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Die Grenzboten. Jg. 42, 1883, Zweites Quartal.

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Pompejanische Spaziergänge.

So denkt die wahre Vagabundennatur, die, von Genuß zu Begierde taumelnd,
sich gegen den Ernst des kurzen, flüchtigen Erdenlebens abstumpft und dabei
allmählich auf den Gipfel aller Frevel gelangt. Nach diesem wüsten Leben,
das der Sträfling geführt, empfängt plötzlich Einsamkeit den Verbrecher in den
kahlen Wänden seiner Zelle!

Indeß auch die Anwendung der Einzelhaft darf über eine gewisse Zeit¬
grenze hinaus nicht ausgedehnt werden, wenn man nicht die unleugbar guten
und heilsamen Wirkungen dieser Strafart auf den Besferungsprozeß wieder in
Frage stellen und außerdem große Gefahren für die geistige und leibliche Ge¬
sundheit des Gefangenen heraufbeschwören will. Das Verdienst, ein Strafsystem
zum Abschluß gebracht zu haben, welches darauf Bedacht nimmt, die Vorzüge
der Einzelhaft zu verwerten und ihre Nachteile zu vermeide", gebührt dem Ka¬
pitän Walter Crofton, Mitgliede und Präsidenten des im Jahre 1853 für die
Leitung des Gefängniswesens in Irland errichteten Direktorenhofs. Was andre
an guten Ideen hie und da auf englischem Boden vor ihm entwickelt oder that¬
sächlich ausgeführt haben, verband er mit kundigem Blick und mit fester Hand
zu einem einheitlichen System. Die traurigen Notstände in Irland, der über
alle Beschreibung trostlose Zustand der irischen Gefängnisse, welche bis zur Mitte
unsers Jahrhunderts als wahre Brutstätten verbrecherischen Lebens, sittlicher
Verpestung und physischen Verderbens sich charakterisirten, worin Krankheit und
Tod reiche Ernte hielten, erheischten schleunige Abhilfe. In dem Kopfe des
edeln Mannes, den die Königin von England in Anerkennung seiner Verdienste
zum Baronet ernannte, reifte der grundlegende Gedanke, die Sträflinge in ge¬
ordnetem Stufengange allmählich von der straffster Zucht zu äußerlicher Un-
gebundenheit überzuleiten und mit jedem Stadium die innern Kräfte des Wider¬
standes gegen das Böse zu stärken. (Schluß folgt.)




pompejanische Spaziergänge.
von Ludwig Meyer. 1.

o viel auch schon über Pompeji gesagt worden, so bleibt doch
immer noch viel darüber zu sagen übrig. Die Ausgrabungen
dauern fort und sind ergiebig nach wie vor. Seit 1863 stehen sie
unter der Leitung Fiorelli's, eines der hervorragendsten Archäologen
Italiens -- ein seltenes Glück, das die erfreulichsten Ergebnisse
gehabt hat. Wer Pompeji seit achtzehn Jahren nicht wiedergesehen hat, den wird


Pompejanische Spaziergänge.

So denkt die wahre Vagabundennatur, die, von Genuß zu Begierde taumelnd,
sich gegen den Ernst des kurzen, flüchtigen Erdenlebens abstumpft und dabei
allmählich auf den Gipfel aller Frevel gelangt. Nach diesem wüsten Leben,
das der Sträfling geführt, empfängt plötzlich Einsamkeit den Verbrecher in den
kahlen Wänden seiner Zelle!

Indeß auch die Anwendung der Einzelhaft darf über eine gewisse Zeit¬
grenze hinaus nicht ausgedehnt werden, wenn man nicht die unleugbar guten
und heilsamen Wirkungen dieser Strafart auf den Besferungsprozeß wieder in
Frage stellen und außerdem große Gefahren für die geistige und leibliche Ge¬
sundheit des Gefangenen heraufbeschwören will. Das Verdienst, ein Strafsystem
zum Abschluß gebracht zu haben, welches darauf Bedacht nimmt, die Vorzüge
der Einzelhaft zu verwerten und ihre Nachteile zu vermeide», gebührt dem Ka¬
pitän Walter Crofton, Mitgliede und Präsidenten des im Jahre 1853 für die
Leitung des Gefängniswesens in Irland errichteten Direktorenhofs. Was andre
an guten Ideen hie und da auf englischem Boden vor ihm entwickelt oder that¬
sächlich ausgeführt haben, verband er mit kundigem Blick und mit fester Hand
zu einem einheitlichen System. Die traurigen Notstände in Irland, der über
alle Beschreibung trostlose Zustand der irischen Gefängnisse, welche bis zur Mitte
unsers Jahrhunderts als wahre Brutstätten verbrecherischen Lebens, sittlicher
Verpestung und physischen Verderbens sich charakterisirten, worin Krankheit und
Tod reiche Ernte hielten, erheischten schleunige Abhilfe. In dem Kopfe des
edeln Mannes, den die Königin von England in Anerkennung seiner Verdienste
zum Baronet ernannte, reifte der grundlegende Gedanke, die Sträflinge in ge¬
ordnetem Stufengange allmählich von der straffster Zucht zu äußerlicher Un-
gebundenheit überzuleiten und mit jedem Stadium die innern Kräfte des Wider¬
standes gegen das Böse zu stärken. (Schluß folgt.)




