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Die Grenzboten. Jg. 42, 1883, Zweites Quartal.

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Die Brogliesche Jnterpellation und die Abrüstungsfrage.

und Geschwistern in aller Gemütsruhe den Abend verbringen, mit ihnen spazieren
gehen oder auch eines meiner Lieblingsfächer treiben oder aus der Schüler¬
bibliothek etwas lesen. Oder aber: Lehrer und Schüler fühlten sich von den
vielen Arbeitsstunden in der Schule so überbürdet, daß sogar die Lehrer klagten.
Dann würde die viel umstrittene Frage der Überbürdung bald gelöst sein; der
Stoff würde beschnitten werden, das Schulregiment würde bestürmt werden,
die Ziele herabzustimmen; es würde ganz wahrscheinlich nachgeben, denn es hat
das Wohl der Schüler wie der Lehrer im Auge, und unter den Vertretern
desselben giebt es viele Familienväter; kurz, zu allgemeiner Befriedigung erstünde
ein Normalarbeitstag für die geistige Arbeit der Jugend, wie er für die körper¬
liche derselben bereits in vielen Staaten besteht. Was meinen Sie dazu?


Ihr wohlaffektionirrer Uundiger und paleriknuUa!- II.


Die Brogliesche Jnterpellation und die Abrüstungs-
frage.

in 1. Mai hatte der französische Senat seinen großen Tag. Der
Herzog von Broglie hatte die Absicht kundgegeben, an die Re¬
gierung eine Anfrage in Betreff des Charakters und der Bedin¬
gungen der Tripelallianz zwischen Deutschland, Österreich und
Italien zu richten, und so waren das Haus und die Galerien
ungewöhnlich gefüllt. Es kam aber nichts dabei heraus, als daß der Herzog
durch den Minister des Auswärtigen in einer Weise abgefertigt wurde, die einer
Niederlage gleichkam. Licht wurde über den Gegenstand der Jnterpellation durch
die Debatte nicht verbreitet, aber darum war es dem Interpellanten auch wohl
nicht zu thun gewesen, er hatte vermutlich nur der Republik wieder einmal einen
Fleck aufs Kleid spritzen wollen. Hätte er irgendwie die Hoffnung und die
Absicht gehegt, vom Chef des auswärtigen Amtes eine Mitteilung praktischer
Natur zu erlangen, so würde er sich einer Enttäuschung ausgesetzt haben; denn
Herr Challemel-Lacour gestand aufrichtig, daß er sich über den Gegenstand der
Frage in vollständiger Unkenntnis befinde, und deutete ziemlich verständlich an,
daß er seinerseits erwartet habe, von dem verehrten Kollegen, der in der Sache
die Initiative ergriffen, über die dunkle Frage einige Aufklärung zu erhalten.

Der Herzog von Broglie begann mit der Bemerkung, da die Tripelallianz
bereits im italienischen, ungarischen und englischen Parlamente diskutirt worden,


Grenzboten II. 1883. 4S
Die Brogliesche Jnterpellation und die Abrüstungsfrage.

und Geschwistern in aller Gemütsruhe den Abend verbringen, mit ihnen spazieren
gehen oder auch eines meiner Lieblingsfächer treiben oder aus der Schüler¬
bibliothek etwas lesen. Oder aber: Lehrer und Schüler fühlten sich von den
vielen Arbeitsstunden in der Schule so überbürdet, daß sogar die Lehrer klagten.
Dann würde die viel umstrittene Frage der Überbürdung bald gelöst sein; der
Stoff würde beschnitten werden, das Schulregiment würde bestürmt werden,
die Ziele herabzustimmen; es würde ganz wahrscheinlich nachgeben, denn es hat
das Wohl der Schüler wie der Lehrer im Auge, und unter den Vertretern
desselben giebt es viele Familienväter; kurz, zu allgemeiner Befriedigung erstünde
ein Normalarbeitstag für die geistige Arbeit der Jugend, wie er für die körper¬
liche derselben bereits in vielen Staaten besteht. Was meinen Sie dazu?


Ihr wohlaffektionirrer Uundiger und paleriknuUa!- II.


