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Die Grenzboten. Jg. 42, 1883, Zweites Quartal.

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Die Grafen von Altenschwerdt.
August Niemann ( Roman vonGotha).
(Fortsetzung.)

oweit war Graf Dietrich in seiner Rede gekommen, während
deren er zuweilen einen forschenden und unruhigen Blick nach
seiner Mutter warf, als sie ihm mit der Hand zu schweigen winkte
und mit leiser, gebrochner Stimme, ohne ihr Gesicht zu enthüllen,
zu sprechen anfing.

Es ist gut, sagte sie, ich habe dich verstanden. Du sollst mir
nicht länger das Herz mit vergiftetem Dolche durchbohren. O Dietrich, Dietrich,
solche entsetzliche Vorwürfe deiner Mutter! Deiner Mutter, die auf der Welt
nichts mehr hat als dich!

Aber ich bitte dich, liebste Mama, was sind das für übertriebene Aus¬
drücke! sagte er, näherkommend. Vergifteter Dolch! Ich bitte dich. Habe ich
denn dir speziell Vorwürfe gemacht? Ich sprach von der Welt im allgemeinen,
und dn kannst es nicht in Abrede nehmen, daß ich Recht habe.

Ja, du hast Recht, sagte sie schluchzend. Du hast Recht, Dietrich, und
ich will dir diesmal dnrch die That Recht geben. Wir wollen uns bessern,
mein Sohn, du hast mich tief erschüttert. Wir wollen zusammen abreisen, wir
wollen aller Heuchelei entsagen. Es ist uns noch ein kleiner Rest Geldes ge¬
blieben, der uns erlaubt, eine stille, bescheidne Häuslichkeit an einem abgelegenen
Orte zu führen. Dn sollst deine Entlassung nehmen, mein Sohn, und wir
wollen in einem freundlichen, kleinen Städtchen, wo die Lebensmittel noch billig
sind, unserm Leben die Weihe der Tugend geben!

Dietrich sah sie etwas argwöhnisch an, aber der Ton, der aus diesem
verhüllten Munde zu ihm drang, klang so echt, und er hatte einen solchen Re¬
spekt vor der Entschiedenheit seiner Mutter, daß er jetzt in der That glaubte,
sie mache Ernst, und er habe sie durch seine erschütternden Worte auf einen
neuen Lebensweg gebracht. Er rückte einen Stuhl dicht an das Sopha, setzte
sich darauf und legte seinen Arm um ihre Schultern.

Meine liebste Mama, sagte er zärtlich, nimm es doch nur nicht gar zu
schwer. Lieber Himmel, wer wägt denn seine Worte immer auf der Goldwage?
Man braucht doch nicht gleich das Kind mit dem Bade auszuschütten. Ich
meinte doch nur --


Grenzboten II. 1883, 47


Die Grafen von Altenschwerdt.
August Niemann ( Roman vonGotha).
(Fortsetzung.)

oweit war Graf Dietrich in seiner Rede gekommen, während
deren er zuweilen einen forschenden und unruhigen Blick nach
seiner Mutter warf, als sie ihm mit der Hand zu schweigen winkte
und mit leiser, gebrochner Stimme, ohne ihr Gesicht zu enthüllen,
zu sprechen anfing.

Es ist gut, sagte sie, ich habe dich verstanden. Du sollst mir
nicht länger das Herz mit vergiftetem Dolche durchbohren. O Dietrich, Dietrich,
solche entsetzliche Vorwürfe deiner Mutter! Deiner Mutter, die auf der Welt
nichts mehr hat als dich!

Aber ich bitte dich, liebste Mama, was sind das für übertriebene Aus¬
drücke! sagte er, näherkommend. Vergifteter Dolch! Ich bitte dich. Habe ich
denn dir speziell Vorwürfe gemacht? Ich sprach von der Welt im allgemeinen,
und dn kannst es nicht in Abrede nehmen, daß ich Recht habe.

