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Die Grenzboten. Jg. 41, 1882, Viertes Quartal.

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Parteibeivegimg in (Österreich.

stinunten kunstgeschichtlichen Periode zu brauchen, mußte jene Naivität unwieder¬
bringlich verloren gehen. Die alten Bilder, die man 1784 ans der Kirche be¬
seitigt, und ans denen sich der Thürmer inzwischen Taubenschläge zusammen¬
gezimmert hatte, wurden 1816 von dein kunsteifrigen jungen Kmifinanu Johann
Gottlieb Quandt in ihrem Versteck wieder aufgestöbert, wurden gereinigt und wieder¬
hergestellt, und heute füllen sie das altdeutsche Zimmer des 'Leipziger Museums.




parteibervegung in Osterreich.

er im verflossnen Frühjahre gemachte Versuch der Gründung einer
Partei, welche ans dem Boden der Demokratie eine Verständigung
zwischen Deutschen lind Slaven in Österreich anstreben wollte,
ist klüglich gescheitert. Aber er war immerhin ein Symptom der
beginnenden Zersetzung der alten Parteien, welche heute schon so
augenfällig ist, daß nnr der verknöcherte Fraktionsmensch sich noch
über die Lage täuschen kann. Die Zersetzung gänzlich in Abrede zu stellen, wagt
auch eigentlich niemand mehr; aber wie gewöhnlich sehen die Politiker von Pro¬
fession nnr, was aus der andern Seite vorgeht. Darin unterscheiden sich Rechte und
Linke, Föderalisten und Zentralisten, Tschechen, Polen und Deutsche durchaus kunst
von einander. Und da jede Partei in der Lage ist, Zwistigkeit und Abfall im
Lager der Gegner konstatiren zu können, so besteht überall eine siegesfrohe Stim¬
mung. Auf welcher Seite diese von Dauer sein wird, ist abzuwarten.

Im Augenblick macht sich also überall Gährung und Bewegung bemerk
lich. Ist, wie gesagt, die "Volkspartei" nicht zustande gekommen, hat sich
Dr. Fischhof enttäuscht wieder in seine Einsamkeit zurückgezogen, sind Freiherr
von Walterskircheu und andre Sezessionisten bei der Neuwahl für das Abge¬
ordnetenhaus unterlegen, so existiren doch Elemente genug, welche der Ver-
snssungspartei deu Krieg muss äußerste erklären, und wenn sie bisher in den
Wahlkämpfen durchweg den kürzeren gezogen haben, so ist die Wahrscheinlich¬
keit nicht gering, daß die Erweiterung des Wahlrechts das Verhältnis ver¬
schieben werde.

Neben diese demokratische Mittelpartei, welche erst hofft, in das Parlament
zu gelangen, stellt sich nun eine andre Mittelpartei, ans Abgeordneten bestehend,
welche lediglich durch die Abneigung gegen die Rechte und gegen die Linke ver¬
einigt zu werden scheinen; anßer einigen konservativen Deutschen Vertreter von
Nationalitäten, welche weder da noch dort die erwünschte Berücksichtigung zu
sinden hoffen, während ihre Stimmen möglicherweise ausschlaggebend werden
können, sobald sie eine besondre Fraktion bilden: Italiener ans Südtirol, Görz,
Trieft, Dalmatien, dazu die wenigen Ruthenen. Die letztem waren vor Zeiten
im Besitz einer solchen Macht und daher stets viel umworben. Aber seitdem
in Galizien die Polen unumschränkt gebieten, ist die Zahl der Ruthenen im
Reichsrate so sehr zusammengeschmolzen, daß sie für sich keine Bedeutung haben.
Nun soll Graf Corvnini, den von sich gestoßen zu haben die Deutschen, wie es
scheint, noch immer als einen Akt politischer Weisheit betrachten, es übernommen
haben, ans diesen verschiednen Bestandteilen einen Körper zu bilden. Daß


