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Die Grenzboten. Jg. 41, 1882, Viertes Quartal.

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Ich frug.

)es frug mich manchmal in den letzten Tagen:
Woher stammt wohl die edle Form: er frug?
Wer war der Kühne, der zuerst sie wug?
So frug ich mich, so hab ich mich gefragen.
Erst wollte mir die Neu'rung nicht behagen;
Doch nunmehr treibt sie mich zu kühnerm Flug,
Und demnächst werd' ich schreiben auch: er sug,
Anstatt er sagte wie bisher zu sagen.
Doch ganz wird uns das neue Licht erst tagen,
Wenn wir: er klug, er ung, er Plug, er rüg,
Es eng, er zug, er -- und so weiter wagen.
Nur fürcht' ich fast, ihr früget, ob ich klug,
Und ihr Frugalen würdet demnächst klagen,
Es sei an frug bereits mehr als genug.

Paul Lang.

In liebenswürdigerer Form kann wohl eine überhandnehmende sprachliche Un¬
art nicht gegeißelt werden, als es in dein vorstehenden, uns in den letzten Tagen
zugesandten Sonett geschieht. Wenns nur was nützte! Sprachlichen Modethor¬
heiten gegenüber sind ja selbst die gescheidtesten Leute schwach bis zur Kinderei.
'S ist doch gar zu hübsch, mit so einem neuen Worte oder einer neuen Wortform
sich zu spreizen."

Vor ein paar Monaten lasen wir zum erstenmale das Wort "wehleidig;
es war in einer Besprechung des "Parsifal," wo Amfvrtas als eine wehleidige
Gestalt bezeichnet wurde. Seitdem wimmelt es in unsern Theaterkritiken von weh¬
leidigem Figuren.

Früher sagte man: drei Jahre lang; dann war es eine Zeit lang Mode, das
Französische nachzuäffen und zu sagen: während dreier Jahre. Das allerfeinste
aber ist neuerdings das jüdisch-wienerische "durch drei Jahre" -- er war durch drei
Jahre im Orient. Gott, wie geschmackvoll!

In Leipzig bauen jetzt zwei Architekten, Härtel und Lipsius, eine neue Kirche-
Als vor einigen Monaten die feierliche Grundsteinlegung stattfand, über welche die
Tagespresse, wie über alles jetzt, erst verschiednemal im Futurum und dann noch
einmal gründlichst im Präteritum referirte, hatte ein Leipziger Blatt den genialen
Einfall, die beiden Baumeister nicht Härtel und Lipsius, fondern " Härtel-Lipsins"
zu nennen. Zwei Tage darauf hießen sie in ganz Leipzig so, und heute -- s' ist
kaum zu glauben -- nennen sie sich selber so! -- Nächstens kaufen wir jedenfalls
auch Musikalien bei Breitkopf-Härtel und trinken Cacao von Jordan-Tiniäus-




Ich frug.

)es frug mich manchmal in den letzten Tagen:
Woher stammt wohl die edle Form: er frug?
Wer war der Kühne, der zuerst sie wug?
So frug ich mich, so hab ich mich gefragen.
Erst wollte mir die Neu'rung nicht behagen;
Doch nunmehr treibt sie mich zu kühnerm Flug,
Und demnächst werd' ich schreiben auch: er sug,
Anstatt er sagte wie bisher zu sagen.
Doch ganz wird uns das neue Licht erst tagen,
Wenn wir: er klug, er ung, er Plug, er rüg,
Es eng, er zug, er — und so weiter wagen.
Nur fürcht' ich fast, ihr früget, ob ich klug,
Und ihr Frugalen würdet demnächst klagen,
Es sei an frug bereits mehr als genug.

Paul Lang.

In liebenswürdigerer Form kann wohl eine überhandnehmende sprachliche Un¬
art nicht gegeißelt werden, als es in dein vorstehenden, uns in den letzten Tagen
zugesandten Sonett geschieht. Wenns nur was nützte! Sprachlichen Modethor¬
heiten gegenüber sind ja selbst die gescheidtesten Leute schwach bis zur Kinderei.
'S ist doch gar zu hübsch, mit so einem neuen Worte oder einer neuen Wortform
sich zu spreizen."

