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Die Grenzboten. Jg. 42, 1883, Erstes Quartal.

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Über nationale Geschichtschreibung.
Rede zur Feier von Kaisersgeburtstag (am 1.7. März lM3), gehalten in der Aula der
Hans prutz. Albertus-Universität zu Königsberg von

n patriotischer Erhebung begehen wir heute den Tag, welcher dem
deutschen Volke deu sieggekröuten Begründer seiner Einheit, den
glorreichen Erneuerer seines Kaisertums geschenkt hat. Von neuem
gedenken wir da zunächst der unvergleichlich großen Thaten, durch
welche das so lange vergeblich Ersehnte endlich Wahrheit und
Wirklichkeit wurde. Mit tiefem Dankesgefühle werden wir uns dann des reichen
Segens bewußt, der unter der Sonne des vom Kaiser beschirmten Friedens
aus der blutigen Saat aufzugehen begann und an dem auch diese der Pflege
der Wissenschaft geweihte Stätte ihren wohlgemessenen Anteil empfangen hat
und noch fortdauernd empfängt.

Weiterhin aber steigt dann im Gegensatze dazu doch auch das ernste Bild
jener trüben Zeit noch einmal vor uns auf, in welche Anfang und Mitte dieses
thatenreichen Fürstenlebens gefallen sind. Wir sehen den königlichen Knaben,
wie auch über ihm die Trümmer des väterlichen Reiches zusammenzustürzen
drohen, wie er, vielleicht noch ohne ganz klares Bewußtsein von der Furchtbar¬
keit der Lage, doch einen für sein ganzes Leben entscheidenden Eindruck empfing
durch den tiefen Schmerz der königlichen Eltern, in welchem das Unglück des
Vaterlandes so überwältigend und dabei so menschlich wahr zum Ausdruck kam.
Und nach dem begeisterten Aufschwünge der Befreiungskriege, an deren letzten
Ereignissen dem königlichen Jüngling noch selbst thätig teilzunehmen vergönnt
war, durchmißt unsre Erinnerung dann die lange, trübe Zeit der Enttäuschungen,
der zunehmenden Entmutigung und des verstimmten Verzagens, in welcher das
deutsche Volk seine liebsten Hoffnungen scheitern, seine Ideale geächtet oder von
unreinen Händen entweiht sah, sodaß es ihm selbst nach einer erneuten, ver¬
zweifelten Anstrengung nicht gelingen wollte, den Bann zu brechen, der auf
seiner Entwicklung zu lasten schien und die Gestaltung des nationalen Staates
in unerreichbare Ferne hinauszuschieben drohte.

Und dann fühlen wir uns noch einmal umweht von jenem erquickenden
Hauche frischeren nationalen Lebens, welcher vor einem Vierteljahrhundert nach
langer erstickender Schwüle durch Preußen und Deutschland zu wehen begann,
als mutige, befreiende, zielbewußte Worte des Prinz-Regenten eine neue Ära
nationaler Politik einleiteten, demselben Hauche, welcher dann allmählich zu
dem luftreinigenden Sturmwinde erstarkte, vor dem alte Schmach Deutschlands
im Norden endlich verwehte, unter dessen Brausen das in heißem innern Kampfe


Über nationale Geschichtschreibung.
Rede zur Feier von Kaisersgeburtstag (am 1.7. März lM3), gehalten in der Aula der
Hans prutz. Albertus-Universität zu Königsberg von

n patriotischer Erhebung begehen wir heute den Tag, welcher dem
deutschen Volke deu sieggekröuten Begründer seiner Einheit, den
glorreichen Erneuerer seines Kaisertums geschenkt hat. Von neuem
gedenken wir da zunächst der unvergleichlich großen Thaten, durch
welche das so lange vergeblich Ersehnte endlich Wahrheit und
Wirklichkeit wurde. Mit tiefem Dankesgefühle werden wir uns dann des reichen
Segens bewußt, der unter der Sonne des vom Kaiser beschirmten Friedens
aus der blutigen Saat aufzugehen begann und an dem auch diese der Pflege
der Wissenschaft geweihte Stätte ihren wohlgemessenen Anteil empfangen hat
und noch fortdauernd empfängt.

