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Die Grenzboten. Jg. 41, 1882, Drittes Quartal.

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Der jüngste Tag.

noch einmal umbringen. Und ich glaube, wenn ich hier in Kentucky bleibe, fo
werden die Leute mich auch hängen und voll Theer schmieren und in den Fluß
werfen, weil ich ein Deutscher bin. Ich sage Ihnen, die Welt ist allenthalben
schlecht, und es muß ein Ende mit ihr gemacht werden -- es ist mir ganz
einerlei, ob heute oder morgen --, sodaß die betrunkenen Narren kriegen, was
ihnen gehört, wenn Gabriel die Posaune bläst.

Sie werden das zu rechter Zeit bekommen, mein Freund, sagte Andrew,
indem er den Strick aufknüpfte, mit dem sie Gottlieb gefesselt hatten. Komm,
laß uns auf unser Ufer zurückkehren.

Aber 's ist ja nicht mehr mein Ufer. Sie sagten ja, sie wollten mich noch
einmal hängen, wenn ich jemals wieder über den Ohiofluß zurückkäme, und ich
will nicht wieder wegen nichts gehängt werden.

Dafür, daß das nicht geschieht, werde ich Sorge tragen, sagte Andrew.
Noch vor der nächsten Nacht soll dein Haus der sicherste Ort in ganz Clark
Township sein. Ich habe die Schurken jetzt an der Gurgel. Verlaß dich
auf mich.

Es erforderte trotzdem viel Bitten auf feiten Andrews und viel Weinen
und Küssen auf feiten Wilhelminens, um den erschreckten Gottlieb auf andere
Gedanken zu bringen. Zuletzt stieg er in das Boot und ließ sich nach dem Ufer
von Jndiana zurückrudern, wobei er auf dem Wege wiederholt erklärte, nie ein
solches freies Land gesehen zu haben wie dieses hier.

Als Bill Day und seine Kameraden am nächsten Morgen aufstanden und
über ihr Thun und Treiben in der vergangenen Nacht nachdachten, kam ihnen
dasselbe nicht halb so lustig vor als vorher. Und als Norman Anderson, Bill
Day und Bob Short eine gewisse Notiz an der Thür von Mcmdluffs Kram¬
laden lasen, fühlten sie, daß "Bigamie" nicht bloß eine heitere, sondern auch
eine ernste Seite haben könne.

Andrew beabsichtigte zuerst eine Untersuchung gegen die Unfngstifter zu be¬
antragen, er wußte indeß, daß der gesetzliche Weg gegenüber den Einflüssen,
welche die acht oder nenn jungen Leute geltend machen könnten, und gegenüber
den Vorurteilen des Volkes gegen die Deutschen sehr unsicher sein würde. Einen
Prozeß anzustrengen, hieß weitere Unruhen hervorrufen. So begnügte er sich mit
der folgenden

Proklamation.

An alle, die es angeht. Ich habe eine Liste von acht Namen, die mit
der aufrührerischen Rotte in Verbindung stehen, welche in das Haus Gottlieb
Wehles, eines friedlichen und harmlosen Bürgers der Vereinigten Staaten, ein¬
gebrochen ist. Diese acht Mann schritten dazu, gegen besagten Gottlieb Weste
einen Anfall mit Körperverletzung zu verüben und versuchten sogar, ihm das
Leben zu nehmen. Und das besagte und aufrührerische Betragen war das Er¬
gebnis einer Verschwörung, und der besagte Angriff mit der Absicht zu töten


Der jüngste Tag.

noch einmal umbringen. Und ich glaube, wenn ich hier in Kentucky bleibe, fo
werden die Leute mich auch hängen und voll Theer schmieren und in den Fluß
werfen, weil ich ein Deutscher bin. Ich sage Ihnen, die Welt ist allenthalben
schlecht, und es muß ein Ende mit ihr gemacht werden — es ist mir ganz
einerlei, ob heute oder morgen —, sodaß die betrunkenen Narren kriegen, was
ihnen gehört, wenn Gabriel die Posaune bläst.

Sie werden das zu rechter Zeit bekommen, mein Freund, sagte Andrew,
indem er den Strick aufknüpfte, mit dem sie Gottlieb gefesselt hatten. Komm,
laß uns auf unser Ufer zurückkehren.

Aber 's ist ja nicht mehr mein Ufer. Sie sagten ja, sie wollten mich noch
einmal hängen, wenn ich jemals wieder über den Ohiofluß zurückkäme, und ich
will nicht wieder wegen nichts gehängt werden.

Dafür, daß das nicht geschieht, werde ich Sorge tragen, sagte Andrew.
Noch vor der nächsten Nacht soll dein Haus der sicherste Ort in ganz Clark
Township sein. Ich habe die Schurken jetzt an der Gurgel. Verlaß dich
auf mich.

Es erforderte trotzdem viel Bitten auf feiten Andrews und viel Weinen
und Küssen auf feiten Wilhelminens, um den erschreckten Gottlieb auf andere
Gedanken zu bringen. Zuletzt stieg er in das Boot und ließ sich nach dem Ufer
von Jndiana zurückrudern, wobei er auf dem Wege wiederholt erklärte, nie ein
solches freies Land gesehen zu haben wie dieses hier.

