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Die Grenzboten. Jg. 41, 1882, Viertes Quartal.

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Die Klaviermusik seit Robert Schumann.

dünkt, dies Abschiedswort Earlyles sei, ein Vermächtnis nicht nur an die Stu¬
denten von Edinburg, sondern an die ganze Welt der Bildung, und auch wir
in Deutschland konnten unser bescheiden Teil an demselben dahinnehmen, und
schon um dieses einen goldnen Wortes willen Carlyle ein ehrendes Andenken
bewahren.




Die Klaviermusik seit Robert Schumann.
von Hermann Kretzschmar. (Fortsetzung.)

und Ferdinand Hiller (geboren 1811 zu Frankfurt), der mit
seinen Anfängen und seiner vollen Entwicklung der Schumann-
schen Periode angehört, zeigt sich in der Etude von seiner besten
Seite. Seine Etüden sind Skizzen von interessanter, teilweise
vollendeter Zeichnung; an allen bewundert man die Leichtigkeit
und Virtuosität der Hand, welche die Motive ausführte. Dem Gehalte nach
ragen die galanten, die graziös neckenden Nummern hervor. Im ganzen zeigen
auch sie nach dieser Richtung im kleinen schon die Ungleichheit, mit der Hiller
überhaupt produzirt. Diese Ungleichheit im Schaffen ist freilich eine Krankheit,
an welcher die Musiker der neueren Zeit, bis auf wenige Ausnahmen, alle
mehr oder weniger leiden. Ihre entschiedensten Allsbrüche haben in der Piano-
fortekvmposition stattgefunden. ES ist unglaublich, was für Schwachheiten sich
Künstler erlauben, welche anderwärts Beweise von Bedeutung gegeben haben,
wenn sie ans Klavier kommen. Mlieien David, den wir seiner "Wüste" halber
unter die vornehmern Geister rechnen, hat Romanzen und Souvenirs für Piano-
forte-geschrieben, die ihn in die Gesellschaft der Gnssenhaucrfabrikanten bringen.
Es würde eine lange, traurige Reihe geben, wenn wir die Komponisten vou
Talent und Schale alle auszählen wollten, die in der Klaviermusik von ihrer
bessern Natur abgefallen sind. Wir nennen nur als die am schwerste"! be-
troffenen Joachim Raff und unserm Hiller. Des letzteren schönes, eigenartiges
Talent hat viele schlechte Tage gehabt und zwei schlimme Feinde: Legerität
und das Bestreben, allen Freund zu sein. So ist es gekommen, daß er reife
Früchte und unreife Früchte zugleich aufbietet, vom Foreirten ins Triviale fällt,
vom Tiefsinnigen und Bedeutenden ins Geschwätzige und Phrasenhafte, vom
Eigenen ius Konventionelle. Seine Werke unter einander erscheinen wie die
Kinder verschiedner Väter, lind sehr viele sind in sich voller Widersprüche, die


Die Klaviermusik seit Robert Schumann.

dünkt, dies Abschiedswort Earlyles sei, ein Vermächtnis nicht nur an die Stu¬
denten von Edinburg, sondern an die ganze Welt der Bildung, und auch wir
in Deutschland konnten unser bescheiden Teil an demselben dahinnehmen, und
schon um dieses einen goldnen Wortes willen Carlyle ein ehrendes Andenken
bewahren.




Die Klaviermusik seit Robert Schumann.
von Hermann Kretzschmar. (Fortsetzung.)

