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Die Grenzboten. Jg. 41, 1882, Drittes Quartal.

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Titeratnr.

Sternenhimmel sich bewegen zu sehen. Es war für Flörchen ein Blick hinter
den Vorhang, der ihr eine reiche Welt voll Freuden und Annehmlichkeiten ver¬
barg, eine Welt, die sie nicht kannte, nach der sie sich auch nicht sehnte, die aber
wundervoll sein mußte, nach dem Schimmer zu urteilen, der hente zu ihren
Augen draug. Ganz anders freilich war der Eindruck auf Ephraims anders
geartetes Gemüt, welches noch nicht wieder den Gedankengang verloren hatte,
den der Anblick der Sonnenblume in ihm erweckt.

Wenn die Gottheit wirklich nur Geometrie trieb, wie wunderbarlich mußte
sie da die sich schneidenden Dreiecke und Vierecke durcheinander gehetzt haben, um
solche Wesen zu gestalten wie diese Zigeuner und diese eleganten Damen und
Herren! Wenn er sie recht betrachtete, konnte er sich des Argwohns nicht ent-
schlagen, daß die Gottheit ihnen viele Freiheit gelassen habe, sich von der ur¬
sprünglichen schonen Einfachheit des Menschentums zu entfernen. Er blickte hinaus
zu den Sternen und versetzte sich im Geist mitten zwischen diese stille leuchtende
Gesellschaft, auf die Erde hinabblickcnd, die min in unermeßlicher Geschwindigkeit
unter ihn? durch den Himmel rollte. Er mußte lächeln bei der Wahrnehmung,
daß alle diese gesuchten, eifrigen Menschen keine Empfindung davon hatten, mit
wie rasender Schnelligkeit der Wagen, worin sie saßen, dahin gezogen werde,
durch eine Welt voll Glanz und Größe und Gesetzmäßigkeit. Sie hatten keinen
Begriff von der Gefahr, in der sie schwebten, und kümmerten sich nicht um das
Ziel ihrer Reise, sie freuten und ärgerten sich über die winzigen Dinge dicht vor
ihrer Nase, diese winzigen Insekten spielten ans Geigen und klingelten mit Schellen,
hielten Adel und Orden und Reichtum für Gegenstünde von Wert und Dauer,
währeud sie selbst gleich den Mücken, die um das Licht tanzen, dahinsterben
mußten, wenn die Geometrie treibende Gottheit den sausenden Ball, ans dem sie
krabbelten, siebzig bis achtzigmal hatte um die Sonne laufen lassen.

(Fortsetzung fvlgi.)




Literatur"
Aramäische Pflanzern amen von Immanuel Löw. Leipzig, W. Engelmann, 1881.

Bei der großen Bedeutung, welche gegenwärtig die Erforschung des Sprach¬
schatzes der verschiedene!: Völker für die Erkenntnis ihrer ältesten Kultnrverhältnisse
gewonnen hat, muß jedes Werk mit Freuden begrüßt werden, welches brauchbares
Material darbietet zur Aufhellung des Dunkels, das die erfreu Anfänge der Kultur--
eutwickluug des Menschengeschlechtes uiugiebt. Ein solches Werk ist die Sammlung
und Erklärung der aramäischen Pflanzennamen von Jmiuauuel Löw. Zwar haben
schou vor Löw A. vou Kremer (Semitische Kultureutlehuungen aus dem Pflauzeu-
und Tierreich, Stuttgart, 1875) u. a. die nennen der Pflanzen und Tiere in den
semitischen Sprachen zur Gewinnung von Aufschlüssen über die wichtigsten Perioden


Titeratnr.

Sternenhimmel sich bewegen zu sehen. Es war für Flörchen ein Blick hinter
den Vorhang, der ihr eine reiche Welt voll Freuden und Annehmlichkeiten ver¬
barg, eine Welt, die sie nicht kannte, nach der sie sich auch nicht sehnte, die aber
wundervoll sein mußte, nach dem Schimmer zu urteilen, der hente zu ihren
Augen draug. Ganz anders freilich war der Eindruck auf Ephraims anders
geartetes Gemüt, welches noch nicht wieder den Gedankengang verloren hatte,
den der Anblick der Sonnenblume in ihm erweckt.

Wenn die Gottheit wirklich nur Geometrie trieb, wie wunderbarlich mußte
sie da die sich schneidenden Dreiecke und Vierecke durcheinander gehetzt haben, um
solche Wesen zu gestalten wie diese Zigeuner und diese eleganten Damen und
Herren! Wenn er sie recht betrachtete, konnte er sich des Argwohns nicht ent-
schlagen, daß die Gottheit ihnen viele Freiheit gelassen habe, sich von der ur¬
sprünglichen schonen Einfachheit des Menschentums zu entfernen. Er blickte hinaus
zu den Sternen und versetzte sich im Geist mitten zwischen diese stille leuchtende
Gesellschaft, auf die Erde hinabblickcnd, die min in unermeßlicher Geschwindigkeit
unter ihn? durch den Himmel rollte. Er mußte lächeln bei der Wahrnehmung,
daß alle diese gesuchten, eifrigen Menschen keine Empfindung davon hatten, mit
wie rasender Schnelligkeit der Wagen, worin sie saßen, dahin gezogen werde,
durch eine Welt voll Glanz und Größe und Gesetzmäßigkeit. Sie hatten keinen
Begriff von der Gefahr, in der sie schwebten, und kümmerten sich nicht um das
Ziel ihrer Reise, sie freuten und ärgerten sich über die winzigen Dinge dicht vor
ihrer Nase, diese winzigen Insekten spielten ans Geigen und klingelten mit Schellen,
hielten Adel und Orden und Reichtum für Gegenstünde von Wert und Dauer,
währeud sie selbst gleich den Mücken, die um das Licht tanzen, dahinsterben
mußten, wenn die Geometrie treibende Gottheit den sausenden Ball, ans dem sie
krabbelten, siebzig bis achtzigmal hatte um die Sonne laufen lassen.

(Fortsetzung fvlgi.)




Literatur»
Aramäische Pflanzern amen von Immanuel Löw. Leipzig, W. Engelmann, 1881.

Bei der großen Bedeutung, welche gegenwärtig die Erforschung des Sprach¬
schatzes der verschiedene!: Völker für die Erkenntnis ihrer ältesten Kultnrverhältnisse
gewonnen hat, muß jedes Werk mit Freuden begrüßt werden, welches brauchbares
Material darbietet zur Aufhellung des Dunkels, das die erfreu Anfänge der Kultur--
eutwickluug des Menschengeschlechtes uiugiebt. Ein solches Werk ist die Sammlung
und Erklärung der aramäischen Pflanzennamen von Jmiuauuel Löw. Zwar haben
schou vor Löw A. vou Kremer (Semitische Kultureutlehuungen aus dem Pflauzeu-
und Tierreich, Stuttgart, 1875) u. a. die nennen der Pflanzen und Tiere in den
semitischen Sprachen zur Gewinnung von Aufschlüssen über die wichtigsten Perioden


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 41, 1882, Drittes Quartal, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341835_193340/55>, abgerufen am 29.06.2024.