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Die Grenzboten. Jg. 41, 1882, Erstes Quartal.

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Bakchen und Thyrsostrciger.

Wein gesessen hatte, ohne mehr zu thun als die Lippen nur zu netzen, simpel
in seiner Rede,

Und dann ward es Zeit aufzubrechen.

Die beiden Fräulein Gmelin wählten verständnisinnig zu ihren Rittern
Herrn Gmelin und den Studenten; so machte es sich von selbst, daß Ephraim
für Flörchen sorgte. Man ging in das Zinnner, um Tücher und Schirme zu
holen, und Ephraim zeigte sich höchst gewandt. Er fand Flörchens leichtes Tuch
im Dunkeln, und als er es um ihre Schulteru schlang, that er es so sorgsam,
daß Flörchen Zeit und Gelegenheit fand, den schlanken Hals zu drehen und ihm
über die Schulter ihre Lippen zu bieten.

Man dankte herzlich für die freundliche Bewirtung und schüttelte dem Herrn
Förster und der Frau Förstcriu kräftig die Hand. Man sang schon leise im
Fortgehen, die Hunde bellten dazu, und die laue Waldlnft strich lockend um
das alte braune gastliche Haus, als die drei Paare Arm in Arm die Schwelle
überschritten.

Flott und frisch ging der Marsch thalwärts nach Heidelberg, und es war
bewunderungswürdig, daß Ephraim und Flörchen auf dem oft völlig dunkeln
Wege über keine der Baumwurzeln stolperten lind keinen Abhang hinabfielen.

Freilich stützten sie einander, eng an einander gelehnt, und Eros schützte sie.




Siebentes Aapitel.
)in Schoße der glücklichen Familie.

Sage mir, mit wem zu sprechen
Dir genehm, gemütlich ist:
Ohne mir den Kopf zu brechen,
Weiß ich deutlich, wie du Ast.

Die Gemahlin des Reichstagsabgeordneten und Präsidenten Irrwisch hockte
in einem alten lilaseidenen Kleide, welches sie als Morgenrock abzutragen be¬
absichtigte, auf einem alten, abgeschabten ziegelrotem Sopha und rechnete in einem
großen Wirtschaftsbuch, welches vor ihr auf dem Kaffeetische lag. Die gelben
Bänder einer alten Staatshaubc fielen von ihrem unfrisirten Hanpte auf die
mit Zahlen bedeckten Blätter herab.

Ihr gegenüber saß ein schönes, schlankes junges Mädchen, dessen aufrechte
Haltung und sorgfältiger Anzug zu dem nachlässigen Wesen der Mutter in auf¬
fallendem Gegensatze stand. Sie hatte einen feinen Kopf von zarten Gesichts¬
farben, mit großen schwarzen Allgen, schön geschwungenen Augenbrauen, reizenden!
Munde und mit schön geflochtenen und emporgethürmtcm schwarzen Haar.
Ihre Bewegungen waren ruhig und graziös, ihr ganzes Wesen machte den Eindruck
einer klugen, gut erzogenen jungen Dame.


Bakchen und Thyrsostrciger.

Wein gesessen hatte, ohne mehr zu thun als die Lippen nur zu netzen, simpel
in seiner Rede,

Und dann ward es Zeit aufzubrechen.

Die beiden Fräulein Gmelin wählten verständnisinnig zu ihren Rittern
Herrn Gmelin und den Studenten; so machte es sich von selbst, daß Ephraim
für Flörchen sorgte. Man ging in das Zinnner, um Tücher und Schirme zu
holen, und Ephraim zeigte sich höchst gewandt. Er fand Flörchens leichtes Tuch
im Dunkeln, und als er es um ihre Schulteru schlang, that er es so sorgsam,
daß Flörchen Zeit und Gelegenheit fand, den schlanken Hals zu drehen und ihm
über die Schulter ihre Lippen zu bieten.

Man dankte herzlich für die freundliche Bewirtung und schüttelte dem Herrn
Förster und der Frau Förstcriu kräftig die Hand. Man sang schon leise im
Fortgehen, die Hunde bellten dazu, und die laue Waldlnft strich lockend um
das alte braune gastliche Haus, als die drei Paare Arm in Arm die Schwelle
überschritten.

Flott und frisch ging der Marsch thalwärts nach Heidelberg, und es war
bewunderungswürdig, daß Ephraim und Flörchen auf dem oft völlig dunkeln
Wege über keine der Baumwurzeln stolperten lind keinen Abhang hinabfielen.