Vor ein paar Monaten lasen wir zum erstenmale das Wort „wehleidig;
es war in einer Besprechung des „Parsifal," wo Amfvrtas als eine wehleidige
Gestalt bezeichnet wurde. Seitdem wimmelt es in unsern Theaterkritiken von weh¬
leidigem Figuren.

Früher sagte man: drei Jahre lang; dann war es eine Zeit lang Mode, das
Französische nachzuäffen und zu sagen: während dreier Jahre. Das allerfeinste
aber ist neuerdings das jüdisch-wienerische „durch drei Jahre" — er war durch drei
Jahre im Orient. Gott, wie geschmackvoll!

In Leipzig bauen jetzt zwei Architekten, Härtel und Lipsius, eine neue Kirche-
Als vor einigen Monaten die feierliche Grundsteinlegung stattfand, über welche die
Tagespresse, wie über alles jetzt, erst verschiednemal im Futurum und dann noch
einmal gründlichst im Präteritum referirte, hatte ein Leipziger Blatt den genialen
Einfall, die beiden Baumeister nicht Härtel und Lipsius, fondern „ Härtel-Lipsins"
zu nennen. Zwei Tage darauf hießen sie in ganz Leipzig so, und heute — s' ist
kaum zu glauben — nennen sie sich selber so! — Nächstens kaufen wir jedenfalls
auch Musikalien bei Breitkopf-Härtel und trinken Cacao von Jordan-Tiniäus-




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[0620] Ich frug. )es frug mich manchmal in den letzten Tagen: Woher stammt wohl die edle Form: er frug? Wer war der Kühne, der zuerst sie wug? So frug ich mich, so hab ich mich gefragen. Erst wollte mir die Neu'rung nicht behagen; Doch nunmehr treibt sie mich zu kühnerm Flug, Und demnächst werd' ich schreiben auch: er sug, Anstatt er sagte wie bisher zu sagen. Doch ganz wird uns das neue Licht erst tagen, Wenn wir: er klug, er ung, er Plug, er rüg, Es eng, er zug, er — und so weiter wagen. Nur fürcht' ich fast, ihr früget, ob ich klug, Und ihr Frugalen würdet demnächst klagen, Es sei an frug bereits mehr als genug. Paul Lang. In liebenswürdigerer Form kann wohl eine überhandnehmende sprachliche Un¬ art nicht gegeißelt werden, als es in dein vorstehenden, uns in den letzten Tagen zugesandten Sonett geschieht. Wenns nur was nützte! Sprachlichen Modethor¬ heiten gegenüber sind ja selbst die gescheidtesten Leute schwach bis zur Kinderei. 'S ist doch gar zu hübsch, mit so einem neuen Worte oder einer neuen Wortform sich zu spreizen." Vor ein paar Monaten lasen wir zum erstenmale das Wort „wehleidig; es war in einer Besprechung des „Parsifal," wo Amfvrtas als eine wehleidige Gestalt bezeichnet wurde. Seitdem wimmelt es in unsern Theaterkritiken von weh¬ leidigem Figuren. Früher sagte man: drei Jahre lang; dann war es eine Zeit lang Mode, das Französische nachzuäffen und zu sagen: während dreier Jahre. Das allerfeinste aber ist neuerdings das jüdisch-wienerische „durch drei Jahre" — er war durch drei Jahre im Orient. Gott, wie geschmackvoll! In Leipzig bauen jetzt zwei Architekten, Härtel und Lipsius, eine neue Kirche- Als vor einigen Monaten die feierliche Grundsteinlegung stattfand, über welche die Tagespresse, wie über alles jetzt, erst verschiednemal im Futurum und dann noch einmal gründlichst im Präteritum referirte, hatte ein Leipziger Blatt den genialen Einfall, die beiden Baumeister nicht Härtel und Lipsius, fondern „ Härtel-Lipsins" zu nennen. Zwei Tage darauf hießen sie in ganz Leipzig so, und heute — s' ist kaum zu glauben — nennen sie sich selber so! — Nächstens kaufen wir jedenfalls auch Musikalien bei Breitkopf-Härtel und trinken Cacao von Jordan-Tiniäus-

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 41, 1882, Viertes Quartal, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341835_359176/620>, abgerufen am 29.06.2024.