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Die Grenzboten. Jg. 42, 1883, Zweites Quartal.

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Die Grafen von Altenschwerdt.

lichen Erscheinung, einem so untadligen Charakter, wie sie sich in diesem ideal¬
gesinnten Künstler aussprachen, einen Makel anzuheften.

Aber sie, Dorothea, wollte sich in Spinngeweben nicht fangen lassen. Die
Verachtung stählte ihr Gemüt, und ihre blassen Wangen röteten sich bei dem
festen Entschlüsse, sich durch nichts schrecken zu lassen, sondern den feindseligen
Verhältnissen mutig entgegenzugehen. Er ist nicht reich und vornehm, sagte
sich Dorothea, und er wird verachtet. Aber ich kenne seinen Wert, und je
mehr er von euch verkannt wird, desto höher soll ihn meine Liebe heben.

Während sie so dem Schicksal ihres Briefes und dem Schicksal ihrer Liebe
nachsann, während ihr Brief selbst in der Tasche eines schnellfüßigen Boten
seiner Bestimmung entgegeneilte, hatte Eberhardt seinerseits einen Entschluß ge¬
faßt und war schon im Begriff, ihn auszuführen. Die Ahnnugslvsigkeit, welche
er am vergangenen Abend Dorothea gegenüber gezeigt hatte, war nur eine
äußerliche gewesen, und er hatte schon gestern klar gesehen in Dingen, die dem
jungen Mädchen notwendigerweise unverständlich bleiben mußten.

Er begab sich um die Mittagsstunde nach Fischbeck und ließ sich bei Gräfin
Sibylle anmelden.

Das Zimmer, worin er empfangen wurde, war in halbe Dämmerung ge¬
hüllt. Die Gräfin hatte die Vorhänge vorgezogen, um den Sonnenstrahlen
den Eintritt zu verschließen, die für ihren noch immer schmerzenden Kopf peinlich
waren. Das gedämpfte, rötliche Licht, welches hierdurch entstand, war nicht allein
für ihr Befinden angenehm, sondern ließ auch ihr Gesicht vorteilhaft erscheinen.
Nach einer schlaflosen Nacht, deren Spuren sich in bläulichen Ringen nnter ihren
Augen zeigten, war ihr dies sehr wünschenswert.

Sie erhob sich vom Sopha, als Eberhardt eintrat, und ging ihm einige
Schritte entgegen. Der Geruch von Valerianaäther, der sie umgab, verriet ihm,
daß ihre Nerven angegriffen genug waren, um ihr den Gebrauch belebender
Mittel notwendig zu machen. Sie war in einen weichen Schlafrock gehüllt,
der in seinen großen Palmetten das rötliche Grau der echten indischen Shawls
zeigte, und trug auf dem schwarzen Haar eine rahmfarbene Spitzenhaube. Mit
leiser Stimme, welche ihrem leidenden Zustande Ausdruck geben sollte, lud sie
Eberhardt ein, neben dem Sopha Platz zu nehmen, und sie setzte sich ihrer Ge¬
wohnheit nach so, daß sie das Licht im Rücken hatte, während das Gesicht
ihres Gegenüber beleuchtet ward.

In höflicher Weise entschuldigte sie den Zustand ihrer Toilette und des
Zimmers mit ihrem Übeln Befinden und bat ihren Besucher, daraus, daß sie
ihn doch angenommen habe, zuerkennen, wie sehr ihr daran liege, ihn bei sich
zu sehen. Dieser Ton war so sehr von der geringschätzigen Art verschieden,
mit der sie ihn am Abend vorher in Schloß Eichhausen behandelt hatte, daß
es Eberhardt auffalle" mußte, und er sah darin einen deutlichen Beweis ihres
intriganten Charakters.


Die Grafen von Altenschwerdt.

lichen Erscheinung, einem so untadligen Charakter, wie sie sich in diesem ideal¬
gesinnten Künstler aussprachen, einen Makel anzuheften.

Aber sie, Dorothea, wollte sich in Spinngeweben nicht fangen lassen. Die
Verachtung stählte ihr Gemüt, und ihre blassen Wangen röteten sich bei dem
festen Entschlüsse, sich durch nichts schrecken zu lassen, sondern den feindseligen
Verhältnissen mutig entgegenzugehen. Er ist nicht reich und vornehm, sagte
sich Dorothea, und er wird verachtet. Aber ich kenne seinen Wert, und je
mehr er von euch verkannt wird, desto höher soll ihn meine Liebe heben.

Während sie so dem Schicksal ihres Briefes und dem Schicksal ihrer Liebe
nachsann, während ihr Brief selbst in der Tasche eines schnellfüßigen Boten
seiner Bestimmung entgegeneilte, hatte Eberhardt seinerseits einen Entschluß ge¬
faßt und war schon im Begriff, ihn auszuführen. Die Ahnnugslvsigkeit, welche
er am vergangenen Abend Dorothea gegenüber gezeigt hatte, war nur eine
äußerliche gewesen, und er hatte schon gestern klar gesehen in Dingen, die dem
jungen Mädchen notwendigerweise unverständlich bleiben mußten.

Er begab sich um die Mittagsstunde nach Fischbeck und ließ sich bei Gräfin
Sibylle anmelden.

Das Zimmer, worin er empfangen wurde, war in halbe Dämmerung ge¬
hüllt. Die Gräfin hatte die Vorhänge vorgezogen, um den Sonnenstrahlen
den Eintritt zu verschließen, die für ihren noch immer schmerzenden Kopf peinlich
waren. Das gedämpfte, rötliche Licht, welches hierdurch entstand, war nicht allein
für ihr Befinden angenehm, sondern ließ auch ihr Gesicht vorteilhaft erscheinen.
Nach einer schlaflosen Nacht, deren Spuren sich in bläulichen Ringen nnter ihren
Augen zeigten, war ihr dies sehr wünschenswert.

Sie erhob sich vom Sopha, als Eberhardt eintrat, und ging ihm einige
Schritte entgegen. Der Geruch von Valerianaäther, der sie umgab, verriet ihm,
daß ihre Nerven angegriffen genug waren, um ihr den Gebrauch belebender
Mittel notwendig zu machen. Sie war in einen weichen Schlafrock gehüllt,
der in seinen großen Palmetten das rötliche Grau der echten indischen Shawls
zeigte, und trug auf dem schwarzen Haar eine rahmfarbene Spitzenhaube. Mit
leiser Stimme, welche ihrem leidenden Zustande Ausdruck geben sollte, lud sie
Eberhardt ein, neben dem Sopha Platz zu nehmen, und sie setzte sich ihrer Ge¬
wohnheit nach so, daß sie das Licht im Rücken hatte, während das Gesicht
ihres Gegenüber beleuchtet ward.

In höflicher Weise entschuldigte sie den Zustand ihrer Toilette und des
Zimmers mit ihrem Übeln Befinden und bat ihren Besucher, daraus, daß sie
ihn doch angenommen habe, zuerkennen, wie sehr ihr daran liege, ihn bei sich
zu sehen. Dieser Ton war so sehr von der geringschätzigen Art verschieden,
mit der sie ihn am Abend vorher in Schloß Eichhausen behandelt hatte, daß
es Eberhardt auffalle» mußte, und er sah darin einen deutlichen Beweis ihres
intriganten Charakters.


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 42, 1883, Zweites Quartal, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341837_152756/160>, abgerufen am 01.07.2024.