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Die Grenzboten. Jg. 42, 1883, Zweites Quartal.

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Henrik Ibsen.

it jener Teilnahme an aller fremden Dichtung, die ein Erbteil
ans guten und bösen Tagen unsrer Literatur ist, haben wir in
Deutschland auch die Entstehung einer besondern norwegischen
Literatur begrüßt und ihren hervorragendsten Vertretern Björnson
und Henrik Ibsen ohne Zögern und Besinnen nicht nur den
ihnen gebührenden Platz eingeräumt, sondern auch einen guten Teil der spär¬
lichen Muße und Stimmung, welche uns für literarische Genüsse im allgemeinen
bleibt, hingegeben. Unsre Bühnen, spröde gegen die neuere deutsche Dichtung,
auch wo dieselbe ihr Bestes und wahrhaft Gutes leistet, haben eine Reihe der
neuern norwegischen Dramen in ihr Repertoire eingefügt, und die Werke der
beiden obengenannten Dichter sind in mehrfachen Übertragungen bei uns ver¬
breitet worden. Der eigentümliche Umstand, daß Ibsen Jahrzehnte lang in
Deutschland gelebt hat, daß ein hervorragender Literarhistoriker und Kritiker
wie Georg Brandes in Deutschland für seine dänisch-norwegischen Landsleute
eingetreten ist, hat auf die Norweger die Aufmerksamkeit mancher literarischen
Kreise gelenkt, die andernfalls wohl erst in Jahrzehnten von ihnen Notiz ge¬
nommen haben würden. Echte Empfänglichkeit und altgewohnter Respekt für
alles Fremde, berechtigte Bewunderung und modischer Enthusiasmus mischen
sich zu jener Bewegung, welche die beiden Norweger und hinter ihnen drein
schon mehr als einen ihrer jünger" Landsleute (Kjelland, Kristian Elster u. a.)
in den Vordergrund der litterarischen Bühne drängt.

Im Einklang mit dieser Bewegung erhalten wir soeben auch eine kritische
Monographie: Henrik Ibsen, einen Beitrag zur neuesten Geschichte der nor¬
wegischen Nationalliteratar von L. Paffarge (Leipzig, Bernhard Schlicke,
1883), ein stattliches, wohlausgestattetes Buch von über 300 Seiten, welches
es unternimmt, dem norwegischen Dichter neue Freunde zu werben und namentlich
auch die Bekanntschaft mit jenen Dichtungen desselben zu vermitteln, welche bis
jetzt bei uns nicht übersetzt sind. Paffarge, bisher hauptsächlich als Ver¬
fasser frischer und anschaulicher Reisebilder bekannt, unter denen wiederum die
aus dem Norden überwogen, scheint mit Henrik Ibsen persönlich vertraut zu
sein, jedenfalls ist er es mit seinen Dichtungen in dem Maße, daß er als ihr
vollberechtigter Interpret auftreten kann. Der Standpunkt, auf den er sich
von vornherein stellt, ist der, daß wir in Ibsen nicht nur ein bedeutendes Talent,
sondern einen Genius zu bewundern haben. "Es kommt hinzu, heißt es in der
Einleitung, daß dieser Dichter einer der eigentümlichsten ist, welche die Welt
gesehen, der immer seine eignen Bahnen wandelt, ja dieselben sich meist erst


Henrik Ibsen.

it jener Teilnahme an aller fremden Dichtung, die ein Erbteil
ans guten und bösen Tagen unsrer Literatur ist, haben wir in
Deutschland auch die Entstehung einer besondern norwegischen
Literatur begrüßt und ihren hervorragendsten Vertretern Björnson
und Henrik Ibsen ohne Zögern und Besinnen nicht nur den
ihnen gebührenden Platz eingeräumt, sondern auch einen guten Teil der spär¬
lichen Muße und Stimmung, welche uns für literarische Genüsse im allgemeinen
bleibt, hingegeben. Unsre Bühnen, spröde gegen die neuere deutsche Dichtung,
auch wo dieselbe ihr Bestes und wahrhaft Gutes leistet, haben eine Reihe der
neuern norwegischen Dramen in ihr Repertoire eingefügt, und die Werke der
beiden obengenannten Dichter sind in mehrfachen Übertragungen bei uns ver¬
breitet worden. Der eigentümliche Umstand, daß Ibsen Jahrzehnte lang in
Deutschland gelebt hat, daß ein hervorragender Literarhistoriker und Kritiker
wie Georg Brandes in Deutschland für seine dänisch-norwegischen Landsleute
eingetreten ist, hat auf die Norweger die Aufmerksamkeit mancher literarischen
Kreise gelenkt, die andernfalls wohl erst in Jahrzehnten von ihnen Notiz ge¬
nommen haben würden. Echte Empfänglichkeit und altgewohnter Respekt für
alles Fremde, berechtigte Bewunderung und modischer Enthusiasmus mischen
sich zu jener Bewegung, welche die beiden Norweger und hinter ihnen drein
schon mehr als einen ihrer jünger» Landsleute (Kjelland, Kristian Elster u. a.)
in den Vordergrund der litterarischen Bühne drängt.

