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Die Grenzboten. Jg. 41, 1882, Viertes Quartal.

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Ein neuer französischer Krieg in Hiebe.

Mi wolle nicht erschrecken. Die Ereignisse, an die wir bei unsrer
Überschrift dachten, sind der Zeit nach anscheinend nahe, werden
sich aber räumlich in weiter Ferne von unsern Grenzen abspielen
und insofern für uns nichts bedenkliches haben, eher das Gegen¬
teil. Man weiß aus den Tagesblättern, daß Frankreich Ansprüche
auf den Besitz gewisser Küstenstriche in Madagaskar und auf das Protektorat
über die ganze Insel erhebt, und daß die Regierung der dort herrschenden Hvvas
Gesandte nach Paris geschickt hat, um eine Verständigung in der Sache zu ver¬
suchen. Der Anspruch Frankreichs datirt von langer Zeit her, und man hat
ihn wiederholt schon geltend zu machen versucht. Wenn das jetzt wieder ge¬
schehe" ist, so gehört diese Politik in den Kreis, ans dein auch die Tonkin- und
Kvngofrage entsprungen sind. Im vorigen Frühling setzte Waddington, als er
die Eroberung von Tunis rechtfertigte, dem Senate auseinander, daß Frankreich
für seinen verminderten Einfluß in Europa sich anderwärts und namentlich in
Afrika Ersatz schaffen müsse. Frankreich erstrebt dort Kolonien, nicht weil es
Gelegenheit zum Absatz seiner Produkte oder zur Unterbringung eines Über¬
schusses seiner Bevölkerung, sondern weil es Erweiterung seiner Macht wünscht.
Der Verlust am Rhein soll durch Gewinn in Hinterindien, in Nord- und West¬
afrika und auf der großen Insel der Hovas ausgeglichen werden, die geographisch
zu Afrika gehört. Die erwähnten Gesandten Madagaskars schienen eine Zeit
lang geneigt, den Forderungen, die am Quai d'Orsay erhoben wurden, nach¬
zugeben, man glaubte dort, ihnen den Standpunkt klar gemacht zu haben, und
hoffte, sie würden die ihnen vorgelegte Übereinkunft unterzeichnen; in der elfte,:
Stunde aber weigerten sie sich, brachen die Unterhandlung ab und verließen,


Grenzboten IV. 1882. 66


Ein neuer französischer Krieg in Hiebe.

Mi wolle nicht erschrecken. Die Ereignisse, an die wir bei unsrer
Überschrift dachten, sind der Zeit nach anscheinend nahe, werden
sich aber räumlich in weiter Ferne von unsern Grenzen abspielen
und insofern für uns nichts bedenkliches haben, eher das Gegen¬
teil. Man weiß aus den Tagesblättern, daß Frankreich Ansprüche
auf den Besitz gewisser Küstenstriche in Madagaskar und auf das Protektorat
über die ganze Insel erhebt, und daß die Regierung der dort herrschenden Hvvas
Gesandte nach Paris geschickt hat, um eine Verständigung in der Sache zu ver¬
suchen. Der Anspruch Frankreichs datirt von langer Zeit her, und man hat
ihn wiederholt schon geltend zu machen versucht. Wenn das jetzt wieder ge¬
schehe» ist, so gehört diese Politik in den Kreis, ans dein auch die Tonkin- und
Kvngofrage entsprungen sind. Im vorigen Frühling setzte Waddington, als er
die Eroberung von Tunis rechtfertigte, dem Senate auseinander, daß Frankreich
für seinen verminderten Einfluß in Europa sich anderwärts und namentlich in
Afrika Ersatz schaffen müsse. Frankreich erstrebt dort Kolonien, nicht weil es
Gelegenheit zum Absatz seiner Produkte oder zur Unterbringung eines Über¬
schusses seiner Bevölkerung, sondern weil es Erweiterung seiner Macht wünscht.
Der Verlust am Rhein soll durch Gewinn in Hinterindien, in Nord- und West¬
afrika und auf der großen Insel der Hovas ausgeglichen werden, die geographisch
zu Afrika gehört. Die erwähnten Gesandten Madagaskars schienen eine Zeit
lang geneigt, den Forderungen, die am Quai d'Orsay erhoben wurden, nach¬
zugeben, man glaubte dort, ihnen den Standpunkt klar gemacht zu haben, und
hoffte, sie würden die ihnen vorgelegte Übereinkunft unterzeichnen; in der elfte,:
Stunde aber weigerten sie sich, brachen die Unterhandlung ab und verließen,


Grenzboten IV. 1882. 66
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[0525] [Abbildung] Ein neuer französischer Krieg in Hiebe. Mi wolle nicht erschrecken. Die Ereignisse, an die wir bei unsrer Überschrift dachten, sind der Zeit nach anscheinend nahe, werden sich aber räumlich in weiter Ferne von unsern Grenzen abspielen und insofern für uns nichts bedenkliches haben, eher das Gegen¬ teil. Man weiß aus den Tagesblättern, daß Frankreich Ansprüche auf den Besitz gewisser Küstenstriche in Madagaskar und auf das Protektorat über die ganze Insel erhebt, und daß die Regierung der dort herrschenden Hvvas Gesandte nach Paris geschickt hat, um eine Verständigung in der Sache zu ver¬ suchen. Der Anspruch Frankreichs datirt von langer Zeit her, und man hat ihn wiederholt schon geltend zu machen versucht. Wenn das jetzt wieder ge¬ schehe» ist, so gehört diese Politik in den Kreis, ans dein auch die Tonkin- und Kvngofrage entsprungen sind. Im vorigen Frühling setzte Waddington, als er die Eroberung von Tunis rechtfertigte, dem Senate auseinander, daß Frankreich für seinen verminderten Einfluß in Europa sich anderwärts und namentlich in Afrika Ersatz schaffen müsse. Frankreich erstrebt dort Kolonien, nicht weil es Gelegenheit zum Absatz seiner Produkte oder zur Unterbringung eines Über¬ schusses seiner Bevölkerung, sondern weil es Erweiterung seiner Macht wünscht. Der Verlust am Rhein soll durch Gewinn in Hinterindien, in Nord- und West¬ afrika und auf der großen Insel der Hovas ausgeglichen werden, die geographisch zu Afrika gehört. Die erwähnten Gesandten Madagaskars schienen eine Zeit lang geneigt, den Forderungen, die am Quai d'Orsay erhoben wurden, nach¬ zugeben, man glaubte dort, ihnen den Standpunkt klar gemacht zu haben, und hoffte, sie würden die ihnen vorgelegte Übereinkunft unterzeichnen; in der elfte,: Stunde aber weigerten sie sich, brachen die Unterhandlung ab und verließen, Grenzboten IV. 1882. 66

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 41, 1882, Viertes Quartal, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341835_359176/525>, abgerufen am 29.06.2024.