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Die Grenzboten. Jg. 41, 1882, Drittes Quartal.

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Wenn jemand fragte: wer soll denn die neuen Buchstaben in die Praxis
einführen? so würde ich antworten: die Philologenversammlnngen. Germanisten,
Ägyptolvgcn, Sanskritfvrscher bedienen sich ja bereits mancher besondern Lettern,
welche dem großen Publikum unverständlich sind und dasselbe auch nichts an¬
gehen. Ihnen könnte es nicht gar schwer fallen, zu bestimmen, welche von diesen
in unsre Schrift aufzunehmen wären. Auch an die Schriftsteller- und Jvurna-
listenkongresse zu denken wäre mau versucht, diese haben ja aber viel wichtigere
Fragen zu beraten!




Griechische Weine.

erfolgen wir die Geschichte des Weines, so sehen wir, daß er der
Herkunft nach ein Asiat ist, dagegen in Griechenland europäisirt,
veredelt und zum göttlichem Freudenspender erhoben wurde. Sein
Stammland ist im Südosten des Pontus, im alten Kolchis, dem
jetzigen Mingrelien und Jmerethien, zu suchen, in dessen riesigen
Laubwäldern die Rede noch heute wild und üppiger, gewaltiger als sonstwo
in der Welt wächst, und wo ihre Traube ohne Zweifel anch zuerst gekeltert
wurde. Durch die Eroberungszüge der Pharaonen gelangte der Rcbstock nach
Kleinasien, Syrien und Ägypten, durch das phönizische Handels- und Schisser¬
volk nach Hellas, zunächst wohl nach den Inseln, wo Baechos seine Hochzeit
mit Ariadne abhält und die ältesten Dionysosfeste gefeiert wurden, dann ver¬
mutlich mich Thrakien, wo ihn die Mythe in Nysa seine Jugend verleben läßt,
endlich nach Attika, von wo der Anbau der edeln Pflanze und der Genuß des
Saftes ihrer Beeren sich nach den übrigen Gauen des Hellenenvvlkes verbreiteten.

Dies muh schon geraume Zeit vor der letzten Redaktion der homerischen
Gesänge stattgefunden haben; denn häufig wird in diesen des Weines gedacht,
und nie als einer neuen Erscheinung des Kulturlebens. Bon Ithaka rühmt
Telemachos, daß es reichlich Wein hervorbringe, ein Rebengnrten gehört zu dem
Altenteil, auf das sich der greise Laertes zurückgezogen hat, von den Kalydo-
uiern wird dem Meleager eine Hufe angeboten, die zu gleichen Teilen Wein
und Korn trägt, und auf dem Schilde des Achilleus ist el" Garten mit goldnen
Reben und silbernen Pfählen sowie ein Winzerfest dargestellt, wo "Jünglinge
und rosige Jungfrauen die süße Frucht in schöngeflochtenen Körben tragen und
jauchzend nach dem Saitenspiele des Knaben tanzen, der in ihrer Mitte geht." Auf¬
bewahrt wird der ausgepreßte Traubensaft in großen Thonkrügen, trnnsportirt


auf jahrtauseude aller Tradition, und alle Vorschläge, neue Schriftzeichen anzuführen, wie sie
namentlich vonseiten der "Ortografen" schon oft gemacht worden sind, haben in fachwissen-
D. Red. schaftlichen Kreiselt bis jetzt immer nur Spott geerntet.

Wenn jemand fragte: wer soll denn die neuen Buchstaben in die Praxis
einführen? so würde ich antworten: die Philologenversammlnngen. Germanisten,
Ägyptolvgcn, Sanskritfvrscher bedienen sich ja bereits mancher besondern Lettern,
welche dem großen Publikum unverständlich sind und dasselbe auch nichts an¬
gehen. Ihnen könnte es nicht gar schwer fallen, zu bestimmen, welche von diesen
in unsre Schrift aufzunehmen wären. Auch an die Schriftsteller- und Jvurna-
listenkongresse zu denken wäre mau versucht, diese haben ja aber viel wichtigere
Fragen zu beraten!




Griechische Weine.

erfolgen wir die Geschichte des Weines, so sehen wir, daß er der
Herkunft nach ein Asiat ist, dagegen in Griechenland europäisirt,
veredelt und zum göttlichem Freudenspender erhoben wurde. Sein
Stammland ist im Südosten des Pontus, im alten Kolchis, dem
jetzigen Mingrelien und Jmerethien, zu suchen, in dessen riesigen
Laubwäldern die Rede noch heute wild und üppiger, gewaltiger als sonstwo
in der Welt wächst, und wo ihre Traube ohne Zweifel anch zuerst gekeltert
wurde. Durch die Eroberungszüge der Pharaonen gelangte der Rcbstock nach
Kleinasien, Syrien und Ägypten, durch das phönizische Handels- und Schisser¬
volk nach Hellas, zunächst wohl nach den Inseln, wo Baechos seine Hochzeit
mit Ariadne abhält und die ältesten Dionysosfeste gefeiert wurden, dann ver¬
mutlich mich Thrakien, wo ihn die Mythe in Nysa seine Jugend verleben läßt,
endlich nach Attika, von wo der Anbau der edeln Pflanze und der Genuß des
Saftes ihrer Beeren sich nach den übrigen Gauen des Hellenenvvlkes verbreiteten.

