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Die Grenzboten. Jg. 42, 1883, Zweites Quartal.

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pompejanische Spaziergänge.
von Ludwig Meyer. 2.

le neuen Entdeckung", die sich den seit anderthalb Jahrhunderten
gemachten anreihe", sicher" Pompeji eine" Ehrenplatz unter den merk¬
würdigste" Stätten der Welt. Hier haben wir einmal den seltene"
Fall, daß ein Stück Erde ebensoviel Belehrung als Vergnügen
bereitet; die Reise dahin ist das Entzücken aller Neugierigen, aber
noch viel ersprießlicher ist sie für den, der lernen will. Heute, wo fast die
Hälfte der Stadt freigelegt und es so bequem geworden ist, sie zu durchstreifen,
liegt die Frage nahe: welcher Art ist eigentlich der Nutzen, den wir aus ihrem
Besuche ziehen können, und was lehrt sie insbesondere denen, welche ihr ein
ernsthaftes Studium widmen?

Der große Nutzen Pompejis liegt meines Trachtens darin, daß es uns
mit dem Prvvinzialleben des römischen Reiches bekannt macht. Wie man in
Rom seine Zeit verbrachte, wissen wir sehr gut; geben uns doch hierüber die
alten Schriftsteller die genauesten Mitteilungen in reicher Fülle. Mit den
Briefen Ciceros können wir uns veranschaulichen, wie ein Staatsmann seinen
Tag verlebte. Die Satiren des Horaz schildern uns mit handgreiflicher Lebendig¬
keit das Dasein eines müßigen Schlenderers, dessen Hauptbeschäftigung darin
bestand, daß er ans dein Forum oder längs der Heiligen Straße spazieren ging,
Mlf dem Marsfelde deu Ballspielen, zusah, mit den Kornhändlern oder Gemüse¬
verkäufern plauderte und abends den Marktschreiern und Wahrsagern zuhörte.
Der weit indiskretere Juvenal läßt uns in das Innere einer gräulichen Schenke
eine" Blick thun, des Stelldichein der Matrosen, der Diebe und der flüchtigen
Sklaven, in dessen Tiefe die Leichenträger Seite an Seite mit den Bettelpriestern
der Großen Göttin schlafen. Fast unbekannt dagegen ist uns das Leben in der
Provinz.Wahrscheinlich würde" wir es besser kennen, wenn uns das ganze
lateinische Theater erhalten wäre. Die Bewohner der Großstädte spotten gern über
die lächerlichen Seiten der kleinen Städte; so ist die Annahme berechtigt, daß die
Verfasser der mimischen Schauspiele und der Atellauen einen so dankbaren komischen
Stoff sich "icht werden haben entgehen lassen. Dafür sprechen auch die Titel
einiger ihrer Stücke und die kurzen Fragmente, die davon übrig sind. Pomponius



") Ich meine "Provinz" hier im deutschon Sinne, also alles, was nicht Rom war,
demnach Italien so gut wie Gallien oder Spanien. Die Römer machten einen Unterschied
und verstanden unter provinvi-i, nicht Italien.
Grenzboten II. 1883. 31
pompejanische Spaziergänge.
von Ludwig Meyer. 2.

le neuen Entdeckung», die sich den seit anderthalb Jahrhunderten
gemachten anreihe», sicher» Pompeji eine» Ehrenplatz unter den merk¬
würdigste» Stätten der Welt. Hier haben wir einmal den seltene»
Fall, daß ein Stück Erde ebensoviel Belehrung als Vergnügen
bereitet; die Reise dahin ist das Entzücken aller Neugierigen, aber
noch viel ersprießlicher ist sie für den, der lernen will. Heute, wo fast die
Hälfte der Stadt freigelegt und es so bequem geworden ist, sie zu durchstreifen,
liegt die Frage nahe: welcher Art ist eigentlich der Nutzen, den wir aus ihrem
Besuche ziehen können, und was lehrt sie insbesondere denen, welche ihr ein
ernsthaftes Studium widmen?

