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Die Grenzboten. Jg. 41, 1882, Drittes Quartal.

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Der jüngste Tag.

traten die betrunkenen Burschen aus Achtung vor einem Weibe zurück. Dann
aber kam Bill Day plötzlich der Gedanke, daß die Pflicht, Frau Weste zur Ein¬
willigung in die Hinrichtung ihres Mannes zu überreden, ihm obliege.

Weg da, Jungens, sagte er. Laßt mich mit der Alten reden. Ich werde
ihrs auseinandersetzen.

Du kannst ja nicht besser deutsch reden als ein Pferd, piepte Jen West.
Will verdammt sein, wenn ichs nicht kann. He, Alte, verstehst deutsch?
Ja.

Na, seht ihrs, sagte Bill, indem er sich triumphirend zu den andern wen¬
dete, was hab' ich euch gesagt? Nun, Sie sehen, Ihr Sohn August ist ein Dieb.
Er ist kein Dieb, schrie der alte Weste.

Halt die Schnauze, wenn ich sage, er ist einer. Nun denn, Ihr Alter muß
gehenkt werden.

Weswegen denn? unterbrach ihn Gottlieb.

Alles die eigne Schuld. Hättest kein Dutchmcm werden sollen.

Hier verfiel die Rotte in Streit. Es war nicht so leicht, einen Mann zu
hängen, wenn eine solche Frau dabei stand und sich für ihn verwendete. Außer¬
dem bestand Bob Short darauf, daß Hängen Bigamie ersten Grades wäre und
sie besser thäten, es sein zu lassen. Bill Day stimmte dem bei, indem er meinte,
Theeren und Federn wäre seines Erachtens bloß Bigamie im zweiten Grade,
und dann würde es wirklich was Lustiges sein. Und jetzt hörte man ein wirres
Durcheinanderschreien: Her mit dem Theer! -- Wo sind die Federn? -- Zieht
ihm die Kleider aus! Norman blieb dabei, Weste müsse gehenkt werden. Schnaps¬
trinker machte ihn stets niederträchtiger. Die andern waren nicht so schlimm.
Aber der Theer war nicht zu finden, der Mann, den sie neben der Straße mit
einem gebrochenen Arm hatten liegen lassen, hatte den Theer mitgenommen und
war bei seinem Sturze tüchtig damit besudelt worden.

Ha--up! schrie Bill Day mit lautem Schlucken. Etwas muß geschehen-
Zum Henker mit der Bigamie! Wollen ihn so hoch wie Haman Hunger.

Damit warf man Gottlieb abermals den Strick um den Hals und zerrte
ihn hastig nach dem nächsten Baume. Dort warf man den Strick über einen Ast,
und ein halb Dutzend betrunkener Gesellen machte sich bereit zu ziehen, während
Norman Anderson ihm die Schlinge umlegte und der tapfere Bill Day es
unternahm, Frau Weste abzuwehren.

Alles bereit! Anziehen! Ha--up! brüllte Bill Day, von Schlucken unter¬
brochen. Die Bande zog, aber Frau Weste hatte die Schlinge wieder abge¬
streift, und die freiwilligen Henkersknechte fielen in solcher Weise über- und
durcheinander, daß sie das spöttische Gelächter Bill Days erregten, dem es über
die Maßen lustig vorkam. Aber ehe er mit seinem Lachen zu Ende war, hatte
der entrüstete Gottlieb ihn mit einem Faustschläge zu Boden gestreckt und Norman
ihm nachgeschickt. Der Schlag ernüchterte sie ein wenig und vernichtete plötz-


Der jüngste Tag.

traten die betrunkenen Burschen aus Achtung vor einem Weibe zurück. Dann
aber kam Bill Day plötzlich der Gedanke, daß die Pflicht, Frau Weste zur Ein¬
willigung in die Hinrichtung ihres Mannes zu überreden, ihm obliege.

Weg da, Jungens, sagte er. Laßt mich mit der Alten reden. Ich werde
ihrs auseinandersetzen.

Du kannst ja nicht besser deutsch reden als ein Pferd, piepte Jen West.
Will verdammt sein, wenn ichs nicht kann. He, Alte, verstehst deutsch?
Ja.

Na, seht ihrs, sagte Bill, indem er sich triumphirend zu den andern wen¬
dete, was hab' ich euch gesagt? Nun, Sie sehen, Ihr Sohn August ist ein Dieb.
Er ist kein Dieb, schrie der alte Weste.

Halt die Schnauze, wenn ich sage, er ist einer. Nun denn, Ihr Alter muß
gehenkt werden.

Weswegen denn? unterbrach ihn Gottlieb.

Alles die eigne Schuld. Hättest kein Dutchmcm werden sollen.

Hier verfiel die Rotte in Streit. Es war nicht so leicht, einen Mann zu
hängen, wenn eine solche Frau dabei stand und sich für ihn verwendete. Außer¬
dem bestand Bob Short darauf, daß Hängen Bigamie ersten Grades wäre und
sie besser thäten, es sein zu lassen. Bill Day stimmte dem bei, indem er meinte,
Theeren und Federn wäre seines Erachtens bloß Bigamie im zweiten Grade,
und dann würde es wirklich was Lustiges sein. Und jetzt hörte man ein wirres
Durcheinanderschreien: Her mit dem Theer! — Wo sind die Federn? — Zieht
ihm die Kleider aus! Norman blieb dabei, Weste müsse gehenkt werden. Schnaps¬
trinker machte ihn stets niederträchtiger. Die andern waren nicht so schlimm.
Aber der Theer war nicht zu finden, der Mann, den sie neben der Straße mit
einem gebrochenen Arm hatten liegen lassen, hatte den Theer mitgenommen und
war bei seinem Sturze tüchtig damit besudelt worden.

Ha—up! schrie Bill Day mit lautem Schlucken. Etwas muß geschehen-
Zum Henker mit der Bigamie! Wollen ihn so hoch wie Haman Hunger.

Damit warf man Gottlieb abermals den Strick um den Hals und zerrte
ihn hastig nach dem nächsten Baume. Dort warf man den Strick über einen Ast,
und ein halb Dutzend betrunkener Gesellen machte sich bereit zu ziehen, während
Norman Anderson ihm die Schlinge umlegte und der tapfere Bill Day es
unternahm, Frau Weste abzuwehren.

Alles bereit! Anziehen! Ha—up! brüllte Bill Day, von Schlucken unter¬
brochen. Die Bande zog, aber Frau Weste hatte die Schlinge wieder abge¬
streift, und die freiwilligen Henkersknechte fielen in solcher Weise über- und
durcheinander, daß sie das spöttische Gelächter Bill Days erregten, dem es über
die Maßen lustig vorkam. Aber ehe er mit seinem Lachen zu Ende war, hatte
der entrüstete Gottlieb ihn mit einem Faustschläge zu Boden gestreckt und Norman
ihm nachgeschickt. Der Schlag ernüchterte sie ein wenig und vernichtete plötz-


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 41, 1882, Drittes Quartal, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341835_193340/632>, abgerufen am 01.07.2024.