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Die Grenzboten. Jg. 42, 1883, Zweites Quartal.

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Klytia.

s muß doch einen eignen Reiz für den Gelehrten haben, der
strengen Forschung die dichterische Schöpfung zuzugefellen und so
die kritische Erkenntnis in Fleisch und Blut umzusetzen. Wenn da¬
durch der Nachwelt bedeutungsvolle Ereignisse und Erscheinungen
augenfälliger vor die Seele geführt werden, als es auch durch
die ausführlichste reingeschichtliche Darstellung geschehen kann, so kann man diese
Versuche mit Freuden begrüßen. Am wirksamsten aber wird eine solche Wieder¬
belebung sein, wenn zwischen der geschilderten Zeit und der Gegenwart eine
Verwandtschaft besteht, wenn Fäden herüberreichen, an denen noch jetzt gesponnen
wird, Fragen berührt werden, die uns noch heute beschäftigen.

Eine solche Beziehung besteht zwischen unsrer Zeit und dem sechzehnten
Jahrhundert, besonders dadurch, daß religiös-kirchliche Fragen eine hervorragende
Rolle in unserm öffentlichen Leben spielen. Ein Roman, der diese Seite des
Lebens im sechzehnten Jahrhundert zum Vorwurfe hat, darf daher von vorn
herein auf die Teilnahme des Lesers rechnen. Das ist nun das Gebiet, auf
welches uns George Taylor in seinem neuen Romane Klytia führt.*)

Wer Taylors ersten Roman "Antinous" gelesen hat, wird nicht erwarten,
daß die Vergleichungspunkte zwischen unsrer und jener Zeit mit Geflisfentlich-
keit in den Vordergrund gerückt seien oder daß im Gewände jener Zeit Politik
der Gegenwart getrieben und geredet werde. So unmittelbar streifen sich auch
beide Gebiete uicht. Taylor schildert den Kampf des Calvinismus um die Herr¬
schaft in der Pfalz und deu des Jesuitismus gegen diesen und die neue Lehre
überhaupt. Der Gegensatz zwischen Reformation und Katholizismus in ihren
extremsten Erscheinungsformen bildet den Hauptinhalt des Buches, den innersten
Kern beider Erscheinungen zur Darstellung zu bringen, den Hauptzweck des¬
selben. Von diesem Gesichtspunkte aus muß man das Buch beurteilen.

Die gelehrte Grundlage tritt in der "Klytia" weit stärker hervor als im
"Antinous." Die Grundsätze jesuitischer Erziehung zur Darstellung zu bringen
dient die Jugendgeschichte des Helden im Roman, des italienischen Priesters
Paolo Laurenzano; als Vertreter der Politik des Ordens erscheint der Spital¬
arzt und Professor Pigavetta. Der Calvinismus wird weniger durch Persönlich¬
keiten als durch die Wirkung chcirakterisirt, die seine beginnende Herrschaft in
der fröhlichen Pfalz zeigt, und durch die Befürchtungen, die die Erfahrneren für



*) Klytia. Historischer Roman aus dem sechszehnten (hio) Jahrhundert von George
Taylor. Mit einem Titelkupfer. Leipzig, S. Hirzel, 1883.
Klytia.

s muß doch einen eignen Reiz für den Gelehrten haben, der
strengen Forschung die dichterische Schöpfung zuzugefellen und so
die kritische Erkenntnis in Fleisch und Blut umzusetzen. Wenn da¬
durch der Nachwelt bedeutungsvolle Ereignisse und Erscheinungen
augenfälliger vor die Seele geführt werden, als es auch durch
die ausführlichste reingeschichtliche Darstellung geschehen kann, so kann man diese
Versuche mit Freuden begrüßen. Am wirksamsten aber wird eine solche Wieder¬
belebung sein, wenn zwischen der geschilderten Zeit und der Gegenwart eine
Verwandtschaft besteht, wenn Fäden herüberreichen, an denen noch jetzt gesponnen
wird, Fragen berührt werden, die uns noch heute beschäftigen.