Der große Nutzen Pompejis liegt meines Trachtens darin, daß es uns
mit dem Prvvinzialleben des römischen Reiches bekannt macht. Wie man in
Rom seine Zeit verbrachte, wissen wir sehr gut; geben uns doch hierüber die
alten Schriftsteller die genauesten Mitteilungen in reicher Fülle. Mit den
Briefen Ciceros können wir uns veranschaulichen, wie ein Staatsmann seinen
Tag verlebte. Die Satiren des Horaz schildern uns mit handgreiflicher Lebendig¬
keit das Dasein eines müßigen Schlenderers, dessen Hauptbeschäftigung darin
bestand, daß er ans dein Forum oder längs der Heiligen Straße spazieren ging,
Mlf dem Marsfelde deu Ballspielen, zusah, mit den Kornhändlern oder Gemüse¬
verkäufern plauderte und abends den Marktschreiern und Wahrsagern zuhörte.
Der weit indiskretere Juvenal läßt uns in das Innere einer gräulichen Schenke
eine» Blick thun, des Stelldichein der Matrosen, der Diebe und der flüchtigen
Sklaven, in dessen Tiefe die Leichenträger Seite an Seite mit den Bettelpriestern
der Großen Göttin schlafen. Fast unbekannt dagegen ist uns das Leben in der
Provinz.Wahrscheinlich würde» wir es besser kennen, wenn uns das ganze
lateinische Theater erhalten wäre. Die Bewohner der Großstädte spotten gern über
die lächerlichen Seiten der kleinen Städte; so ist die Annahme berechtigt, daß die
Verfasser der mimischen Schauspiele und der Atellauen einen so dankbaren komischen
Stoff sich »icht werden haben entgehen lassen. Dafür sprechen auch die Titel
einiger ihrer Stücke und die kurzen Fragmente, die davon übrig sind. Pomponius



") Ich meine „Provinz" hier im deutschon Sinne, also alles, was nicht Rom war,
demnach Italien so gut wie Gallien oder Spanien. Die Römer machten einen Unterschied
und verstanden unter provinvi-i, nicht Italien.
Grenzboten II. 1883. 31
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[0249] pompejanische Spaziergänge. von Ludwig Meyer. 2. le neuen Entdeckung», die sich den seit anderthalb Jahrhunderten gemachten anreihe», sicher» Pompeji eine» Ehrenplatz unter den merk¬ würdigste» Stätten der Welt. Hier haben wir einmal den seltene» Fall, daß ein Stück Erde ebensoviel Belehrung als Vergnügen bereitet; die Reise dahin ist das Entzücken aller Neugierigen, aber noch viel ersprießlicher ist sie für den, der lernen will. Heute, wo fast die Hälfte der Stadt freigelegt und es so bequem geworden ist, sie zu durchstreifen, liegt die Frage nahe: welcher Art ist eigentlich der Nutzen, den wir aus ihrem Besuche ziehen können, und was lehrt sie insbesondere denen, welche ihr ein ernsthaftes Studium widmen? Der große Nutzen Pompejis liegt meines Trachtens darin, daß es uns mit dem Prvvinzialleben des römischen Reiches bekannt macht. Wie man in Rom seine Zeit verbrachte, wissen wir sehr gut; geben uns doch hierüber die alten Schriftsteller die genauesten Mitteilungen in reicher Fülle. Mit den Briefen Ciceros können wir uns veranschaulichen, wie ein Staatsmann seinen Tag verlebte. Die Satiren des Horaz schildern uns mit handgreiflicher Lebendig¬ keit das Dasein eines müßigen Schlenderers, dessen Hauptbeschäftigung darin bestand, daß er ans dein Forum oder längs der Heiligen Straße spazieren ging, Mlf dem Marsfelde deu Ballspielen, zusah, mit den Kornhändlern oder Gemüse¬ verkäufern plauderte und abends den Marktschreiern und Wahrsagern zuhörte. Der weit indiskretere Juvenal läßt uns in das Innere einer gräulichen Schenke eine» Blick thun, des Stelldichein der Matrosen, der Diebe und der flüchtigen Sklaven, in dessen Tiefe die Leichenträger Seite an Seite mit den Bettelpriestern der Großen Göttin schlafen. Fast unbekannt dagegen ist uns das Leben in der Provinz.Wahrscheinlich würde» wir es besser kennen, wenn uns das ganze lateinische Theater erhalten wäre. Die Bewohner der Großstädte spotten gern über die lächerlichen Seiten der kleinen Städte; so ist die Annahme berechtigt, daß die Verfasser der mimischen Schauspiele und der Atellauen einen so dankbaren komischen Stoff sich »icht werden haben entgehen lassen. Dafür sprechen auch die Titel einiger ihrer Stücke und die kurzen Fragmente, die davon übrig sind. Pomponius ") Ich meine „Provinz" hier im deutschon Sinne, also alles, was nicht Rom war, demnach Italien so gut wie Gallien oder Spanien. Die Römer machten einen Unterschied und verstanden unter provinvi-i, nicht Italien. Grenzboten II. 1883. 31

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 42, 1883, Zweites Quartal, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341837_152756/249>, abgerufen am 29.06.2024.