen Bekanntschaft, die ich wohl Freundschaft nennen könnte, darnach zu fragen
imstande war. Wie man erzählt, unterstützt er die treulose Frau, ein Beweis
von Großmut, wie sie wohl selten gefunden wird, die ihm aber jeder, der ihn
kennt, wohl zutrauen kann.

Die Gräfin richtete ihre dunkeln Augen gedankenvoll auf das Gesicht des
alten Generals, welches einem Spiegel aller edeln Eigenschaften glich.

Es galt noch einen Gang durch den Park zu machen, damit der Besuch
auch diesen Glanzpunkt Eichhcmscus kennen lerne, und dann sollte soupirt werden.
Herr Eschenburg war gegen Erwarten heute Nachmittag nicht gekommen, doch
ließ der Kellermeister auch für ihn ein Gedeck legen, da er wohl noch später
kommen würde.

Der Baron ging mit Graf Dietrich voran, ihnen folgten die beiden Damen
mit dem General. Das Wetter, welches den ganzen Sommer hindurch sehr
angenehm gewesen war, begünstigte auch heute die kleine Gesellschaft und zeigte
die Umgebung von Schloß Eichhausen in günstigem Lichte. Der August, welcher
sich zu Ende neigte, hatte angefangen, hellere Tinten über das Laubwerk aus¬
zubreiten, und es zogen gelbe und rote Töne durch das massige Grün mancher
Baumgruppen, welche im Verein init den rötlichen Strahlen der herabsteigenden


Die Grafen von Altenschwerdt.

um andre Güter zu ringen, als Politik, Taktik und Landwirtschaft eintragen
können. Er war viel zu fest in dieser Meinung, als daß die Bemerkung der
Gräfin ihn hätte umstimmen können, aber doch hatte er sie gern gehört, und
als er sich erhob, um den Gast, nachdem die Dokumente genügend betrachtet
waren, wieder Hinabzugeleiten, kam es ihm vor, als spüre er nichts mehr von
der Gicht. Er fand, daß die Gräfin etwas belebendes in ihrer Unterhaltung
habe, und er begrüßte seinen Freund, den General, der sich inzwischen eingestellt
hatte, in der allerbesten Laune.

Mit einem eigentümlichen Interesse sah Gräfin Sibylle den General an,
als sie den Namen Graf von Franeker hörte, und sie benutzte einen ungestörten
Augenblick, um Baron Sextus nach diesem Herrn zu fragen. Die Familie von
Franeker ist sehr ausgedehnt, sagte sie, und es ist möglich, daß ich mich in der
Person irre. Aber es schwebt mir so etwas vor — eine alte Geschichte, die
vor fünfzehn Jahren Sensation in der Gesellschaft machte. Ist nicht damals
eine Gräfin von Franeker, geborne von Lasson, ihrem Manne durchgegangen?
Und war nicht deren Gemahl Offizier?

Sie haben ganz recht, gnädigste Gräfin, wenn sie vermuten, daß dies der¬
selbe Mann ist, der damals so schwer durch die Untreue seiner Frau betroffen
wurde, entgegnete der Baron. Jener traurige Fall ist das Unglück seines
Lebens geworden.

Und wer war doch der Entführer? fragte die Gräfin mit lauerndem Blick.

Das ist mir nicht mehr erinnerlich. Ich hatte damals noch nicht die Ehre,
den Grafen zu kennen, und Sie begreifen, daß ich ihn niemals, trotz unsrer
nahen Bekanntschaft, die ich wohl Freundschaft nennen könnte, darnach zu fragen
imstande war. Wie man erzählt, unterstützt er die treulose Frau, ein Beweis
von Großmut, wie sie wohl selten gefunden wird, die ihm aber jeder, der ihn
kennt, wohl zutrauen kann.

Die Gräfin richtete ihre dunkeln Augen gedankenvoll auf das Gesicht des
alten Generals, welches einem Spiegel aller edeln Eigenschaften glich.

Es galt noch einen Gang durch den Park zu machen, damit der Besuch
auch diesen Glanzpunkt Eichhcmscus kennen lerne, und dann sollte soupirt werden.
Herr Eschenburg war gegen Erwarten heute Nachmittag nicht gekommen, doch
ließ der Kellermeister auch für ihn ein Gedeck legen, da er wohl noch später
kommen würde.

Der Baron ging mit Graf Dietrich voran, ihnen folgten die beiden Damen
mit dem General. Das Wetter, welches den ganzen Sommer hindurch sehr
angenehm gewesen war, begünstigte auch heute die kleine Gesellschaft und zeigte
die Umgebung von Schloß Eichhausen in günstigem Lichte. Der August, welcher
sich zu Ende neigte, hatte angefangen, hellere Tinten über das Laubwerk aus¬
zubreiten, und es zogen gelbe und rote Töne durch das massige Grün mancher
Baumgruppen, welche im Verein init den rötlichen Strahlen der herabsteigenden


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 42, 1883, Zweites Quartal, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341837_152756/54>, abgerufen am 01.07.2024.