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Die Grenzboten. Jg. 41, 1882, Erstes Quartal.

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Bcckchen und Thyrsosträger,

Er blieb vor einer Gypsfigur stehen, deren Gewand er mit einer blaßblmicn
Farbe und deren Haar er mit blassem Golde überzogen hatte.

Wenn doch Sylvia deine Tracht trüge, altes Griechenmüdchen, wie schön
wäre das! Keine Mode und keine Möbel, das müßte sehr angenehm sein. O,
Sylvia, hättest du doch keinen reichen Vater, sondern wandeltest mit mir in
Sandalen oder auch barfuß in den, Straßen von Athen!

Mit diesen unpraktischen Gedanken setzte er sich an ein großes Reißbrett
und entwarf Sylvias Bildnis in griechischer Tracht. Aber es gelang nicht zu
seiner Zufriedenheit.

Das ist nichts, sagte er, warf den Bleistift hin und sah zu dem Bilde der
Fornarina hinüber, einer großen Photographie, die er aus Rom mitgebracht
hatte. Sie ist eigentlich nicht schön, diese Fornarina, dachte er, und es ist wunderbar,
daß Raphaels Künstlerauge an diesem Mädchen ein so tötliches Gefallen fand.
Sylvia ist viel schöner. Aber was ist das Schöne? Wer kann sagen, warum
etwas schön ist, und was an dem Mädchen war, daß es Raphael entzücken konnte?
Er muß es doch wohl verstanden haben.

Er dachte über die ästhetischen Vorlesungen nach, welche er gehört hatte
und lächelte, als ihm dagegen die Worte des griechischen Weisen einfielen: "Wenn
jemand fragt, warum dies oder das schön sei, so überlasse ich die wohlweisen
Gründe: daß es nämlich an der blühenden Farbe oder an der Gestalt oder an
sonst etwas derartigem liege, diese Gründe alle überlasse ich den gelehrten Leuten.
Ich selbst aber halte in einfältiger Weise daran fest, daß es die Schönheit ist,
wodurch das Schöne schön ward. Die Schönheit aber war damals leuchtend
zu sehen, als mit dem beglückenden Reigen wir im Gefolge des Zeus, andre in
dem eines der andern Götter eines seligen Anblicks und Schnucns genossen und
in die seligste der Weihen eingeweiht waren, welche wir feierten, selbst noch sündlos
und unberührt von den Übeln, die in späterer Zeit auf uns warteten, dabei aber
fehllose und lautere und wandellose und beseligende Gesichte mit geweihtem und
priesterlichen Ange in reinem Glänze schauend, als Reine selbst und nicht ein¬
gekerkert in diesen Körper, wie wir das nennen, was nur jetzt mit uns, dem
Schaltiere gleich angebunden, herumtragen."




Neuntes Aapitel.
Die schöne Waise.

Vielfach wirke" die Pfeile des Amor- Einige ritzen,
Und vom schleichende" Gift tränket auf Jahre das Herz.

Wer mächtig befiedert, mit frisch geschliffener Schärfe
Dringen die andern ins Mark, zünden Sehende das Blut.


Unter den künstlerischen Arbeiten, welche Eduard Frank oblagen, standen
obenan der Umbau eines Flügels und die Dekoration des Speisesaals im Schlosse


Ärenzbvtcn I. 1882. 5!!
Bcckchen und Thyrsosträger,

Er blieb vor einer Gypsfigur stehen, deren Gewand er mit einer blaßblmicn
Farbe und deren Haar er mit blassem Golde überzogen hatte.

Wenn doch Sylvia deine Tracht trüge, altes Griechenmüdchen, wie schön
wäre das! Keine Mode und keine Möbel, das müßte sehr angenehm sein. O,
Sylvia, hättest du doch keinen reichen Vater, sondern wandeltest mit mir in
Sandalen oder auch barfuß in den, Straßen von Athen!

Mit diesen unpraktischen Gedanken setzte er sich an ein großes Reißbrett
und entwarf Sylvias Bildnis in griechischer Tracht. Aber es gelang nicht zu
seiner Zufriedenheit.

Das ist nichts, sagte er, warf den Bleistift hin und sah zu dem Bilde der
Fornarina hinüber, einer großen Photographie, die er aus Rom mitgebracht
hatte. Sie ist eigentlich nicht schön, diese Fornarina, dachte er, und es ist wunderbar,
daß Raphaels Künstlerauge an diesem Mädchen ein so tötliches Gefallen fand.
Sylvia ist viel schöner. Aber was ist das Schöne? Wer kann sagen, warum
etwas schön ist, und was an dem Mädchen war, daß es Raphael entzücken konnte?
Er muß es doch wohl verstanden haben.

