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Die Grenzboten. Jg. 42, 1883, Zweites Quartal.

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Die Grafen von Altenschwerdt.
August Niemann Roman von(Gotha).
(Fortsetzung.)
Einundzwanzigstes Aapitel.

le Stadt Holzfurt befand sich seit einiger Zeit in einer gewissen
Aufregung. In den geselligen Vereinigungen, welche sich einer¬
seits um das schäumende Bier an bestimmten ehrwürdigen, durch
die Tradition geheiligten Tischen, andrerseits um die fleißig krei¬
sende Kaffeekanne versammelten, steckten Männchen und Weibchen
die Köpfe zusammen und tauschten lebhafter als gewöhnlich ihre Meinungen
aus. Gewichtige Häupter beider Geschlechter neigten sich hin und her mit jener
bedeutungsvollen Beugung, welche dem Bedenken und der Mißbilligung Aus¬
druck giebt.

Das tägliche Labsal vieler wissensdurstigen Seelen, eine der papiernen
Verbindungen zwischen Holzfurt und der großen Welt, die "Holzfurter Nach¬
richten," zeigten eine eigentümliche und anstößige Veränderung. Es wurden
Gedanken in dieser sonst so sauber redigirten Zeitung ausgesprochen, von denen
die gediegensten Politiker und anerkanntesten Denker der Stammtische behaupteten,
daß sie nie zuvor in Holzfurt ausgesprochen worden seien und von denen sie ge¬
hofft hatten, daß sie hier niemals ausgesprochen werden würden. Dieses sollst
so anständige Blatt, welches bis jetzt in jedem Hause hatte gelesen werden
können, ohne daß Gefahr vorhanden war, irgend eines Hausgenossen Gemüts¬
zustand zu erschüttern, schien plötzlich von einem Geiste ergriffen zu sein, der
auf der bedenklichsten Irrfahrt wandelte. Es ward eine Schärfe des Ausdrucks,
eine Entschiedenheit der Ansicht in den Leitartikeln bemerklich, welche nur
noch wenigen der Leser erlaubte, über den Sinn derselben in Unklarheit zu
bleiben.

Aber schlimmer als das: innerhalb von neun Tagen waren dreimal Artikel
im Feuilleton erschienen, welche in nummerirten Abschnitten, unter den rö-


Grcuzbvlcu II. 1683. 26


Die Grafen von Altenschwerdt.
August Niemann Roman von(Gotha).
(Fortsetzung.)
Einundzwanzigstes Aapitel.

le Stadt Holzfurt befand sich seit einiger Zeit in einer gewissen
Aufregung. In den geselligen Vereinigungen, welche sich einer¬
seits um das schäumende Bier an bestimmten ehrwürdigen, durch
die Tradition geheiligten Tischen, andrerseits um die fleißig krei¬
sende Kaffeekanne versammelten, steckten Männchen und Weibchen
die Köpfe zusammen und tauschten lebhafter als gewöhnlich ihre Meinungen
aus. Gewichtige Häupter beider Geschlechter neigten sich hin und her mit jener
bedeutungsvollen Beugung, welche dem Bedenken und der Mißbilligung Aus¬
druck giebt.

Das tägliche Labsal vieler wissensdurstigen Seelen, eine der papiernen
Verbindungen zwischen Holzfurt und der großen Welt, die „Holzfurter Nach¬
richten," zeigten eine eigentümliche und anstößige Veränderung. Es wurden
Gedanken in dieser sonst so sauber redigirten Zeitung ausgesprochen, von denen
die gediegensten Politiker und anerkanntesten Denker der Stammtische behaupteten,
daß sie nie zuvor in Holzfurt ausgesprochen worden seien und von denen sie ge¬
hofft hatten, daß sie hier niemals ausgesprochen werden würden. Dieses sollst
so anständige Blatt, welches bis jetzt in jedem Hause hatte gelesen werden
können, ohne daß Gefahr vorhanden war, irgend eines Hausgenossen Gemüts¬
zustand zu erschüttern, schien plötzlich von einem Geiste ergriffen zu sein, der
auf der bedenklichsten Irrfahrt wandelte. Es ward eine Schärfe des Ausdrucks,
eine Entschiedenheit der Ansicht in den Leitartikeln bemerklich, welche nur
noch wenigen der Leser erlaubte, über den Sinn derselben in Unklarheit zu
bleiben.

Aber schlimmer als das: innerhalb von neun Tagen waren dreimal Artikel
im Feuilleton erschienen, welche in nummerirten Abschnitten, unter den rö-


Grcuzbvlcu II. 1683. 26
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[0209] [Abbildung] Die Grafen von Altenschwerdt. August Niemann Roman von(Gotha). (Fortsetzung.) Einundzwanzigstes Aapitel. le Stadt Holzfurt befand sich seit einiger Zeit in einer gewissen Aufregung. In den geselligen Vereinigungen, welche sich einer¬ seits um das schäumende Bier an bestimmten ehrwürdigen, durch die Tradition geheiligten Tischen, andrerseits um die fleißig krei¬ sende Kaffeekanne versammelten, steckten Männchen und Weibchen die Köpfe zusammen und tauschten lebhafter als gewöhnlich ihre Meinungen aus. Gewichtige Häupter beider Geschlechter neigten sich hin und her mit jener bedeutungsvollen Beugung, welche dem Bedenken und der Mißbilligung Aus¬ druck giebt. Das tägliche Labsal vieler wissensdurstigen Seelen, eine der papiernen Verbindungen zwischen Holzfurt und der großen Welt, die „Holzfurter Nach¬ richten," zeigten eine eigentümliche und anstößige Veränderung. Es wurden Gedanken in dieser sonst so sauber redigirten Zeitung ausgesprochen, von denen die gediegensten Politiker und anerkanntesten Denker der Stammtische behaupteten, daß sie nie zuvor in Holzfurt ausgesprochen worden seien und von denen sie ge¬ hofft hatten, daß sie hier niemals ausgesprochen werden würden. Dieses sollst so anständige Blatt, welches bis jetzt in jedem Hause hatte gelesen werden können, ohne daß Gefahr vorhanden war, irgend eines Hausgenossen Gemüts¬ zustand zu erschüttern, schien plötzlich von einem Geiste ergriffen zu sein, der auf der bedenklichsten Irrfahrt wandelte. Es ward eine Schärfe des Ausdrucks, eine Entschiedenheit der Ansicht in den Leitartikeln bemerklich, welche nur noch wenigen der Leser erlaubte, über den Sinn derselben in Unklarheit zu bleiben. Aber schlimmer als das: innerhalb von neun Tagen waren dreimal Artikel im Feuilleton erschienen, welche in nummerirten Abschnitten, unter den rö- Grcuzbvlcu II. 1683. 26

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 42, 1883, Zweites Quartal, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341837_152756/209>, abgerufen am 29.06.2024.