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Die Grenzboten. Jg. 42, 1883, Erstes Quartal.

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Die Franzosen am Kongo uno in Madagaskar,

den Europäern gefährlich ist. Die Bevölkerung, welche von einigen nur auf
drei, von andern auf fünf Millionen Seelen geschätzt wird, gehört zum Teil
einer Rasse an, welche Verwandtschaft mit den Kaffern zeigt, redet aber nur
eine Sprache, die zu den malayischen Idiomen zu zählen ist. Die herrschenden
Stämme, die Hovas, sind hochgewachsene, breitschulterige Leute, die sich durch
physische Kraft und energischen Geist auszeichnen. Sie gleichen den Zulus an
Mut und Ausdauer, sind denselben aber sonst in vielen Beziehungen überlegen.
Es ist daher nicht zu erwarten, daß die Eroberung der Insel den Franzosen
sehr leicht fallen wird. Die französische Geschichte ist in diesem Teile der Welt
voll von mißglückter Angriffen, und man darf annehmen, daß es ihnen hier
ergehen wird, wie ihnen von Alfred de Musset in Betreff eines gewissen Landes
am Rheine prophezeit worden ist: "Sie werden auf die Fußtapfen ihrer Väter
stoßen." Nur wird ein Unterschied sein, die Fußtapfen werden mit der Spitze
nach dem Ausgangspunkte gerichtet sein, ungerächte Niederlagen und hastige
Rückzüge sind die Ereignisse, von denen die Küsten von Madagaskar erzählen.
Es giebt hier und im Innern keine Kanäle und Eisenbahnen, wie sie die Eng¬
länder auf dem Wege von Alexandrien nach Kairo antrafen, dagegen reißende
Bergströme, schroffe Schluchten ohne Brücken und dichtverwachsene Wälder in
Menge, es werden mehr Leute durch Krankheit und Maugel untergehen als
durch Schwert und Kugel, und wenn die Malagassen sich das Beispiel des
Fabius Cunctator zum Muster nehmen, so wird es manches Hundert Rothosen
kosten, bevor man in Paris die Einnahme von Antananarivo durch Illumination
feiern kann. Wenn Frankreich sich an dem ägyptischen Kriege nicht beteiligte,
so war die Ursache wohl Angst vor Berlin. In Madagaskar sieht es eine
Insel, mit der Vismarck sich nicht befaßt, und wo es sich deshalb keine Ent¬
haltsamkeit aufzuerlegen hat. Es wird sich hier doppelt trösten, indem es den
Verlust von Elsaß und Lothringen durch Gründung eines neuen Lemurischen
Reiches gutmacht und Tel El Kebir durch einen Sieg verwischt, der den fran¬
zösischen Poeten neuen Stoff zu Lobgesängen liefert. Indeß hat die Sache
auch ihre bedenkliche Seite, besonders für das Kabinet Jules Ferry. Eine
größere Expedition nach Madagaskar ist ein kostspieliges und, wie gezeigt, ge¬
fährliches Unternehmen. Ferry hat weder mit England noch mit Deutschland
dabei zu rechnen, wohl aber mit Clemenceau und seiner Partei, die aus demokra¬
tischen Grundsätzen gegen alle kriegerischen Abenteuer sind. Afrika ist von alter
Zeit her verhängnisvoll für europäische Politiker gewesen, im alten Rom und
in unsern Tagen, wo im Znlulande eine Dynastie erlosch und Minister an
Mißgriffen scheiterten, die sie in Transvaal oder Tunis begangen hatten.
Madagaskar kann noch das Feldgeschrei einer neuen Ministerkrisis an der
Seine werden.