Weiterhin aber steigt dann im Gegensatze dazu doch auch das ernste Bild
jener trüben Zeit noch einmal vor uns auf, in welche Anfang und Mitte dieses
thatenreichen Fürstenlebens gefallen sind. Wir sehen den königlichen Knaben,
wie auch über ihm die Trümmer des väterlichen Reiches zusammenzustürzen
drohen, wie er, vielleicht noch ohne ganz klares Bewußtsein von der Furchtbar¬
keit der Lage, doch einen für sein ganzes Leben entscheidenden Eindruck empfing
durch den tiefen Schmerz der königlichen Eltern, in welchem das Unglück des
Vaterlandes so überwältigend und dabei so menschlich wahr zum Ausdruck kam.
Und nach dem begeisterten Aufschwünge der Befreiungskriege, an deren letzten
Ereignissen dem königlichen Jüngling noch selbst thätig teilzunehmen vergönnt
war, durchmißt unsre Erinnerung dann die lange, trübe Zeit der Enttäuschungen,
der zunehmenden Entmutigung und des verstimmten Verzagens, in welcher das
deutsche Volk seine liebsten Hoffnungen scheitern, seine Ideale geächtet oder von
unreinen Händen entweiht sah, sodaß es ihm selbst nach einer erneuten, ver¬
zweifelten Anstrengung nicht gelingen wollte, den Bann zu brechen, der auf
seiner Entwicklung zu lasten schien und die Gestaltung des nationalen Staates
in unerreichbare Ferne hinauszuschieben drohte.

Und dann fühlen wir uns noch einmal umweht von jenem erquickenden
Hauche frischeren nationalen Lebens, welcher vor einem Vierteljahrhundert nach
langer erstickender Schwüle durch Preußen und Deutschland zu wehen begann,
als mutige, befreiende, zielbewußte Worte des Prinz-Regenten eine neue Ära
nationaler Politik einleiteten, demselben Hauche, welcher dann allmählich zu
dem luftreinigenden Sturmwinde erstarkte, vor dem alte Schmach Deutschlands
im Norden endlich verwehte, unter dessen Brausen das in heißem innern Kampfe


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[0675] Über nationale Geschichtschreibung. Rede zur Feier von Kaisersgeburtstag (am 1.7. März lM3), gehalten in der Aula der Hans prutz. Albertus-Universität zu Königsberg von n patriotischer Erhebung begehen wir heute den Tag, welcher dem deutschen Volke deu sieggekröuten Begründer seiner Einheit, den glorreichen Erneuerer seines Kaisertums geschenkt hat. Von neuem gedenken wir da zunächst der unvergleichlich großen Thaten, durch welche das so lange vergeblich Ersehnte endlich Wahrheit und Wirklichkeit wurde. Mit tiefem Dankesgefühle werden wir uns dann des reichen Segens bewußt, der unter der Sonne des vom Kaiser beschirmten Friedens aus der blutigen Saat aufzugehen begann und an dem auch diese der Pflege der Wissenschaft geweihte Stätte ihren wohlgemessenen Anteil empfangen hat und noch fortdauernd empfängt. Weiterhin aber steigt dann im Gegensatze dazu doch auch das ernste Bild jener trüben Zeit noch einmal vor uns auf, in welche Anfang und Mitte dieses thatenreichen Fürstenlebens gefallen sind. Wir sehen den königlichen Knaben, wie auch über ihm die Trümmer des väterlichen Reiches zusammenzustürzen drohen, wie er, vielleicht noch ohne ganz klares Bewußtsein von der Furchtbar¬ keit der Lage, doch einen für sein ganzes Leben entscheidenden Eindruck empfing durch den tiefen Schmerz der königlichen Eltern, in welchem das Unglück des Vaterlandes so überwältigend und dabei so menschlich wahr zum Ausdruck kam. Und nach dem begeisterten Aufschwünge der Befreiungskriege, an deren letzten Ereignissen dem königlichen Jüngling noch selbst thätig teilzunehmen vergönnt war, durchmißt unsre Erinnerung dann die lange, trübe Zeit der Enttäuschungen, der zunehmenden Entmutigung und des verstimmten Verzagens, in welcher das deutsche Volk seine liebsten Hoffnungen scheitern, seine Ideale geächtet oder von unreinen Händen entweiht sah, sodaß es ihm selbst nach einer erneuten, ver¬ zweifelten Anstrengung nicht gelingen wollte, den Bann zu brechen, der auf seiner Entwicklung zu lasten schien und die Gestaltung des nationalen Staates in unerreichbare Ferne hinauszuschieben drohte. Und dann fühlen wir uns noch einmal umweht von jenem erquickenden Hauche frischeren nationalen Lebens, welcher vor einem Vierteljahrhundert nach langer erstickender Schwüle durch Preußen und Deutschland zu wehen begann, als mutige, befreiende, zielbewußte Worte des Prinz-Regenten eine neue Ära nationaler Politik einleiteten, demselben Hauche, welcher dann allmählich zu dem luftreinigenden Sturmwinde erstarkte, vor dem alte Schmach Deutschlands im Norden endlich verwehte, unter dessen Brausen das in heißem innern Kampfe

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 42, 1883, Erstes Quartal, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341837_151310/675>, abgerufen am 03.07.2024.