Er dachte über die ästhetischen Vorlesungen nach, welche er gehört hatte
und lächelte, als ihm dagegen die Worte des griechischen Weisen einfielen: „Wenn
jemand fragt, warum dies oder das schön sei, so überlasse ich die wohlweisen
Gründe: daß es nämlich an der blühenden Farbe oder an der Gestalt oder an
sonst etwas derartigem liege, diese Gründe alle überlasse ich den gelehrten Leuten.
Ich selbst aber halte in einfältiger Weise daran fest, daß es die Schönheit ist,
wodurch das Schöne schön ward. Die Schönheit aber war damals leuchtend
zu sehen, als mit dem beglückenden Reigen wir im Gefolge des Zeus, andre in
dem eines der andern Götter eines seligen Anblicks und Schnucns genossen und
in die seligste der Weihen eingeweiht waren, welche wir feierten, selbst noch sündlos
und unberührt von den Übeln, die in späterer Zeit auf uns warteten, dabei aber
fehllose und lautere und wandellose und beseligende Gesichte mit geweihtem und
priesterlichen Ange in reinem Glänze schauend, als Reine selbst und nicht ein¬
gekerkert in diesen Körper, wie wir das nennen, was nur jetzt mit uns, dem
Schaltiere gleich angebunden, herumtragen."




Neuntes Aapitel.
Die schöne Waise.

Vielfach wirke» die Pfeile des Amor- Einige ritzen,
Und vom schleichende» Gift tränket auf Jahre das Herz.

Wer mächtig befiedert, mit frisch geschliffener Schärfe
Dringen die andern ins Mark, zünden Sehende das Blut.


Unter den künstlerischen Arbeiten, welche Eduard Frank oblagen, standen
obenan der Umbau eines Flügels und die Dekoration des Speisesaals im Schlosse


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[0425] Bcckchen und Thyrsosträger, Er blieb vor einer Gypsfigur stehen, deren Gewand er mit einer blaßblmicn Farbe und deren Haar er mit blassem Golde überzogen hatte. Wenn doch Sylvia deine Tracht trüge, altes Griechenmüdchen, wie schön wäre das! Keine Mode und keine Möbel, das müßte sehr angenehm sein. O, Sylvia, hättest du doch keinen reichen Vater, sondern wandeltest mit mir in Sandalen oder auch barfuß in den, Straßen von Athen! Mit diesen unpraktischen Gedanken setzte er sich an ein großes Reißbrett und entwarf Sylvias Bildnis in griechischer Tracht. Aber es gelang nicht zu seiner Zufriedenheit. Das ist nichts, sagte er, warf den Bleistift hin und sah zu dem Bilde der Fornarina hinüber, einer großen Photographie, die er aus Rom mitgebracht hatte. Sie ist eigentlich nicht schön, diese Fornarina, dachte er, und es ist wunderbar, daß Raphaels Künstlerauge an diesem Mädchen ein so tötliches Gefallen fand. Sylvia ist viel schöner. Aber was ist das Schöne? Wer kann sagen, warum etwas schön ist, und was an dem Mädchen war, daß es Raphael entzücken konnte? Er muß es doch wohl verstanden haben. Er dachte über die ästhetischen Vorlesungen nach, welche er gehört hatte und lächelte, als ihm dagegen die Worte des griechischen Weisen einfielen: „Wenn jemand fragt, warum dies oder das schön sei, so überlasse ich die wohlweisen Gründe: daß es nämlich an der blühenden Farbe oder an der Gestalt oder an sonst etwas derartigem liege, diese Gründe alle überlasse ich den gelehrten Leuten. Ich selbst aber halte in einfältiger Weise daran fest, daß es die Schönheit ist, wodurch das Schöne schön ward. Die Schönheit aber war damals leuchtend zu sehen, als mit dem beglückenden Reigen wir im Gefolge des Zeus, andre in dem eines der andern Götter eines seligen Anblicks und Schnucns genossen und in die seligste der Weihen eingeweiht waren, welche wir feierten, selbst noch sündlos und unberührt von den Übeln, die in späterer Zeit auf uns warteten, dabei aber fehllose und lautere und wandellose und beseligende Gesichte mit geweihtem und priesterlichen Ange in reinem Glänze schauend, als Reine selbst und nicht ein¬ gekerkert in diesen Körper, wie wir das nennen, was nur jetzt mit uns, dem Schaltiere gleich angebunden, herumtragen." Neuntes Aapitel. Die schöne Waise. Vielfach wirke» die Pfeile des Amor- Einige ritzen, Und vom schleichende» Gift tränket auf Jahre das Herz. Wer mächtig befiedert, mit frisch geschliffener Schärfe Dringen die andern ins Mark, zünden Sehende das Blut. Unter den künstlerischen Arbeiten, welche Eduard Frank oblagen, standen obenan der Umbau eines Flügels und die Dekoration des Speisesaals im Schlosse Ärenzbvtcn I. 1882. 5!!

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 41, 1882, Erstes Quartal, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341835_89804/425>, abgerufen am 28.06.2024.