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Die Grenzboten. Jg. 42, 1883, Zweites Quartal.

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Die Grafen von Altenschwerdt.

wendig zu machen, das ich Ihnen gegeben habe, teurer Freund, und wenn ich
mir klar mache, daß der Widerstand, den mein Vater ganz gewiß meiner Neigung
entgegensetzen wird, sobald er davon weiß, gegenwärtig schon eine positive Ge¬
stalt annehmen kann, indem er mir eine standesgemäße Partie aussucht, so ist
diese Einsicht nur geeignet, mich in meiner Treue zu befestigen. Ich spreche
Ihnen dies nur deshalb aus, weil ich Sie ans die Notwendigkeit der Vorsicht
aufmerksam machen will. Ach, warum bedarf es doch der Klugheit, wo es sich
um das erste und heiligste Gesetz der Natur handelt! Ach, warum machen sich
die Menschen die Erfüllung ihrer ersten Pflichten so schwer! Ach, wie groß
sind doch die Hindernisse des Glückes, die wir uns selbst dnrch unsre Vorur¬
teile bereiten! Ihre Antwort, mein teurer Freund, richten Sie an Degenhard
in drei Umschlägen, deren zweiter an Millicent adressirt ist.




Zwanzigstes Aapitel.

Als Dorothea diesen Brief den Händen der vertrauten Millicent über¬
gebe" hatte, setzte sie sich auf ihren Lieblingsplatz in der Fensternische und ver¬
senkte sich in Nachdenken über die Aufnahme, welche ihre Zeilen bei Eberhardt
finden würden. Sie sah ihn erschrocken und traurig, indem er las, daß seinem
unbefangenen Kommen und Gehen in Eichhansen ein Ziel gesetzt würde, und
sah ihn unruhig die drohenden Gefahren überdenken. Dann wandte sie ihr
Nachdenken der Szene zu, die sie mit ihrem Vater gehabt hatte, und überlegte,
welche Mittel wohl die Gräfin angewendet habe" könne, um Eberhardt zu ver¬
dächtigen. Waren es vage Aussprüche, Verleumdungen von ungreifbarer
Form, die sie in des Vaters Ohr hatte fallen lassen, oder hatte sie einen
bestimmten Punkt hervorgehoben, indem sie irgend eine Thatsache zu ihren
Zwecken verdrehte?

Bei diesem Nachdenken fiel ihr ein, was Eberhardt hinsichtlich seiner
Mutter und seiner in Amerika verlebten Jugend mitgeteilt hatte, und gewisse
Bemerkungen über die eigentümlichen Sitten der Shaker, welche sie ohne nähere
Beziehungen zu seiner Mutter aufgefaßt hatte, erhielten nunmehr eine besondre
Bedeutung. Es tauchte die Erinnerung in ihr auf, daß Eberhardt niemals
von seinem Vater und seiner Familie gesprochen habe, daß er überhaupt so
äußerst sparsam in seinen Mitteilungen über seine Herkunft und Vergangen¬
heit sei.

Dorothecns Herz schwoll von Mitgefühl, indem sie überlegte, daß ein so
hoher Sinn wie der Eberhcirdts vielleicht von einer Schuld bedrückt werde,
die seine Eltern auf sich geladen hätten, und sie empfand eine stolze Verachtung
gegen die Gräfin, welche etwa diese Schuld kenne und zu einer Verdächtigung
benutze. Sie empfand in ihrer kühnen Sinnesart eine stolze Verachtung solcher
Vorurteile, welche imstande wären, in der Meinung der Welt einer so manu-


Die Grafen von Altenschwerdt.

wendig zu machen, das ich Ihnen gegeben habe, teurer Freund, und wenn ich
mir klar mache, daß der Widerstand, den mein Vater ganz gewiß meiner Neigung
entgegensetzen wird, sobald er davon weiß, gegenwärtig schon eine positive Ge¬
stalt annehmen kann, indem er mir eine standesgemäße Partie aussucht, so ist
diese Einsicht nur geeignet, mich in meiner Treue zu befestigen. Ich spreche
Ihnen dies nur deshalb aus, weil ich Sie ans die Notwendigkeit der Vorsicht
aufmerksam machen will. Ach, warum bedarf es doch der Klugheit, wo es sich
um das erste und heiligste Gesetz der Natur handelt! Ach, warum machen sich
die Menschen die Erfüllung ihrer ersten Pflichten so schwer! Ach, wie groß
sind doch die Hindernisse des Glückes, die wir uns selbst dnrch unsre Vorur¬
teile bereiten! Ihre Antwort, mein teurer Freund, richten Sie an Degenhard
in drei Umschlägen, deren zweiter an Millicent adressirt ist.




Zwanzigstes Aapitel.

Als Dorothea diesen Brief den Händen der vertrauten Millicent über¬
gebe» hatte, setzte sie sich auf ihren Lieblingsplatz in der Fensternische und ver¬
senkte sich in Nachdenken über die Aufnahme, welche ihre Zeilen bei Eberhardt
finden würden. Sie sah ihn erschrocken und traurig, indem er las, daß seinem
unbefangenen Kommen und Gehen in Eichhansen ein Ziel gesetzt würde, und
sah ihn unruhig die drohenden Gefahren überdenken. Dann wandte sie ihr
Nachdenken der Szene zu, die sie mit ihrem Vater gehabt hatte, und überlegte,
welche Mittel wohl die Gräfin angewendet habe» könne, um Eberhardt zu ver¬
dächtigen. Waren es vage Aussprüche, Verleumdungen von ungreifbarer
Form, die sie in des Vaters Ohr hatte fallen lassen, oder hatte sie einen
bestimmten Punkt hervorgehoben, indem sie irgend eine Thatsache zu ihren
Zwecken verdrehte?

Bei diesem Nachdenken fiel ihr ein, was Eberhardt hinsichtlich seiner
Mutter und seiner in Amerika verlebten Jugend mitgeteilt hatte, und gewisse
Bemerkungen über die eigentümlichen Sitten der Shaker, welche sie ohne nähere
Beziehungen zu seiner Mutter aufgefaßt hatte, erhielten nunmehr eine besondre
Bedeutung. Es tauchte die Erinnerung in ihr auf, daß Eberhardt niemals
von seinem Vater und seiner Familie gesprochen habe, daß er überhaupt so
äußerst sparsam in seinen Mitteilungen über seine Herkunft und Vergangen¬
heit sei.

Dorothecns Herz schwoll von Mitgefühl, indem sie überlegte, daß ein so
hoher Sinn wie der Eberhcirdts vielleicht von einer Schuld bedrückt werde,
die seine Eltern auf sich geladen hätten, und sie empfand eine stolze Verachtung
gegen die Gräfin, welche etwa diese Schuld kenne und zu einer Verdächtigung
benutze. Sie empfand in ihrer kühnen Sinnesart eine stolze Verachtung solcher
Vorurteile, welche imstande wären, in der Meinung der Welt einer so manu-


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 42, 1883, Zweites Quartal, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341837_152756/159>, abgerufen am 29.06.2024.