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Die Grenzboten. Jg. 42, 1883, Erstes Quartal.

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Die Grafen von Altenschwerdt.
Roman von August Niemann (Fortsetzung,)

obcild Sibylle den Wagen hinter sich hatte und nicht mehr der
Beobachtung ausgesetzt war, veränderte sich die gelassene und
stolze Haltung der Dame, und ihr Kopf senkte sich wie in Be¬
sorgnis herab. Eine finstere Miene verbreitete sich über ihr
Gesicht, während sie die Dorfgasse zurückging und dabei gerades¬
wegs das Gasthaus anstatt, wie sie gesagt hatte, das Pfarrhaus zum Ziele nahm.
Als sie es erreichte, bemerkte sie, daß der Schwarze nicht mehr draußen auf der
Bank saß, und sie ging in das Haus hinein und fragte nach ihm.

Die gesprächige Wirtin, sehr erfreut über so eleganten Besuch, knixte einmal
über das andre und führte ihn dann, voll Bewunderung über das Rauschen der
Seide auf ihrer engen Treppe und über den Wohlgeruch, der sich von diesem
staunenswerten Anzüge aus verbreitete, hinauf in Herrn Eschenburgs Kabine,
wo der grauhaarige Neger am Fenster in einer englischen Bibel las. Dann
blieb sie draußen vor der Thüre stehen, sich in Vermutungen erschöpfend, welche
Bedeutung ein solches Ereignis haben könne, und sehr begierig, eine Aufklärung
darüber durchs Schlüsselloch zu erlauschen.

Andrew erhob sich, als die Gräfin eintrat, führte sie höflich und als sei
er nicht im geringsten durch ihre Anwesenheit überrascht, zum Sopha und blieb
mit einem forschenden Ausdruck seines ehrlichen Gesichts in respektvoller Hal¬
tung vor ihr stehen.

Gräfin Sibylle blickte in dem kleinen Gemach umher, ehe sie ein Wort
sprach, als wollte sie vorsichtig Grund und Boden erforschen, auf dem sie sich
zu bewegen habe. Die Fensterläden, ähnlich den Luftklappen der Schiffe ein¬
gerichtet, waren zur Hälfte heruntergelassen, sodaß nur ein gedämpftes Licht
den Kontrast zwischen der modernen Kleidung der glänzenden Dame und dem




Die Grafen von Altenschwerdt.
Roman von August Niemann (Fortsetzung,)

obcild Sibylle den Wagen hinter sich hatte und nicht mehr der
Beobachtung ausgesetzt war, veränderte sich die gelassene und
stolze Haltung der Dame, und ihr Kopf senkte sich wie in Be¬
sorgnis herab. Eine finstere Miene verbreitete sich über ihr
Gesicht, während sie die Dorfgasse zurückging und dabei gerades¬
wegs das Gasthaus anstatt, wie sie gesagt hatte, das Pfarrhaus zum Ziele nahm.
Als sie es erreichte, bemerkte sie, daß der Schwarze nicht mehr draußen auf der
Bank saß, und sie ging in das Haus hinein und fragte nach ihm.

Die gesprächige Wirtin, sehr erfreut über so eleganten Besuch, knixte einmal
über das andre und führte ihn dann, voll Bewunderung über das Rauschen der
Seide auf ihrer engen Treppe und über den Wohlgeruch, der sich von diesem
staunenswerten Anzüge aus verbreitete, hinauf in Herrn Eschenburgs Kabine,
wo der grauhaarige Neger am Fenster in einer englischen Bibel las. Dann
blieb sie draußen vor der Thüre stehen, sich in Vermutungen erschöpfend, welche
Bedeutung ein solches Ereignis haben könne, und sehr begierig, eine Aufklärung
darüber durchs Schlüsselloch zu erlauschen.

Andrew erhob sich, als die Gräfin eintrat, führte sie höflich und als sei
er nicht im geringsten durch ihre Anwesenheit überrascht, zum Sopha und blieb
mit einem forschenden Ausdruck seines ehrlichen Gesichts in respektvoller Hal¬
tung vor ihr stehen.

Gräfin Sibylle blickte in dem kleinen Gemach umher, ehe sie ein Wort
sprach, als wollte sie vorsichtig Grund und Boden erforschen, auf dem sie sich
zu bewegen habe. Die Fensterläden, ähnlich den Luftklappen der Schiffe ein¬
gerichtet, waren zur Hälfte heruntergelassen, sodaß nur ein gedämpftes Licht
den Kontrast zwischen der modernen Kleidung der glänzenden Dame und dem


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[0591] [Abbildung] Die Grafen von Altenschwerdt. Roman von August Niemann (Fortsetzung,) obcild Sibylle den Wagen hinter sich hatte und nicht mehr der Beobachtung ausgesetzt war, veränderte sich die gelassene und stolze Haltung der Dame, und ihr Kopf senkte sich wie in Be¬ sorgnis herab. Eine finstere Miene verbreitete sich über ihr Gesicht, während sie die Dorfgasse zurückging und dabei gerades¬ wegs das Gasthaus anstatt, wie sie gesagt hatte, das Pfarrhaus zum Ziele nahm. Als sie es erreichte, bemerkte sie, daß der Schwarze nicht mehr draußen auf der Bank saß, und sie ging in das Haus hinein und fragte nach ihm. Die gesprächige Wirtin, sehr erfreut über so eleganten Besuch, knixte einmal über das andre und führte ihn dann, voll Bewunderung über das Rauschen der Seide auf ihrer engen Treppe und über den Wohlgeruch, der sich von diesem staunenswerten Anzüge aus verbreitete, hinauf in Herrn Eschenburgs Kabine, wo der grauhaarige Neger am Fenster in einer englischen Bibel las. Dann blieb sie draußen vor der Thüre stehen, sich in Vermutungen erschöpfend, welche Bedeutung ein solches Ereignis haben könne, und sehr begierig, eine Aufklärung darüber durchs Schlüsselloch zu erlauschen. Andrew erhob sich, als die Gräfin eintrat, führte sie höflich und als sei er nicht im geringsten durch ihre Anwesenheit überrascht, zum Sopha und blieb mit einem forschenden Ausdruck seines ehrlichen Gesichts in respektvoller Hal¬ tung vor ihr stehen. Gräfin Sibylle blickte in dem kleinen Gemach umher, ehe sie ein Wort sprach, als wollte sie vorsichtig Grund und Boden erforschen, auf dem sie sich zu bewegen habe. Die Fensterläden, ähnlich den Luftklappen der Schiffe ein¬ gerichtet, waren zur Hälfte heruntergelassen, sodaß nur ein gedämpftes Licht den Kontrast zwischen der modernen Kleidung der glänzenden Dame und dem

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 42, 1883, Erstes Quartal, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341837_151310/591>, abgerufen am 03.07.2024.