Als Bill Day und seine Kameraden am nächsten Morgen aufstanden und
über ihr Thun und Treiben in der vergangenen Nacht nachdachten, kam ihnen
dasselbe nicht halb so lustig vor als vorher. Und als Norman Anderson, Bill
Day und Bob Short eine gewisse Notiz an der Thür von Mcmdluffs Kram¬
laden lasen, fühlten sie, daß „Bigamie" nicht bloß eine heitere, sondern auch
eine ernste Seite haben könne.

Andrew beabsichtigte zuerst eine Untersuchung gegen die Unfngstifter zu be¬
antragen, er wußte indeß, daß der gesetzliche Weg gegenüber den Einflüssen,
welche die acht oder nenn jungen Leute geltend machen könnten, und gegenüber
den Vorurteilen des Volkes gegen die Deutschen sehr unsicher sein würde. Einen
Prozeß anzustrengen, hieß weitere Unruhen hervorrufen. So begnügte er sich mit
der folgenden

Proklamation.

An alle, die es angeht. Ich habe eine Liste von acht Namen, die mit
der aufrührerischen Rotte in Verbindung stehen, welche in das Haus Gottlieb
Wehles, eines friedlichen und harmlosen Bürgers der Vereinigten Staaten, ein¬
gebrochen ist. Diese acht Mann schritten dazu, gegen besagten Gottlieb Weste
einen Anfall mit Körperverletzung zu verüben und versuchten sogar, ihm das
Leben zu nehmen. Und das besagte und aufrührerische Betragen war das Er¬
gebnis einer Verschwörung, und der besagte Angriff mit der Absicht zu töten


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[0634] Der jüngste Tag. noch einmal umbringen. Und ich glaube, wenn ich hier in Kentucky bleibe, fo werden die Leute mich auch hängen und voll Theer schmieren und in den Fluß werfen, weil ich ein Deutscher bin. Ich sage Ihnen, die Welt ist allenthalben schlecht, und es muß ein Ende mit ihr gemacht werden — es ist mir ganz einerlei, ob heute oder morgen —, sodaß die betrunkenen Narren kriegen, was ihnen gehört, wenn Gabriel die Posaune bläst. Sie werden das zu rechter Zeit bekommen, mein Freund, sagte Andrew, indem er den Strick aufknüpfte, mit dem sie Gottlieb gefesselt hatten. Komm, laß uns auf unser Ufer zurückkehren. Aber 's ist ja nicht mehr mein Ufer. Sie sagten ja, sie wollten mich noch einmal hängen, wenn ich jemals wieder über den Ohiofluß zurückkäme, und ich will nicht wieder wegen nichts gehängt werden. Dafür, daß das nicht geschieht, werde ich Sorge tragen, sagte Andrew. Noch vor der nächsten Nacht soll dein Haus der sicherste Ort in ganz Clark Township sein. Ich habe die Schurken jetzt an der Gurgel. Verlaß dich auf mich. Es erforderte trotzdem viel Bitten auf feiten Andrews und viel Weinen und Küssen auf feiten Wilhelminens, um den erschreckten Gottlieb auf andere Gedanken zu bringen. Zuletzt stieg er in das Boot und ließ sich nach dem Ufer von Jndiana zurückrudern, wobei er auf dem Wege wiederholt erklärte, nie ein solches freies Land gesehen zu haben wie dieses hier. Als Bill Day und seine Kameraden am nächsten Morgen aufstanden und über ihr Thun und Treiben in der vergangenen Nacht nachdachten, kam ihnen dasselbe nicht halb so lustig vor als vorher. Und als Norman Anderson, Bill Day und Bob Short eine gewisse Notiz an der Thür von Mcmdluffs Kram¬ laden lasen, fühlten sie, daß „Bigamie" nicht bloß eine heitere, sondern auch eine ernste Seite haben könne. Andrew beabsichtigte zuerst eine Untersuchung gegen die Unfngstifter zu be¬ antragen, er wußte indeß, daß der gesetzliche Weg gegenüber den Einflüssen, welche die acht oder nenn jungen Leute geltend machen könnten, und gegenüber den Vorurteilen des Volkes gegen die Deutschen sehr unsicher sein würde. Einen Prozeß anzustrengen, hieß weitere Unruhen hervorrufen. So begnügte er sich mit der folgenden Proklamation. An alle, die es angeht. Ich habe eine Liste von acht Namen, die mit der aufrührerischen Rotte in Verbindung stehen, welche in das Haus Gottlieb Wehles, eines friedlichen und harmlosen Bürgers der Vereinigten Staaten, ein¬ gebrochen ist. Diese acht Mann schritten dazu, gegen besagten Gottlieb Weste einen Anfall mit Körperverletzung zu verüben und versuchten sogar, ihm das Leben zu nehmen. Und das besagte und aufrührerische Betragen war das Er¬ gebnis einer Verschwörung, und der besagte Angriff mit der Absicht zu töten

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 41, 1882, Drittes Quartal, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341835_193340/634>, abgerufen am 01.07.2024.