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Die Grenzboten. Jg. 42, 1883, Zweites Quartal.

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(An neuer Lessingmythus.

uthentische Beiträge zum Leben Lessings während seines Wolfen-
büttler Aufenthalts lvcrden gewiß von jedem Freunde unserer
Literatur, zumal wenn sie, wie ein eben erschienenes Büchlein
"Lessing in Wolfenbüttel" von sich behauptet/') neues Licht in
den letzten Lebensabschnitt des großen Dichters und Denkers
bringen sollen, mit aufrichtiger Freude begrüßt lvcrden. Haben sich doch über
die Behandlung, welche Lessing von Brannschweigischer Seite erfahren, durch eine
oberflächliche, vielleicht gar absichtlich entstellende Geschichtschreibung mancherlei
Irrtümer und schiese Auffassungen verbreitet, die sich sogar in Werken,
welche Anspruch auf Wissenschaftlichkeit erheben, zum Teil noch immer er¬
halten. Es ist das Verdienst F. Sonnenburgs, einige dieser Vorurteile, vor
allem die Anklage, Lessing sei in Wolfenbüttel in Bezug auf Gehalt u. s. w.
schlecht gestellt gewesen, wohl endgiltig beseitigt zu haben. **) Aber noch manche
Fragen dieser Art harren der Erledigung. So wäre es gewiß von Interesse,
die in dem Wolfenbüttel und Braunschweig jener Zeit herrschenden Zustände
einmal genauer beleuchtet,***) die Personen, welche mit Lessing nachweislich oder
vermutlich in Beziehung gestanden haben, näher charakterisirt zu sehen, etwa in
der Weise, wie dies von dem Weimar Goethes und Schillers durch Ad. Schöll
u. A. geschehen ist.

Der Verfasser des vorliegenden Bändchens Alexander von Seventornen hat
offenbar die 'Absicht, diese Lücke durch kleine, novellcnartig angelegte Kulturbilder
auszufüllen. Sorgsam verzeichnet er im Anfange seine Quellen, ein anscheinend
sehr reiches Material, das mancherlei neue Aufschlüsse zu verheißen scheint, und
mehrfach versichert er unter dem Texte, seine Behauptungen seien sicher beglaubigt.
So wird der arglose Leser leicht in den Glauben gewiegt, daß alles, was er
hier erführe, auf gründlichen Studien beruhe, daß er ein richtiges Bild des
Braunschweig-Wolfenbüttler Lebens aus dem Jahre 1780 empfange. Das ist
aber, wie im nachfolgenden bewiesen werden soll, durchaus nicht der Fall. Das





LcssinginWolfenbüttel. Authentische Beiträge zum Leben Lessings. 1. Bändchen.
Ein Nachmittag auf dem Weghausc von Alexander von Seventornen. Leipzig, Ed.
Wartig's Verlag (Ernst Hoppe), 1383.
**) Gartenlaube 1881, Ur. 7. -- Westcrmcmns Monatshefte, Bd. 49, Ur. 293, S. 62S ff.
***) Einen wertvollen Beitrag hierfür lieferte Ludwig Hänselmann in seiner vor etwa
zwei Jahren erschienenen Gelegenheitsschrift: "Das erste Jahrhundert des Großen Klubs in
Braunschweig. Memorabilien auf den 1. November 1830." Braunschweig, 1830. -- Lessing
gehörte zu den Stiftern dieses Großen Klubs.
(An neuer Lessingmythus.

uthentische Beiträge zum Leben Lessings während seines Wolfen-
büttler Aufenthalts lvcrden gewiß von jedem Freunde unserer
Literatur, zumal wenn sie, wie ein eben erschienenes Büchlein
„Lessing in Wolfenbüttel" von sich behauptet/') neues Licht in
den letzten Lebensabschnitt des großen Dichters und Denkers
bringen sollen, mit aufrichtiger Freude begrüßt lvcrden. Haben sich doch über
die Behandlung, welche Lessing von Brannschweigischer Seite erfahren, durch eine
oberflächliche, vielleicht gar absichtlich entstellende Geschichtschreibung mancherlei
Irrtümer und schiese Auffassungen verbreitet, die sich sogar in Werken,
welche Anspruch auf Wissenschaftlichkeit erheben, zum Teil noch immer er¬
halten. Es ist das Verdienst F. Sonnenburgs, einige dieser Vorurteile, vor
allem die Anklage, Lessing sei in Wolfenbüttel in Bezug auf Gehalt u. s. w.
schlecht gestellt gewesen, wohl endgiltig beseitigt zu haben. **) Aber noch manche
Fragen dieser Art harren der Erledigung. So wäre es gewiß von Interesse,
die in dem Wolfenbüttel und Braunschweig jener Zeit herrschenden Zustände
einmal genauer beleuchtet,***) die Personen, welche mit Lessing nachweislich oder
vermutlich in Beziehung gestanden haben, näher charakterisirt zu sehen, etwa in
der Weise, wie dies von dem Weimar Goethes und Schillers durch Ad. Schöll
u. A. geschehen ist.

Der Verfasser des vorliegenden Bändchens Alexander von Seventornen hat
offenbar die 'Absicht, diese Lücke durch kleine, novellcnartig angelegte Kulturbilder
auszufüllen. Sorgsam verzeichnet er im Anfange seine Quellen, ein anscheinend
sehr reiches Material, das mancherlei neue Aufschlüsse zu verheißen scheint, und
mehrfach versichert er unter dem Texte, seine Behauptungen seien sicher beglaubigt.
So wird der arglose Leser leicht in den Glauben gewiegt, daß alles, was er
hier erführe, auf gründlichen Studien beruhe, daß er ein richtiges Bild des
Braunschweig-Wolfenbüttler Lebens aus dem Jahre 1780 empfange. Das ist
aber, wie im nachfolgenden bewiesen werden soll, durchaus nicht der Fall. Das





LcssinginWolfenbüttel. Authentische Beiträge zum Leben Lessings. 1. Bändchen.
Ein Nachmittag auf dem Weghausc von Alexander von Seventornen. Leipzig, Ed.
Wartig's Verlag (Ernst Hoppe), 1383.
**) Gartenlaube 1881, Ur. 7. — Westcrmcmns Monatshefte, Bd. 49, Ur. 293, S. 62S ff.
***) Einen wertvollen Beitrag hierfür lieferte Ludwig Hänselmann in seiner vor etwa
zwei Jahren erschienenen Gelegenheitsschrift: „Das erste Jahrhundert des Großen Klubs in
Braunschweig. Memorabilien auf den 1. November 1830." Braunschweig, 1830. — Lessing
gehörte zu den Stiftern dieses Großen Klubs.
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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 42, 1883, Zweites Quartal, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341837_152756/139>, abgerufen am 29.06.2024.