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stinunten kunstgeschichtlichen Periode zu brauchen, mußte jene Naivität unwieder¬
bringlich verloren gehen. Die alten Bilder, die man 1784 ans der Kirche be¬
seitigt, und ans denen sich der Thürmer inzwischen Taubenschläge zusammen¬
gezimmert hatte, wurden 1816 von dein kunsteifrigen jungen Kmifinanu Johann
Gottlieb Quandt in ihrem Versteck wieder aufgestöbert, wurden gereinigt und wieder¬
hergestellt, und heute füllen sie das altdeutsche Zimmer des 'Leipziger Museums.




parteibervegung in Osterreich.

er im verflossnen Frühjahre gemachte Versuch der Gründung einer
Partei, welche ans dem Boden der Demokratie eine Verständigung
zwischen Deutschen lind Slaven in Österreich anstreben wollte,
ist klüglich gescheitert. Aber er war immerhin ein Symptom der
beginnenden Zersetzung der alten Parteien, welche heute schon so
augenfällig ist, daß nnr der verknöcherte Fraktionsmensch sich noch
über die Lage täuschen kann. Die Zersetzung gänzlich in Abrede zu stellen, wagt
auch eigentlich niemand mehr; aber wie gewöhnlich sehen die Politiker von Pro¬
fession nnr, was aus der andern Seite vorgeht. Darin unterscheiden sich Rechte und
Linke, Föderalisten und Zentralisten, Tschechen, Polen und Deutsche durchaus kunst
von einander. Und da jede Partei in der Lage ist, Zwistigkeit und Abfall im
Lager der Gegner konstatiren zu können, so besteht überall eine siegesfrohe Stim¬
mung. Auf welcher Seite diese von Dauer sein wird, ist abzuwarten.

Im Augenblick macht sich also überall Gährung und Bewegung bemerk
lich. Ist, wie gesagt, die „Volkspartei" nicht zustande gekommen, hat sich
Dr. Fischhof enttäuscht wieder in seine Einsamkeit zurückgezogen, sind Freiherr
von Walterskircheu und andre Sezessionisten bei der Neuwahl für das Abge¬
ordnetenhaus unterlegen, so existiren doch Elemente genug, welche der Ver-
snssungspartei deu Krieg muss äußerste erklären, und wenn sie bisher in den
Wahlkämpfen durchweg den kürzeren gezogen haben, so ist die Wahrscheinlich¬
keit nicht gering, daß die Erweiterung des Wahlrechts das Verhältnis ver¬
schieben werde.

Neben diese demokratische Mittelpartei, welche erst hofft, in das Parlament
zu gelangen, stellt sich nun eine andre Mittelpartei, ans Abgeordneten bestehend,
welche lediglich durch die Abneigung gegen die Rechte und gegen die Linke ver¬
einigt zu werden scheinen; anßer einigen konservativen Deutschen Vertreter von
Nationalitäten, welche weder da noch dort die erwünschte Berücksichtigung zu
sinden hoffen, während ihre Stimmen möglicherweise ausschlaggebend werden
können, sobald sie eine besondre Fraktion bilden: Italiener ans Südtirol, Görz,
Trieft, Dalmatien, dazu die wenigen Ruthenen. Die letztem waren vor Zeiten
im Besitz einer solchen Macht und daher stets viel umworben. Aber seitdem
in Galizien die Polen unumschränkt gebieten, ist die Zahl der Ruthenen im
Reichsrate so sehr zusammengeschmolzen, daß sie für sich keine Bedeutung haben.
Nun soll Graf Corvnini, den von sich gestoßen zu haben die Deutschen, wie es
scheint, noch immer als einen Akt politischer Weisheit betrachten, es übernommen
haben, ans diesen verschiednen Bestandteilen einen Körper zu bilden. Daß


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 41, 1882, Viertes Quartal, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341835_359176/562>, abgerufen am 29.06.2024.