Eine solche Beziehung besteht zwischen unsrer Zeit und dem sechzehnten
Jahrhundert, besonders dadurch, daß religiös-kirchliche Fragen eine hervorragende
Rolle in unserm öffentlichen Leben spielen. Ein Roman, der diese Seite des
Lebens im sechzehnten Jahrhundert zum Vorwurfe hat, darf daher von vorn
herein auf die Teilnahme des Lesers rechnen. Das ist nun das Gebiet, auf
welches uns George Taylor in seinem neuen Romane Klytia führt.*)

Wer Taylors ersten Roman „Antinous" gelesen hat, wird nicht erwarten,
daß die Vergleichungspunkte zwischen unsrer und jener Zeit mit Geflisfentlich-
keit in den Vordergrund gerückt seien oder daß im Gewände jener Zeit Politik
der Gegenwart getrieben und geredet werde. So unmittelbar streifen sich auch
beide Gebiete uicht. Taylor schildert den Kampf des Calvinismus um die Herr¬
schaft in der Pfalz und deu des Jesuitismus gegen diesen und die neue Lehre
überhaupt. Der Gegensatz zwischen Reformation und Katholizismus in ihren
extremsten Erscheinungsformen bildet den Hauptinhalt des Buches, den innersten
Kern beider Erscheinungen zur Darstellung zu bringen, den Hauptzweck des¬
selben. Von diesem Gesichtspunkte aus muß man das Buch beurteilen.

Die gelehrte Grundlage tritt in der „Klytia" weit stärker hervor als im
„Antinous." Die Grundsätze jesuitischer Erziehung zur Darstellung zu bringen
dient die Jugendgeschichte des Helden im Roman, des italienischen Priesters
Paolo Laurenzano; als Vertreter der Politik des Ordens erscheint der Spital¬
arzt und Professor Pigavetta. Der Calvinismus wird weniger durch Persönlich¬
keiten als durch die Wirkung chcirakterisirt, die seine beginnende Herrschaft in
der fröhlichen Pfalz zeigt, und durch die Befürchtungen, die die Erfahrneren für



*) Klytia. Historischer Roman aus dem sechszehnten (hio) Jahrhundert von George
Taylor. Mit einem Titelkupfer. Leipzig, S. Hirzel, 1883.
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[0472] Klytia. s muß doch einen eignen Reiz für den Gelehrten haben, der strengen Forschung die dichterische Schöpfung zuzugefellen und so die kritische Erkenntnis in Fleisch und Blut umzusetzen. Wenn da¬ durch der Nachwelt bedeutungsvolle Ereignisse und Erscheinungen augenfälliger vor die Seele geführt werden, als es auch durch die ausführlichste reingeschichtliche Darstellung geschehen kann, so kann man diese Versuche mit Freuden begrüßen. Am wirksamsten aber wird eine solche Wieder¬ belebung sein, wenn zwischen der geschilderten Zeit und der Gegenwart eine Verwandtschaft besteht, wenn Fäden herüberreichen, an denen noch jetzt gesponnen wird, Fragen berührt werden, die uns noch heute beschäftigen. Eine solche Beziehung besteht zwischen unsrer Zeit und dem sechzehnten Jahrhundert, besonders dadurch, daß religiös-kirchliche Fragen eine hervorragende Rolle in unserm öffentlichen Leben spielen. Ein Roman, der diese Seite des Lebens im sechzehnten Jahrhundert zum Vorwurfe hat, darf daher von vorn herein auf die Teilnahme des Lesers rechnen. Das ist nun das Gebiet, auf welches uns George Taylor in seinem neuen Romane Klytia führt.*) Wer Taylors ersten Roman „Antinous" gelesen hat, wird nicht erwarten, daß die Vergleichungspunkte zwischen unsrer und jener Zeit mit Geflisfentlich- keit in den Vordergrund gerückt seien oder daß im Gewände jener Zeit Politik der Gegenwart getrieben und geredet werde. So unmittelbar streifen sich auch beide Gebiete uicht. Taylor schildert den Kampf des Calvinismus um die Herr¬ schaft in der Pfalz und deu des Jesuitismus gegen diesen und die neue Lehre überhaupt. Der Gegensatz zwischen Reformation und Katholizismus in ihren extremsten Erscheinungsformen bildet den Hauptinhalt des Buches, den innersten Kern beider Erscheinungen zur Darstellung zu bringen, den Hauptzweck des¬ selben. Von diesem Gesichtspunkte aus muß man das Buch beurteilen. Die gelehrte Grundlage tritt in der „Klytia" weit stärker hervor als im „Antinous." Die Grundsätze jesuitischer Erziehung zur Darstellung zu bringen dient die Jugendgeschichte des Helden im Roman, des italienischen Priesters Paolo Laurenzano; als Vertreter der Politik des Ordens erscheint der Spital¬ arzt und Professor Pigavetta. Der Calvinismus wird weniger durch Persönlich¬ keiten als durch die Wirkung chcirakterisirt, die seine beginnende Herrschaft in der fröhlichen Pfalz zeigt, und durch die Befürchtungen, die die Erfahrneren für *) Klytia. Historischer Roman aus dem sechszehnten (hio) Jahrhundert von George Taylor. Mit einem Titelkupfer. Leipzig, S. Hirzel, 1883.

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 42, 1883, Zweites Quartal, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341837_152756/472>, abgerufen am 29.06.2024.