Die Brogliesche Jnterpellation und die Abrüstungs-
frage.

in 1. Mai hatte der französische Senat seinen großen Tag. Der
Herzog von Broglie hatte die Absicht kundgegeben, an die Re¬
gierung eine Anfrage in Betreff des Charakters und der Bedin¬
gungen der Tripelallianz zwischen Deutschland, Österreich und
Italien zu richten, und so waren das Haus und die Galerien
ungewöhnlich gefüllt. Es kam aber nichts dabei heraus, als daß der Herzog
durch den Minister des Auswärtigen in einer Weise abgefertigt wurde, die einer
Niederlage gleichkam. Licht wurde über den Gegenstand der Jnterpellation durch
die Debatte nicht verbreitet, aber darum war es dem Interpellanten auch wohl
nicht zu thun gewesen, er hatte vermutlich nur der Republik wieder einmal einen
Fleck aufs Kleid spritzen wollen. Hätte er irgendwie die Hoffnung und die
Absicht gehegt, vom Chef des auswärtigen Amtes eine Mitteilung praktischer
Natur zu erlangen, so würde er sich einer Enttäuschung ausgesetzt haben; denn
Herr Challemel-Lacour gestand aufrichtig, daß er sich über den Gegenstand der
Frage in vollständiger Unkenntnis befinde, und deutete ziemlich verständlich an,
daß er seinerseits erwartet habe, von dem verehrten Kollegen, der in der Sache
die Initiative ergriffen, über die dunkle Frage einige Aufklärung zu erhalten.

Der Herzog von Broglie begann mit der Bemerkung, da die Tripelallianz
bereits im italienischen, ungarischen und englischen Parlamente diskutirt worden,


Grenzboten II. 1883. 4S
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[0369] Die Brogliesche Jnterpellation und die Abrüstungsfrage. und Geschwistern in aller Gemütsruhe den Abend verbringen, mit ihnen spazieren gehen oder auch eines meiner Lieblingsfächer treiben oder aus der Schüler¬ bibliothek etwas lesen. Oder aber: Lehrer und Schüler fühlten sich von den vielen Arbeitsstunden in der Schule so überbürdet, daß sogar die Lehrer klagten. Dann würde die viel umstrittene Frage der Überbürdung bald gelöst sein; der Stoff würde beschnitten werden, das Schulregiment würde bestürmt werden, die Ziele herabzustimmen; es würde ganz wahrscheinlich nachgeben, denn es hat das Wohl der Schüler wie der Lehrer im Auge, und unter den Vertretern desselben giebt es viele Familienväter; kurz, zu allgemeiner Befriedigung erstünde ein Normalarbeitstag für die geistige Arbeit der Jugend, wie er für die körper¬ liche derselben bereits in vielen Staaten besteht. Was meinen Sie dazu? Ihr wohlaffektionirrer Uundiger und paleriknuUa!- II. Die Brogliesche Jnterpellation und die Abrüstungs- frage. in 1. Mai hatte der französische Senat seinen großen Tag. Der Herzog von Broglie hatte die Absicht kundgegeben, an die Re¬ gierung eine Anfrage in Betreff des Charakters und der Bedin¬ gungen der Tripelallianz zwischen Deutschland, Österreich und Italien zu richten, und so waren das Haus und die Galerien ungewöhnlich gefüllt. Es kam aber nichts dabei heraus, als daß der Herzog durch den Minister des Auswärtigen in einer Weise abgefertigt wurde, die einer Niederlage gleichkam. Licht wurde über den Gegenstand der Jnterpellation durch die Debatte nicht verbreitet, aber darum war es dem Interpellanten auch wohl nicht zu thun gewesen, er hatte vermutlich nur der Republik wieder einmal einen Fleck aufs Kleid spritzen wollen. Hätte er irgendwie die Hoffnung und die Absicht gehegt, vom Chef des auswärtigen Amtes eine Mitteilung praktischer Natur zu erlangen, so würde er sich einer Enttäuschung ausgesetzt haben; denn Herr Challemel-Lacour gestand aufrichtig, daß er sich über den Gegenstand der Frage in vollständiger Unkenntnis befinde, und deutete ziemlich verständlich an, daß er seinerseits erwartet habe, von dem verehrten Kollegen, der in der Sache die Initiative ergriffen, über die dunkle Frage einige Aufklärung zu erhalten. Der Herzog von Broglie begann mit der Bemerkung, da die Tripelallianz bereits im italienischen, ungarischen und englischen Parlamente diskutirt worden, Grenzboten II. 1883. 4S

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 42, 1883, Zweites Quartal, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341837_152756/369>, abgerufen am 29.06.2024.