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Die Grenzboten. Jg. 41, 1882, Drittes Quartal.

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Der jüngste Tag.

lich Bills Ehrgeiz, Bigamie zu begehen oder was andres Lustiges zu treiben.
Aber Norman war wütend, und unter seiner Anleitung wurden Wehte jetzt die
Arme mit dein Stricke zusammengebunden, und man trat zu einer Beratung
zusammen, während welcher die kleine Wilhelmine mit guter Wirkung sür ihren
Vater bat, was weniger durch Worte als dnrch ihre Thränen und ihr Schreien
und das Ringen ihrer kleinen, dicke" Hände geschah. Bill Day meinte, er
wollte Schafkopf heißen, wenn die Art, wie das kleine deutsche Mädel sich ge¬
berdete, "es ihm nicht gleichsam ein bischen wabbelig ums Herz werden ließe."
Aber ohne irgend etwas gethan zu haben, konnte die Rotte doch nicht von dannen
ziehen, und so wurde beschlossen, Gottlieb im Flusse ein tüchtiges kaltes Bad
nehmen zu lassen und ihn dnranf mit der Verwarnung, nie wiederzukommen,
"ach Kentucky zu spediren. Sie gingen die Schlucht hinunter, nu Andrews
Burg vorbei und nach dem Ufer des Stromes. Frau Weste folgte, und die
kleine Wilhelmine lies und zog die Lärmglocke und weckte deu Hinterwalds-
Philosophen, der sich bald unter sie begab, aber zu spät, um ihnen ihren Vorsatz
ausreden zu können; denn Andrews eignes Boot, die "Griseldis" genannt, war
bereits, mit den drei nüchternsten bemannt, vom Ufer abgestoßen, um Weste
nach einer einzigen hastigen Untertanchung nach dem andern Gestade zu bringen,
während die übrigen dastanden und wie die Tollhäusler brüllten, um jeden
Lärm, den Weste machen konnte, um auf der andern Seite Aufmerksamkeit zu
erregen, zu ersticken.




Vierundzwanzigstes Kapitel.
Der Riese Großherz.

Sobald Andrews Boot, die "Griseldis," wieder zurückgebracht worden war
und die rohen Lümmel sich durch die Schlucht hinauf entfernt hatten, ließ
Andrew Frnn Weste am Feuer in der Webstuhlstube der Burg zurück, während
er über den Strom fuhr, um nach Gottlieb zu sehen. Die kleine Wilhelmine
bestand darauf, ihn begleiten zu dürfen, und da sie ein Steuerruder wohl zu
handhaben verstand, so nahm er sie mit. Sie fanden Gottlieb auf einem Baum¬
stamm sitzend. Seine Arme waren ihm grausam zusammengeschnürt, er troff
infolge der Untertauchung von Wasser und befand sich in einem Zustande tiefster
Niedergeschlagenheit.

Nu frag' ich Sie, Andrew, ist das das, was sie ein freies Land nennen?
Ein Land, wo betrunkene Lumpeukcrls thun, was sie wollen? Das heißt also
cui freies Land. Mein Sohn ist davongelaufen, weil er einen Narren gefressen
hat an einem Jankeemädel, der dumme Junge. Und ich werde gehängt und
^fünft und getheert und gefedert und hinaus in deu Fluß geschleppt, und sie
sagen mir, wenn ich wieder heimginge zu Frau und Kindern, so wollten sie mich


Grenzboten III. 1882. 79
Der jüngste Tag.

lich Bills Ehrgeiz, Bigamie zu begehen oder was andres Lustiges zu treiben.
Aber Norman war wütend, und unter seiner Anleitung wurden Wehte jetzt die
Arme mit dein Stricke zusammengebunden, und man trat zu einer Beratung
zusammen, während welcher die kleine Wilhelmine mit guter Wirkung sür ihren
Vater bat, was weniger durch Worte als dnrch ihre Thränen und ihr Schreien
und das Ringen ihrer kleinen, dicke» Hände geschah. Bill Day meinte, er
wollte Schafkopf heißen, wenn die Art, wie das kleine deutsche Mädel sich ge¬
berdete, „es ihm nicht gleichsam ein bischen wabbelig ums Herz werden ließe."
Aber ohne irgend etwas gethan zu haben, konnte die Rotte doch nicht von dannen
ziehen, und so wurde beschlossen, Gottlieb im Flusse ein tüchtiges kaltes Bad
nehmen zu lassen und ihn dnranf mit der Verwarnung, nie wiederzukommen,
»ach Kentucky zu spediren. Sie gingen die Schlucht hinunter, nu Andrews
Burg vorbei und nach dem Ufer des Stromes. Frau Weste folgte, und die
kleine Wilhelmine lies und zog die Lärmglocke und weckte deu Hinterwalds-
Philosophen, der sich bald unter sie begab, aber zu spät, um ihnen ihren Vorsatz
ausreden zu können; denn Andrews eignes Boot, die „Griseldis" genannt, war
bereits, mit den drei nüchternsten bemannt, vom Ufer abgestoßen, um Weste
nach einer einzigen hastigen Untertanchung nach dem andern Gestade zu bringen,
während die übrigen dastanden und wie die Tollhäusler brüllten, um jeden
Lärm, den Weste machen konnte, um auf der andern Seite Aufmerksamkeit zu
erregen, zu ersticken.