Im Einklang mit dieser Bewegung erhalten wir soeben auch eine kritische
Monographie: Henrik Ibsen, einen Beitrag zur neuesten Geschichte der nor¬
wegischen Nationalliteratar von L. Paffarge (Leipzig, Bernhard Schlicke,
1883), ein stattliches, wohlausgestattetes Buch von über 300 Seiten, welches
es unternimmt, dem norwegischen Dichter neue Freunde zu werben und namentlich
auch die Bekanntschaft mit jenen Dichtungen desselben zu vermitteln, welche bis
jetzt bei uns nicht übersetzt sind. Paffarge, bisher hauptsächlich als Ver¬
fasser frischer und anschaulicher Reisebilder bekannt, unter denen wiederum die
aus dem Norden überwogen, scheint mit Henrik Ibsen persönlich vertraut zu
sein, jedenfalls ist er es mit seinen Dichtungen in dem Maße, daß er als ihr
vollberechtigter Interpret auftreten kann. Der Standpunkt, auf den er sich
von vornherein stellt, ist der, daß wir in Ibsen nicht nur ein bedeutendes Talent,
sondern einen Genius zu bewundern haben. „Es kommt hinzu, heißt es in der
Einleitung, daß dieser Dichter einer der eigentümlichsten ist, welche die Welt
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[0514] Henrik Ibsen. it jener Teilnahme an aller fremden Dichtung, die ein Erbteil ans guten und bösen Tagen unsrer Literatur ist, haben wir in Deutschland auch die Entstehung einer besondern norwegischen Literatur begrüßt und ihren hervorragendsten Vertretern Björnson und Henrik Ibsen ohne Zögern und Besinnen nicht nur den ihnen gebührenden Platz eingeräumt, sondern auch einen guten Teil der spär¬ lichen Muße und Stimmung, welche uns für literarische Genüsse im allgemeinen bleibt, hingegeben. Unsre Bühnen, spröde gegen die neuere deutsche Dichtung, auch wo dieselbe ihr Bestes und wahrhaft Gutes leistet, haben eine Reihe der neuern norwegischen Dramen in ihr Repertoire eingefügt, und die Werke der beiden obengenannten Dichter sind in mehrfachen Übertragungen bei uns ver¬ breitet worden. Der eigentümliche Umstand, daß Ibsen Jahrzehnte lang in Deutschland gelebt hat, daß ein hervorragender Literarhistoriker und Kritiker wie Georg Brandes in Deutschland für seine dänisch-norwegischen Landsleute eingetreten ist, hat auf die Norweger die Aufmerksamkeit mancher literarischen Kreise gelenkt, die andernfalls wohl erst in Jahrzehnten von ihnen Notiz ge¬ nommen haben würden. Echte Empfänglichkeit und altgewohnter Respekt für alles Fremde, berechtigte Bewunderung und modischer Enthusiasmus mischen sich zu jener Bewegung, welche die beiden Norweger und hinter ihnen drein schon mehr als einen ihrer jünger» Landsleute (Kjelland, Kristian Elster u. a.) in den Vordergrund der litterarischen Bühne drängt. Im Einklang mit dieser Bewegung erhalten wir soeben auch eine kritische Monographie: Henrik Ibsen, einen Beitrag zur neuesten Geschichte der nor¬ wegischen Nationalliteratar von L. Paffarge (Leipzig, Bernhard Schlicke, 1883), ein stattliches, wohlausgestattetes Buch von über 300 Seiten, welches es unternimmt, dem norwegischen Dichter neue Freunde zu werben und namentlich auch die Bekanntschaft mit jenen Dichtungen desselben zu vermitteln, welche bis jetzt bei uns nicht übersetzt sind. Paffarge, bisher hauptsächlich als Ver¬ fasser frischer und anschaulicher Reisebilder bekannt, unter denen wiederum die aus dem Norden überwogen, scheint mit Henrik Ibsen persönlich vertraut zu sein, jedenfalls ist er es mit seinen Dichtungen in dem Maße, daß er als ihr vollberechtigter Interpret auftreten kann. Der Standpunkt, auf den er sich von vornherein stellt, ist der, daß wir in Ibsen nicht nur ein bedeutendes Talent, sondern einen Genius zu bewundern haben. „Es kommt hinzu, heißt es in der Einleitung, daß dieser Dichter einer der eigentümlichsten ist, welche die Welt gesehen, der immer seine eignen Bahnen wandelt, ja dieselben sich meist erst

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 42, 1883, Zweites Quartal, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341837_152756/514>, abgerufen am 24.08.2024.