und Ferdinand Hiller (geboren 1811 zu Frankfurt), der mit
seinen Anfängen und seiner vollen Entwicklung der Schumann-
schen Periode angehört, zeigt sich in der Etude von seiner besten
Seite. Seine Etüden sind Skizzen von interessanter, teilweise
vollendeter Zeichnung; an allen bewundert man die Leichtigkeit
und Virtuosität der Hand, welche die Motive ausführte. Dem Gehalte nach
ragen die galanten, die graziös neckenden Nummern hervor. Im ganzen zeigen
auch sie nach dieser Richtung im kleinen schon die Ungleichheit, mit der Hiller
überhaupt produzirt. Diese Ungleichheit im Schaffen ist freilich eine Krankheit,
an welcher die Musiker der neueren Zeit, bis auf wenige Ausnahmen, alle
mehr oder weniger leiden. Ihre entschiedensten Allsbrüche haben in der Piano-
fortekvmposition stattgefunden. ES ist unglaublich, was für Schwachheiten sich
Künstler erlauben, welche anderwärts Beweise von Bedeutung gegeben haben,
wenn sie ans Klavier kommen. Mlieien David, den wir seiner „Wüste" halber
unter die vornehmern Geister rechnen, hat Romanzen und Souvenirs für Piano-
forte-geschrieben, die ihn in die Gesellschaft der Gnssenhaucrfabrikanten bringen.
Es würde eine lange, traurige Reihe geben, wenn wir die Komponisten vou
Talent und Schale alle auszählen wollten, die in der Klaviermusik von ihrer
bessern Natur abgefallen sind. Wir nennen nur als die am schwerste»! be-
troffenen Joachim Raff und unserm Hiller. Des letzteren schönes, eigenartiges
Talent hat viele schlechte Tage gehabt und zwei schlimme Feinde: Legerität
und das Bestreben, allen Freund zu sein. So ist es gekommen, daß er reife
Früchte und unreife Früchte zugleich aufbietet, vom Foreirten ins Triviale fällt,
vom Tiefsinnigen und Bedeutenden ins Geschwätzige und Phrasenhafte, vom
Eigenen ius Konventionelle. Seine Werke unter einander erscheinen wie die
Kinder verschiedner Väter, lind sehr viele sind in sich voller Widersprüche, die


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[0084] Die Klaviermusik seit Robert Schumann. dünkt, dies Abschiedswort Earlyles sei, ein Vermächtnis nicht nur an die Stu¬ denten von Edinburg, sondern an die ganze Welt der Bildung, und auch wir in Deutschland konnten unser bescheiden Teil an demselben dahinnehmen, und schon um dieses einen goldnen Wortes willen Carlyle ein ehrendes Andenken bewahren. Die Klaviermusik seit Robert Schumann. von Hermann Kretzschmar. (Fortsetzung.) und Ferdinand Hiller (geboren 1811 zu Frankfurt), der mit seinen Anfängen und seiner vollen Entwicklung der Schumann- schen Periode angehört, zeigt sich in der Etude von seiner besten Seite. Seine Etüden sind Skizzen von interessanter, teilweise vollendeter Zeichnung; an allen bewundert man die Leichtigkeit und Virtuosität der Hand, welche die Motive ausführte. Dem Gehalte nach ragen die galanten, die graziös neckenden Nummern hervor. Im ganzen zeigen auch sie nach dieser Richtung im kleinen schon die Ungleichheit, mit der Hiller überhaupt produzirt. Diese Ungleichheit im Schaffen ist freilich eine Krankheit, an welcher die Musiker der neueren Zeit, bis auf wenige Ausnahmen, alle mehr oder weniger leiden. Ihre entschiedensten Allsbrüche haben in der Piano- fortekvmposition stattgefunden. ES ist unglaublich, was für Schwachheiten sich Künstler erlauben, welche anderwärts Beweise von Bedeutung gegeben haben, wenn sie ans Klavier kommen. Mlieien David, den wir seiner „Wüste" halber unter die vornehmern Geister rechnen, hat Romanzen und Souvenirs für Piano- forte-geschrieben, die ihn in die Gesellschaft der Gnssenhaucrfabrikanten bringen. Es würde eine lange, traurige Reihe geben, wenn wir die Komponisten vou Talent und Schale alle auszählen wollten, die in der Klaviermusik von ihrer bessern Natur abgefallen sind. Wir nennen nur als die am schwerste»! be- troffenen Joachim Raff und unserm Hiller. Des letzteren schönes, eigenartiges Talent hat viele schlechte Tage gehabt und zwei schlimme Feinde: Legerität und das Bestreben, allen Freund zu sein. So ist es gekommen, daß er reife Früchte und unreife Früchte zugleich aufbietet, vom Foreirten ins Triviale fällt, vom Tiefsinnigen und Bedeutenden ins Geschwätzige und Phrasenhafte, vom Eigenen ius Konventionelle. Seine Werke unter einander erscheinen wie die Kinder verschiedner Väter, lind sehr viele sind in sich voller Widersprüche, die

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 41, 1882, Viertes Quartal, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341835_359176/84>, abgerufen am 29.06.2024.