Dies muh schon geraume Zeit vor der letzten Redaktion der homerischen
Gesänge stattgefunden haben; denn häufig wird in diesen des Weines gedacht,
und nie als einer neuen Erscheinung des Kulturlebens. Bon Ithaka rühmt
Telemachos, daß es reichlich Wein hervorbringe, ein Rebengnrten gehört zu dem
Altenteil, auf das sich der greise Laertes zurückgezogen hat, von den Kalydo-
uiern wird dem Meleager eine Hufe angeboten, die zu gleichen Teilen Wein
und Korn trägt, und auf dem Schilde des Achilleus ist el» Garten mit goldnen
Reben und silbernen Pfählen sowie ein Winzerfest dargestellt, wo „Jünglinge
und rosige Jungfrauen die süße Frucht in schöngeflochtenen Körben tragen und
jauchzend nach dem Saitenspiele des Knaben tanzen, der in ihrer Mitte geht." Auf¬
bewahrt wird der ausgepreßte Traubensaft in großen Thonkrügen, trnnsportirt


auf jahrtauseude aller Tradition, und alle Vorschläge, neue Schriftzeichen anzuführen, wie sie
namentlich vonseiten der „Ortografen" schon oft gemacht worden sind, haben in fachwissen-
D. Red. schaftlichen Kreiselt bis jetzt immer nur Spott geerntet.
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[0612] Wenn jemand fragte: wer soll denn die neuen Buchstaben in die Praxis einführen? so würde ich antworten: die Philologenversammlnngen. Germanisten, Ägyptolvgcn, Sanskritfvrscher bedienen sich ja bereits mancher besondern Lettern, welche dem großen Publikum unverständlich sind und dasselbe auch nichts an¬ gehen. Ihnen könnte es nicht gar schwer fallen, zu bestimmen, welche von diesen in unsre Schrift aufzunehmen wären. Auch an die Schriftsteller- und Jvurna- listenkongresse zu denken wäre mau versucht, diese haben ja aber viel wichtigere Fragen zu beraten! Griechische Weine. erfolgen wir die Geschichte des Weines, so sehen wir, daß er der Herkunft nach ein Asiat ist, dagegen in Griechenland europäisirt, veredelt und zum göttlichem Freudenspender erhoben wurde. Sein Stammland ist im Südosten des Pontus, im alten Kolchis, dem jetzigen Mingrelien und Jmerethien, zu suchen, in dessen riesigen Laubwäldern die Rede noch heute wild und üppiger, gewaltiger als sonstwo in der Welt wächst, und wo ihre Traube ohne Zweifel anch zuerst gekeltert wurde. Durch die Eroberungszüge der Pharaonen gelangte der Rcbstock nach Kleinasien, Syrien und Ägypten, durch das phönizische Handels- und Schisser¬ volk nach Hellas, zunächst wohl nach den Inseln, wo Baechos seine Hochzeit mit Ariadne abhält und die ältesten Dionysosfeste gefeiert wurden, dann ver¬ mutlich mich Thrakien, wo ihn die Mythe in Nysa seine Jugend verleben läßt, endlich nach Attika, von wo der Anbau der edeln Pflanze und der Genuß des Saftes ihrer Beeren sich nach den übrigen Gauen des Hellenenvvlkes verbreiteten. Dies muh schon geraume Zeit vor der letzten Redaktion der homerischen Gesänge stattgefunden haben; denn häufig wird in diesen des Weines gedacht, und nie als einer neuen Erscheinung des Kulturlebens. Bon Ithaka rühmt Telemachos, daß es reichlich Wein hervorbringe, ein Rebengnrten gehört zu dem Altenteil, auf das sich der greise Laertes zurückgezogen hat, von den Kalydo- uiern wird dem Meleager eine Hufe angeboten, die zu gleichen Teilen Wein und Korn trägt, und auf dem Schilde des Achilleus ist el» Garten mit goldnen Reben und silbernen Pfählen sowie ein Winzerfest dargestellt, wo „Jünglinge und rosige Jungfrauen die süße Frucht in schöngeflochtenen Körben tragen und jauchzend nach dem Saitenspiele des Knaben tanzen, der in ihrer Mitte geht." Auf¬ bewahrt wird der ausgepreßte Traubensaft in großen Thonkrügen, trnnsportirt auf jahrtauseude aller Tradition, und alle Vorschläge, neue Schriftzeichen anzuführen, wie sie namentlich vonseiten der „Ortografen" schon oft gemacht worden sind, haben in fachwissen- D. Red. schaftlichen Kreiselt bis jetzt immer nur Spott geerntet.

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 41, 1882, Drittes Quartal, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341835_193340/612>, abgerufen am 29.06.2024.