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Die Grenzboten. Jg. 41, 1882, Drittes Quartal.

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Griechische Meine.

teils in Amphoren, teils in Schläuchen von Ziegenfellen. Auf verschiedene
Weinsorten darf nur vielleicht nach den Beinamen rot, schwarz, funkelnd und
honigsüß schließen, was aber der prnmnische Wein gewesen ist, aus welchem
Hekamede, die Sklavin Nestors, mit geraspeltem Ziegenkäse und Mehl eine Art
Mus bereitet, ist mit Bestimmtheit nicht zu sagen. Sicher dagegen scheint, daß
anch das Vesserwerden des Weines dnrch mehrjähriges Lagern der homerischen
Zeit schon wohlbekannt war; denn im zweiten Gesänge der Odyssee heißt es
vom Keller des Odysseus: "Dort standen auch Gefäße mit altem, balsamischen
Weine, alle reihenweise an die Mauer gelehnt," und im dritten Gesänge setzt
Nestor dem Telemachos einen elfjährigen Wein vor. Aus der letzterwähnten
Stelle ersehen wir ferner, daß man schon damals das Traubenblut mit Wasser
vermischt trank, eine Sitte, die sich lange erhielt, sodaß noch ein "auakreoutisches"
Liedchen singen konnte:


Brina den Becher her, v Schenke,
Zinn unal'gesehren Kraftzug!
Mit dem Wasser fülle zehnmal,
Mit dem Wein fünfmal das Mcißchen.

Sehr alt endlich, obwohl bei Homer nicht zu finden, wird auch die Gewohn¬
heit der Griechen gewesen sein, den Saft der Trauben stark einzukochen lind mit
Harz zu versetzen; ans den letzteren Gebrauch weist schon der Fichtenzapfen hin,
der die Thyrsvsstäbc der Begleiter des Weingottes auf Bildwerken schmückt, und
dessen auch von den Dichtern bisweilen Erwähnung geschieht.

Die altasiatischen Voller wissen dem Weine, nach ihren Mythen zu schließen,
keine andre Seite abzugewinnen als die, daß er sinnlos betrunken machen, also
beim Zecher Vergessenheit seiner selbst bewirken kaun, etwa wie Opium und
Haschisch. Man erinnere sich der Erzählungen von Noa und Lot. Bei den
Hellenen begeguen wir einer höhern Auffassung: der Geist der Traube wird zum
Gotte, um den sich zahlreiche Mythen gruppiren, und dem beseligende Feste ge¬
feiert werden, welche bis in den Kreis der höchsten gottesdienstlichen Handlungen,
der eleusinischen Mysterien hineinreichen. Er ist ein Sohn des Zeus und von
seiner Mutter, Semele, umslmumt von himmlischem Feuer geboren. Nymphen
sind seine Ammen, Walddämonen seine ersten Gespielen. Zum Jüngling er¬
wachsen, pflanzt Baechos Dionysos den Nebstock und giebt deu Hirten und
Bauern davon zu trinke". "Und als die Göttinnen," heißt es in einem ho¬
merischen Hymnus, "ihn, den vielgepriesenen, großgezogen hatten, siehe, da
schwärmte er umher in deu bewaldeten Schluchten und Thälern, mit Epheu und
Lorber dicht bekränzt. Es folgten ihm die Nymphen, er aber eilte voran, und
schallendes Toben erfüllte den weiten Wald." Und Anakreon redet ihn an:
"Großer Herr, mit dem der gebieterische Eros scherzt und die dunkelblickeuden
Nymphen und die strahlende Aphrodite. Du aber eilest über die hohen Gipfel
der Berge." Seine Macht ist gleich groß auf dem Meere wie auf dem Lande.


Griechische Meine.

teils in Amphoren, teils in Schläuchen von Ziegenfellen. Auf verschiedene
Weinsorten darf nur vielleicht nach den Beinamen rot, schwarz, funkelnd und
honigsüß schließen, was aber der prnmnische Wein gewesen ist, aus welchem
Hekamede, die Sklavin Nestors, mit geraspeltem Ziegenkäse und Mehl eine Art
Mus bereitet, ist mit Bestimmtheit nicht zu sagen. Sicher dagegen scheint, daß
anch das Vesserwerden des Weines dnrch mehrjähriges Lagern der homerischen
Zeit schon wohlbekannt war; denn im zweiten Gesänge der Odyssee heißt es
vom Keller des Odysseus: „Dort standen auch Gefäße mit altem, balsamischen
Weine, alle reihenweise an die Mauer gelehnt," und im dritten Gesänge setzt
Nestor dem Telemachos einen elfjährigen Wein vor. Aus der letzterwähnten
Stelle ersehen wir ferner, daß man schon damals das Traubenblut mit Wasser
vermischt trank, eine Sitte, die sich lange erhielt, sodaß noch ein „auakreoutisches"
Liedchen singen konnte:


Brina den Becher her, v Schenke,
Zinn unal'gesehren Kraftzug!
Mit dem Wasser fülle zehnmal,
Mit dem Wein fünfmal das Mcißchen.

Sehr alt endlich, obwohl bei Homer nicht zu finden, wird auch die Gewohn¬
heit der Griechen gewesen sein, den Saft der Trauben stark einzukochen lind mit
Harz zu versetzen; ans den letzteren Gebrauch weist schon der Fichtenzapfen hin,
der die Thyrsvsstäbc der Begleiter des Weingottes auf Bildwerken schmückt, und
dessen auch von den Dichtern bisweilen Erwähnung geschieht.