Die Franzosen am Kongo uno in Madagaskar,

den Europäern gefährlich ist. Die Bevölkerung, welche von einigen nur auf
drei, von andern auf fünf Millionen Seelen geschätzt wird, gehört zum Teil
einer Rasse an, welche Verwandtschaft mit den Kaffern zeigt, redet aber nur
eine Sprache, die zu den malayischen Idiomen zu zählen ist. Die herrschenden
Stämme, die Hovas, sind hochgewachsene, breitschulterige Leute, die sich durch
physische Kraft und energischen Geist auszeichnen. Sie gleichen den Zulus an
Mut und Ausdauer, sind denselben aber sonst in vielen Beziehungen überlegen.
Es ist daher nicht zu erwarten, daß die Eroberung der Insel den Franzosen
sehr leicht fallen wird. Die französische Geschichte ist in diesem Teile der Welt
voll von mißglückter Angriffen, und man darf annehmen, daß es ihnen hier
ergehen wird, wie ihnen von Alfred de Musset in Betreff eines gewissen Landes
am Rheine prophezeit worden ist: „Sie werden auf die Fußtapfen ihrer Väter
stoßen." Nur wird ein Unterschied sein, die Fußtapfen werden mit der Spitze
nach dem Ausgangspunkte gerichtet sein, ungerächte Niederlagen und hastige
Rückzüge sind die Ereignisse, von denen die Küsten von Madagaskar erzählen.
Es giebt hier und im Innern keine Kanäle und Eisenbahnen, wie sie die Eng¬
länder auf dem Wege von Alexandrien nach Kairo antrafen, dagegen reißende
Bergströme, schroffe Schluchten ohne Brücken und dichtverwachsene Wälder in
Menge, es werden mehr Leute durch Krankheit und Maugel untergehen als
durch Schwert und Kugel, und wenn die Malagassen sich das Beispiel des
Fabius Cunctator zum Muster nehmen, so wird es manches Hundert Rothosen
kosten, bevor man in Paris die Einnahme von Antananarivo durch Illumination
feiern kann. Wenn Frankreich sich an dem ägyptischen Kriege nicht beteiligte,
so war die Ursache wohl Angst vor Berlin. In Madagaskar sieht es eine
Insel, mit der Vismarck sich nicht befaßt, und wo es sich deshalb keine Ent¬
haltsamkeit aufzuerlegen hat. Es wird sich hier doppelt trösten, indem es den
Verlust von Elsaß und Lothringen durch Gründung eines neuen Lemurischen
Reiches gutmacht und Tel El Kebir durch einen Sieg verwischt, der den fran¬
zösischen Poeten neuen Stoff zu Lobgesängen liefert. Indeß hat die Sache
auch ihre bedenkliche Seite, besonders für das Kabinet Jules Ferry. Eine
größere Expedition nach Madagaskar ist ein kostspieliges und, wie gezeigt, ge¬
fährliches Unternehmen. Ferry hat weder mit England noch mit Deutschland
dabei zu rechnen, wohl aber mit Clemenceau und seiner Partei, die aus demokra¬
tischen Grundsätzen gegen alle kriegerischen Abenteuer sind. Afrika ist von alter
Zeit her verhängnisvoll für europäische Politiker gewesen, im alten Rom und
in unsern Tagen, wo im Znlulande eine Dynastie erlosch und Minister an
Mißgriffen scheiterten, die sie in Transvaal oder Tunis begangen hatten.
Madagaskar kann noch das Feldgeschrei einer neuen Ministerkrisis an der
Seine werden.




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[0674] Die Franzosen am Kongo uno in Madagaskar, den Europäern gefährlich ist. Die Bevölkerung, welche von einigen nur auf drei, von andern auf fünf Millionen Seelen geschätzt wird, gehört zum Teil einer Rasse an, welche Verwandtschaft mit den Kaffern zeigt, redet aber nur eine Sprache, die zu den malayischen Idiomen zu zählen ist. Die herrschenden Stämme, die Hovas, sind hochgewachsene, breitschulterige Leute, die sich durch physische Kraft und energischen Geist auszeichnen. Sie gleichen den Zulus an Mut und Ausdauer, sind denselben aber sonst in vielen Beziehungen überlegen. Es ist daher nicht zu erwarten, daß die Eroberung der Insel den Franzosen sehr leicht fallen wird. Die französische Geschichte ist in diesem Teile der Welt voll von mißglückter Angriffen, und man darf annehmen, daß es ihnen hier ergehen wird, wie ihnen von Alfred de Musset in Betreff eines gewissen Landes am Rheine prophezeit worden ist: „Sie werden auf die Fußtapfen ihrer Väter stoßen." Nur wird ein Unterschied sein, die Fußtapfen werden mit der Spitze nach dem Ausgangspunkte gerichtet sein, ungerächte Niederlagen und hastige Rückzüge sind die Ereignisse, von denen die Küsten von Madagaskar erzählen. Es giebt hier und im Innern keine Kanäle und Eisenbahnen, wie sie die Eng¬ länder auf dem Wege von Alexandrien nach Kairo antrafen, dagegen reißende Bergströme, schroffe Schluchten ohne Brücken und dichtverwachsene Wälder in Menge, es werden mehr Leute durch Krankheit und Maugel untergehen als durch Schwert und Kugel, und wenn die Malagassen sich das Beispiel des Fabius Cunctator zum Muster nehmen, so wird es manches Hundert Rothosen kosten, bevor man in Paris die Einnahme von Antananarivo durch Illumination feiern kann. Wenn Frankreich sich an dem ägyptischen Kriege nicht beteiligte, so war die Ursache wohl Angst vor Berlin. In Madagaskar sieht es eine Insel, mit der Vismarck sich nicht befaßt, und wo es sich deshalb keine Ent¬ haltsamkeit aufzuerlegen hat. Es wird sich hier doppelt trösten, indem es den Verlust von Elsaß und Lothringen durch Gründung eines neuen Lemurischen Reiches gutmacht und Tel El Kebir durch einen Sieg verwischt, der den fran¬ zösischen Poeten neuen Stoff zu Lobgesängen liefert. Indeß hat die Sache auch ihre bedenkliche Seite, besonders für das Kabinet Jules Ferry. Eine größere Expedition nach Madagaskar ist ein kostspieliges und, wie gezeigt, ge¬ fährliches Unternehmen. Ferry hat weder mit England noch mit Deutschland dabei zu rechnen, wohl aber mit Clemenceau und seiner Partei, die aus demokra¬ tischen Grundsätzen gegen alle kriegerischen Abenteuer sind. Afrika ist von alter Zeit her verhängnisvoll für europäische Politiker gewesen, im alten Rom und in unsern Tagen, wo im Znlulande eine Dynastie erlosch und Minister an Mißgriffen scheiterten, die sie in Transvaal oder Tunis begangen hatten. Madagaskar kann noch das Feldgeschrei einer neuen Ministerkrisis an der Seine werden.

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 42, 1883, Erstes Quartal, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341837_151310/674>, abgerufen am 23.07.2024.