Freilich stützten sie einander, eng an einander gelehnt, und Eros schützte sie.




Siebentes Aapitel.
)in Schoße der glücklichen Familie.

Sage mir, mit wem zu sprechen
Dir genehm, gemütlich ist:
Ohne mir den Kopf zu brechen,
Weiß ich deutlich, wie du Ast.

Die Gemahlin des Reichstagsabgeordneten und Präsidenten Irrwisch hockte
in einem alten lilaseidenen Kleide, welches sie als Morgenrock abzutragen be¬
absichtigte, auf einem alten, abgeschabten ziegelrotem Sopha und rechnete in einem
großen Wirtschaftsbuch, welches vor ihr auf dem Kaffeetische lag. Die gelben
Bänder einer alten Staatshaubc fielen von ihrem unfrisirten Hanpte auf die
mit Zahlen bedeckten Blätter herab.

Ihr gegenüber saß ein schönes, schlankes junges Mädchen, dessen aufrechte
Haltung und sorgfältiger Anzug zu dem nachlässigen Wesen der Mutter in auf¬
fallendem Gegensatze stand. Sie hatte einen feinen Kopf von zarten Gesichts¬
farben, mit großen schwarzen Allgen, schön geschwungenen Augenbrauen, reizenden!
Munde und mit schön geflochtenen und emporgethürmtcm schwarzen Haar.
Ihre Bewegungen waren ruhig und graziös, ihr ganzes Wesen machte den Eindruck
einer klugen, gut erzogenen jungen Dame.


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[0364] Bakchen und Thyrsostrciger. Wein gesessen hatte, ohne mehr zu thun als die Lippen nur zu netzen, simpel in seiner Rede, Und dann ward es Zeit aufzubrechen. Die beiden Fräulein Gmelin wählten verständnisinnig zu ihren Rittern Herrn Gmelin und den Studenten; so machte es sich von selbst, daß Ephraim für Flörchen sorgte. Man ging in das Zinnner, um Tücher und Schirme zu holen, und Ephraim zeigte sich höchst gewandt. Er fand Flörchens leichtes Tuch im Dunkeln, und als er es um ihre Schulteru schlang, that er es so sorgsam, daß Flörchen Zeit und Gelegenheit fand, den schlanken Hals zu drehen und ihm über die Schulter ihre Lippen zu bieten. Man dankte herzlich für die freundliche Bewirtung und schüttelte dem Herrn Förster und der Frau Förstcriu kräftig die Hand. Man sang schon leise im Fortgehen, die Hunde bellten dazu, und die laue Waldlnft strich lockend um das alte braune gastliche Haus, als die drei Paare Arm in Arm die Schwelle überschritten. Flott und frisch ging der Marsch thalwärts nach Heidelberg, und es war bewunderungswürdig, daß Ephraim und Flörchen auf dem oft völlig dunkeln Wege über keine der Baumwurzeln stolperten lind keinen Abhang hinabfielen. Freilich stützten sie einander, eng an einander gelehnt, und Eros schützte sie. Siebentes Aapitel. )in Schoße der glücklichen Familie. Sage mir, mit wem zu sprechen Dir genehm, gemütlich ist: Ohne mir den Kopf zu brechen, Weiß ich deutlich, wie du Ast. Die Gemahlin des Reichstagsabgeordneten und Präsidenten Irrwisch hockte in einem alten lilaseidenen Kleide, welches sie als Morgenrock abzutragen be¬ absichtigte, auf einem alten, abgeschabten ziegelrotem Sopha und rechnete in einem großen Wirtschaftsbuch, welches vor ihr auf dem Kaffeetische lag. Die gelben Bänder einer alten Staatshaubc fielen von ihrem unfrisirten Hanpte auf die mit Zahlen bedeckten Blätter herab. Ihr gegenüber saß ein schönes, schlankes junges Mädchen, dessen aufrechte Haltung und sorgfältiger Anzug zu dem nachlässigen Wesen der Mutter in auf¬ fallendem Gegensatze stand. Sie hatte einen feinen Kopf von zarten Gesichts¬ farben, mit großen schwarzen Allgen, schön geschwungenen Augenbrauen, reizenden! Munde und mit schön geflochtenen und emporgethürmtcm schwarzen Haar. Ihre Bewegungen waren ruhig und graziös, ihr ganzes Wesen machte den Eindruck einer klugen, gut erzogenen jungen Dame.

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 41, 1882, Erstes Quartal, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341835_89804/364>, abgerufen am 22.07.2024.