Die altasiatischen Voller wissen dem Weine, nach ihren Mythen zu schließen,
keine andre Seite abzugewinnen als die, daß er sinnlos betrunken machen, also
beim Zecher Vergessenheit seiner selbst bewirken kaun, etwa wie Opium und
Haschisch. Man erinnere sich der Erzählungen von Noa und Lot. Bei den
Hellenen begeguen wir einer höhern Auffassung: der Geist der Traube wird zum
Gotte, um den sich zahlreiche Mythen gruppiren, und dem beseligende Feste ge¬
feiert werden, welche bis in den Kreis der höchsten gottesdienstlichen Handlungen,
der eleusinischen Mysterien hineinreichen. Er ist ein Sohn des Zeus und von
seiner Mutter, Semele, umslmumt von himmlischem Feuer geboren. Nymphen
sind seine Ammen, Walddämonen seine ersten Gespielen. Zum Jüngling er¬
wachsen, pflanzt Baechos Dionysos den Nebstock und giebt deu Hirten und
Bauern davon zu trinke». „Und als die Göttinnen," heißt es in einem ho¬
merischen Hymnus, „ihn, den vielgepriesenen, großgezogen hatten, siehe, da
schwärmte er umher in deu bewaldeten Schluchten und Thälern, mit Epheu und
Lorber dicht bekränzt. Es folgten ihm die Nymphen, er aber eilte voran, und
schallendes Toben erfüllte den weiten Wald." Und Anakreon redet ihn an:
„Großer Herr, mit dem der gebieterische Eros scherzt und die dunkelblickeuden
Nymphen und die strahlende Aphrodite. Du aber eilest über die hohen Gipfel
der Berge." Seine Macht ist gleich groß auf dem Meere wie auf dem Lande.


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[0613] Griechische Meine. teils in Amphoren, teils in Schläuchen von Ziegenfellen. Auf verschiedene Weinsorten darf nur vielleicht nach den Beinamen rot, schwarz, funkelnd und honigsüß schließen, was aber der prnmnische Wein gewesen ist, aus welchem Hekamede, die Sklavin Nestors, mit geraspeltem Ziegenkäse und Mehl eine Art Mus bereitet, ist mit Bestimmtheit nicht zu sagen. Sicher dagegen scheint, daß anch das Vesserwerden des Weines dnrch mehrjähriges Lagern der homerischen Zeit schon wohlbekannt war; denn im zweiten Gesänge der Odyssee heißt es vom Keller des Odysseus: „Dort standen auch Gefäße mit altem, balsamischen Weine, alle reihenweise an die Mauer gelehnt," und im dritten Gesänge setzt Nestor dem Telemachos einen elfjährigen Wein vor. Aus der letzterwähnten Stelle ersehen wir ferner, daß man schon damals das Traubenblut mit Wasser vermischt trank, eine Sitte, die sich lange erhielt, sodaß noch ein „auakreoutisches" Liedchen singen konnte: Brina den Becher her, v Schenke, Zinn unal'gesehren Kraftzug! Mit dem Wasser fülle zehnmal, Mit dem Wein fünfmal das Mcißchen. Sehr alt endlich, obwohl bei Homer nicht zu finden, wird auch die Gewohn¬ heit der Griechen gewesen sein, den Saft der Trauben stark einzukochen lind mit Harz zu versetzen; ans den letzteren Gebrauch weist schon der Fichtenzapfen hin, der die Thyrsvsstäbc der Begleiter des Weingottes auf Bildwerken schmückt, und dessen auch von den Dichtern bisweilen Erwähnung geschieht. Die altasiatischen Voller wissen dem Weine, nach ihren Mythen zu schließen, keine andre Seite abzugewinnen als die, daß er sinnlos betrunken machen, also beim Zecher Vergessenheit seiner selbst bewirken kaun, etwa wie Opium und Haschisch. Man erinnere sich der Erzählungen von Noa und Lot. Bei den Hellenen begeguen wir einer höhern Auffassung: der Geist der Traube wird zum Gotte, um den sich zahlreiche Mythen gruppiren, und dem beseligende Feste ge¬ feiert werden, welche bis in den Kreis der höchsten gottesdienstlichen Handlungen, der eleusinischen Mysterien hineinreichen. Er ist ein Sohn des Zeus und von seiner Mutter, Semele, umslmumt von himmlischem Feuer geboren. Nymphen sind seine Ammen, Walddämonen seine ersten Gespielen. Zum Jüngling er¬ wachsen, pflanzt Baechos Dionysos den Nebstock und giebt deu Hirten und Bauern davon zu trinke». „Und als die Göttinnen," heißt es in einem ho¬ merischen Hymnus, „ihn, den vielgepriesenen, großgezogen hatten, siehe, da schwärmte er umher in deu bewaldeten Schluchten und Thälern, mit Epheu und Lorber dicht bekränzt. Es folgten ihm die Nymphen, er aber eilte voran, und schallendes Toben erfüllte den weiten Wald." Und Anakreon redet ihn an: „Großer Herr, mit dem der gebieterische Eros scherzt und die dunkelblickeuden Nymphen und die strahlende Aphrodite. Du aber eilest über die hohen Gipfel der Berge." Seine Macht ist gleich groß auf dem Meere wie auf dem Lande.

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 41, 1882, Drittes Quartal, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341835_193340/613>, abgerufen am 01.07.2024.