Ja, du hast Recht, sagte sie schluchzend. Du hast Recht, Dietrich, und
ich will dir diesmal dnrch die That Recht geben. Wir wollen uns bessern,
mein Sohn, du hast mich tief erschüttert. Wir wollen zusammen abreisen, wir
wollen aller Heuchelei entsagen. Es ist uns noch ein kleiner Rest Geldes ge¬
blieben, der uns erlaubt, eine stille, bescheidne Häuslichkeit an einem abgelegenen
Orte zu führen. Dn sollst deine Entlassung nehmen, mein Sohn, und wir
wollen in einem freundlichen, kleinen Städtchen, wo die Lebensmittel noch billig
sind, unserm Leben die Weihe der Tugend geben!

Dietrich sah sie etwas argwöhnisch an, aber der Ton, der aus diesem
verhüllten Munde zu ihm drang, klang so echt, und er hatte einen solchen Re¬
spekt vor der Entschiedenheit seiner Mutter, daß er jetzt in der That glaubte,
sie mache Ernst, und er habe sie durch seine erschütternden Worte auf einen
neuen Lebensweg gebracht. Er rückte einen Stuhl dicht an das Sopha, setzte
sich darauf und legte seinen Arm um ihre Schultern.

Meine liebste Mama, sagte er zärtlich, nimm es doch nur nicht gar zu
schwer. Lieber Himmel, wer wägt denn seine Worte immer auf der Goldwage?
Man braucht doch nicht gleich das Kind mit dem Bade auszuschütten. Ich
meinte doch nur —


Grenzboten II. 1883, 47
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[0377] [Abbildung] Die Grafen von Altenschwerdt. August Niemann ( Roman vonGotha). (Fortsetzung.) oweit war Graf Dietrich in seiner Rede gekommen, während deren er zuweilen einen forschenden und unruhigen Blick nach seiner Mutter warf, als sie ihm mit der Hand zu schweigen winkte und mit leiser, gebrochner Stimme, ohne ihr Gesicht zu enthüllen, zu sprechen anfing. Es ist gut, sagte sie, ich habe dich verstanden. Du sollst mir nicht länger das Herz mit vergiftetem Dolche durchbohren. O Dietrich, Dietrich, solche entsetzliche Vorwürfe deiner Mutter! Deiner Mutter, die auf der Welt nichts mehr hat als dich! Aber ich bitte dich, liebste Mama, was sind das für übertriebene Aus¬ drücke! sagte er, näherkommend. Vergifteter Dolch! Ich bitte dich. Habe ich denn dir speziell Vorwürfe gemacht? Ich sprach von der Welt im allgemeinen, und dn kannst es nicht in Abrede nehmen, daß ich Recht habe. Ja, du hast Recht, sagte sie schluchzend. Du hast Recht, Dietrich, und ich will dir diesmal dnrch die That Recht geben. Wir wollen uns bessern, mein Sohn, du hast mich tief erschüttert. Wir wollen zusammen abreisen, wir wollen aller Heuchelei entsagen. Es ist uns noch ein kleiner Rest Geldes ge¬ blieben, der uns erlaubt, eine stille, bescheidne Häuslichkeit an einem abgelegenen Orte zu führen. Dn sollst deine Entlassung nehmen, mein Sohn, und wir wollen in einem freundlichen, kleinen Städtchen, wo die Lebensmittel noch billig sind, unserm Leben die Weihe der Tugend geben! Dietrich sah sie etwas argwöhnisch an, aber der Ton, der aus diesem verhüllten Munde zu ihm drang, klang so echt, und er hatte einen solchen Re¬ spekt vor der Entschiedenheit seiner Mutter, daß er jetzt in der That glaubte, sie mache Ernst, und er habe sie durch seine erschütternden Worte auf einen neuen Lebensweg gebracht. Er rückte einen Stuhl dicht an das Sopha, setzte sich darauf und legte seinen Arm um ihre Schultern. Meine liebste Mama, sagte er zärtlich, nimm es doch nur nicht gar zu schwer. Lieber Himmel, wer wägt denn seine Worte immer auf der Goldwage? Man braucht doch nicht gleich das Kind mit dem Bade auszuschütten. Ich meinte doch nur — Grenzboten II. 1883, 47

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 42, 1883, Zweites Quartal, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341837_152756/377>, abgerufen am 29.06.2024.