pompejanische Spaziergänge.
von Ludwig Meyer. 1.

o viel auch schon über Pompeji gesagt worden, so bleibt doch
immer noch viel darüber zu sagen übrig. Die Ausgrabungen
dauern fort und sind ergiebig nach wie vor. Seit 1863 stehen sie
unter der Leitung Fiorelli's, eines der hervorragendsten Archäologen
Italiens — ein seltenes Glück, das die erfreulichsten Ergebnisse
gehabt hat. Wer Pompeji seit achtzehn Jahren nicht wiedergesehen hat, den wird


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[0186] Pompejanische Spaziergänge. So denkt die wahre Vagabundennatur, die, von Genuß zu Begierde taumelnd, sich gegen den Ernst des kurzen, flüchtigen Erdenlebens abstumpft und dabei allmählich auf den Gipfel aller Frevel gelangt. Nach diesem wüsten Leben, das der Sträfling geführt, empfängt plötzlich Einsamkeit den Verbrecher in den kahlen Wänden seiner Zelle! Indeß auch die Anwendung der Einzelhaft darf über eine gewisse Zeit¬ grenze hinaus nicht ausgedehnt werden, wenn man nicht die unleugbar guten und heilsamen Wirkungen dieser Strafart auf den Besferungsprozeß wieder in Frage stellen und außerdem große Gefahren für die geistige und leibliche Ge¬ sundheit des Gefangenen heraufbeschwören will. Das Verdienst, ein Strafsystem zum Abschluß gebracht zu haben, welches darauf Bedacht nimmt, die Vorzüge der Einzelhaft zu verwerten und ihre Nachteile zu vermeide», gebührt dem Ka¬ pitän Walter Crofton, Mitgliede und Präsidenten des im Jahre 1853 für die Leitung des Gefängniswesens in Irland errichteten Direktorenhofs. Was andre an guten Ideen hie und da auf englischem Boden vor ihm entwickelt oder that¬ sächlich ausgeführt haben, verband er mit kundigem Blick und mit fester Hand zu einem einheitlichen System. Die traurigen Notstände in Irland, der über alle Beschreibung trostlose Zustand der irischen Gefängnisse, welche bis zur Mitte unsers Jahrhunderts als wahre Brutstätten verbrecherischen Lebens, sittlicher Verpestung und physischen Verderbens sich charakterisirten, worin Krankheit und Tod reiche Ernte hielten, erheischten schleunige Abhilfe. In dem Kopfe des edeln Mannes, den die Königin von England in Anerkennung seiner Verdienste zum Baronet ernannte, reifte der grundlegende Gedanke, die Sträflinge in ge¬ ordnetem Stufengange allmählich von der straffster Zucht zu äußerlicher Un- gebundenheit überzuleiten und mit jedem Stadium die innern Kräfte des Wider¬ standes gegen das Böse zu stärken. (Schluß folgt.) pompejanische Spaziergänge. von Ludwig Meyer. 1. o viel auch schon über Pompeji gesagt worden, so bleibt doch immer noch viel darüber zu sagen übrig. Die Ausgrabungen dauern fort und sind ergiebig nach wie vor. Seit 1863 stehen sie unter der Leitung Fiorelli's, eines der hervorragendsten Archäologen Italiens — ein seltenes Glück, das die erfreulichsten Ergebnisse gehabt hat. Wer Pompeji seit achtzehn Jahren nicht wiedergesehen hat, den wird

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 42, 1883, Zweites Quartal, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341837_152756/186>, abgerufen am 29.06.2024.