Vierundzwanzigstes Kapitel.
Der Riese Großherz.

Sobald Andrews Boot, die „Griseldis," wieder zurückgebracht worden war
und die rohen Lümmel sich durch die Schlucht hinauf entfernt hatten, ließ
Andrew Frnn Weste am Feuer in der Webstuhlstube der Burg zurück, während
er über den Strom fuhr, um nach Gottlieb zu sehen. Die kleine Wilhelmine
bestand darauf, ihn begleiten zu dürfen, und da sie ein Steuerruder wohl zu
handhaben verstand, so nahm er sie mit. Sie fanden Gottlieb auf einem Baum¬
stamm sitzend. Seine Arme waren ihm grausam zusammengeschnürt, er troff
infolge der Untertauchung von Wasser und befand sich in einem Zustande tiefster
Niedergeschlagenheit.

Nu frag' ich Sie, Andrew, ist das das, was sie ein freies Land nennen?
Ein Land, wo betrunkene Lumpeukcrls thun, was sie wollen? Das heißt also
cui freies Land. Mein Sohn ist davongelaufen, weil er einen Narren gefressen
hat an einem Jankeemädel, der dumme Junge. Und ich werde gehängt und
^fünft und getheert und gefedert und hinaus in deu Fluß geschleppt, und sie
sagen mir, wenn ich wieder heimginge zu Frau und Kindern, so wollten sie mich


Grenzboten III. 1882. 79
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[0633] Der jüngste Tag. lich Bills Ehrgeiz, Bigamie zu begehen oder was andres Lustiges zu treiben. Aber Norman war wütend, und unter seiner Anleitung wurden Wehte jetzt die Arme mit dein Stricke zusammengebunden, und man trat zu einer Beratung zusammen, während welcher die kleine Wilhelmine mit guter Wirkung sür ihren Vater bat, was weniger durch Worte als dnrch ihre Thränen und ihr Schreien und das Ringen ihrer kleinen, dicke» Hände geschah. Bill Day meinte, er wollte Schafkopf heißen, wenn die Art, wie das kleine deutsche Mädel sich ge¬ berdete, „es ihm nicht gleichsam ein bischen wabbelig ums Herz werden ließe." Aber ohne irgend etwas gethan zu haben, konnte die Rotte doch nicht von dannen ziehen, und so wurde beschlossen, Gottlieb im Flusse ein tüchtiges kaltes Bad nehmen zu lassen und ihn dnranf mit der Verwarnung, nie wiederzukommen, »ach Kentucky zu spediren. Sie gingen die Schlucht hinunter, nu Andrews Burg vorbei und nach dem Ufer des Stromes. Frau Weste folgte, und die kleine Wilhelmine lies und zog die Lärmglocke und weckte deu Hinterwalds- Philosophen, der sich bald unter sie begab, aber zu spät, um ihnen ihren Vorsatz ausreden zu können; denn Andrews eignes Boot, die „Griseldis" genannt, war bereits, mit den drei nüchternsten bemannt, vom Ufer abgestoßen, um Weste nach einer einzigen hastigen Untertanchung nach dem andern Gestade zu bringen, während die übrigen dastanden und wie die Tollhäusler brüllten, um jeden Lärm, den Weste machen konnte, um auf der andern Seite Aufmerksamkeit zu erregen, zu ersticken. Vierundzwanzigstes Kapitel. Der Riese Großherz. Sobald Andrews Boot, die „Griseldis," wieder zurückgebracht worden war und die rohen Lümmel sich durch die Schlucht hinauf entfernt hatten, ließ Andrew Frnn Weste am Feuer in der Webstuhlstube der Burg zurück, während er über den Strom fuhr, um nach Gottlieb zu sehen. Die kleine Wilhelmine bestand darauf, ihn begleiten zu dürfen, und da sie ein Steuerruder wohl zu handhaben verstand, so nahm er sie mit. Sie fanden Gottlieb auf einem Baum¬ stamm sitzend. Seine Arme waren ihm grausam zusammengeschnürt, er troff infolge der Untertauchung von Wasser und befand sich in einem Zustande tiefster Niedergeschlagenheit. Nu frag' ich Sie, Andrew, ist das das, was sie ein freies Land nennen? Ein Land, wo betrunkene Lumpeukcrls thun, was sie wollen? Das heißt also cui freies Land. Mein Sohn ist davongelaufen, weil er einen Narren gefressen hat an einem Jankeemädel, der dumme Junge. Und ich werde gehängt und ^fünft und getheert und gefedert und hinaus in deu Fluß geschleppt, und sie sagen mir, wenn ich wieder heimginge zu Frau und Kindern, so wollten sie mich Grenzboten III. 1882. 79

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 41, 1882, Drittes Quartal, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341835_193340/633>, abgerufen am 29.06.2024.