Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Die Grenzboten. Jg. 41, 1882, Drittes Quartal.

Bild:
<< vorherige Seite

tänschnng gebracht. Die innere Wertlosigkeit der Lindcmschen Dramen erhellt
daraus, daß der Kern allein nicht zu bewegen und zu fassen vermag. An dem
"geistreichen" Dinlvg entzündet sich langsam ein dürftiges Sparfeuercheu, das
sich nie zu der Glut innigen Mitempfindens anfache, denn erkünstelte Mache
kann poetisches Fühlen nicht ersetzen. Die bewunderte realistische Treue in der
Abmalnng äußerer Gegenstände, welche zum Beispiel photographisch genau einen
Gerichtshof auf die Bühne bringt und dabei die Schunpsuase des Gerichts¬
dieners nicht vergißt, welche die Latten und die Knlissenschmiere der hintern
Bühnenansicht dem staunenden Publikum zeigt und die neuesten Geheimnisse der
Theater- und Literaturreklame verrät, die freilich uicht mehr ganz Geheimnisse
sind -- alles das ist nichts als kleinlicher Notbehelf eines dürftigen Tnlentchens.
Der Dramatiker borgt von dem Journalisten Kniffe nud Pfiffe, die dieser ihm
gerne leiht, da er weiß, daß die geliehenen Silberlinge gute Prozente tragen
werden.

So lange das deutsche Publikum fortfährt, solche Dntzendwanre im Ernst
als literarische Leistungen zu betrachten, so lange der Zuschneider dieser Sächelchen,
auf seine Erfolge gestützt, unter den raugwürdigen Dramatikern einen der vor¬
nehmsten Plätze beanspruchen darf, so lange hat dieses Publikum kein Recht,
eine Besserung der deutschen Theaterverhältnisse zu verlangen; so lange ver¬
dient es solche Besserung gnr nicht, denn es beweist durch so sträflichen Lang¬
mut, daß es unfähig ist, journalistische Mache vou dichterischem Schaffen zu
scheiden.

4.

Unmöglich ists, den Tag dein Tag zu zeigen,
Der nur Verw"rrues im Verworrnen spiegelt,
Und jeder selbst sich fühlt als recht und eigen,
Statt sich zu zügeln, nur am andern ziigelt.

Wir haben es unterlassen, etwa ein religiös-ethisches Feuilleton als eine
eigne Klasse auszuführen. Mit gutem Grunde. Der Geist, welcher die Herren
Feuilletonisten regiert, gestattet ihnen nicht, sich mit religiösen Dingen viel ab¬
zugeben; nnr der Zwang der Zeit, führt sie bisweilen darauf. Zudem ist das
ein so undankbares Thema! Gewiß ist ausweichendes Schweigen das günstigste,
was der Religion von dem Feuilletonisten widerfahren kann. Die notgedrungenen,
religiös sein wollenden Vetrachtuugeu, welche zu kirchlichen Festtagen die Fenille-
tvnspalten füllen, müssen auch glcichgiltigere Gemüter abstoßen, denen die Be¬
deutung der Religion für das Volksleben aufdämmert. Die süßlichen Salbadereien
solcher Phrasenhelden, die bei den erhabensten Gegenständen uach pikanten
Ausdrücken angeln, verdienen in ihrer erheuchelten Schönseligkcit gebrandmarkt
zu werden. Die kühlen naturphilosophischen Abhandlungen aber, die mit er¬
müdender Regelmäßigkeit zu Weihnachten die nie schlummernde Liebes- und


tänschnng gebracht. Die innere Wertlosigkeit der Lindcmschen Dramen erhellt
daraus, daß der Kern allein nicht zu bewegen und zu fassen vermag. An dem
„geistreichen" Dinlvg entzündet sich langsam ein dürftiges Sparfeuercheu, das
sich nie zu der Glut innigen Mitempfindens anfache, denn erkünstelte Mache
kann poetisches Fühlen nicht ersetzen. Die bewunderte realistische Treue in der
Abmalnng äußerer Gegenstände, welche zum Beispiel photographisch genau einen
Gerichtshof auf die Bühne bringt und dabei die Schunpsuase des Gerichts¬
dieners nicht vergißt, welche die Latten und die Knlissenschmiere der hintern
Bühnenansicht dem staunenden Publikum zeigt und die neuesten Geheimnisse der
Theater- und Literaturreklame verrät, die freilich uicht mehr ganz Geheimnisse
sind — alles das ist nichts als kleinlicher Notbehelf eines dürftigen Tnlentchens.
Der Dramatiker borgt von dem Journalisten Kniffe nud Pfiffe, die dieser ihm
gerne leiht, da er weiß, daß die geliehenen Silberlinge gute Prozente tragen
werden.

So lange das deutsche Publikum fortfährt, solche Dntzendwanre im Ernst
als literarische Leistungen zu betrachten, so lange der Zuschneider dieser Sächelchen,
auf seine Erfolge gestützt, unter den raugwürdigen Dramatikern einen der vor¬
nehmsten Plätze beanspruchen darf, so lange hat dieses Publikum kein Recht,
eine Besserung der deutschen Theaterverhältnisse zu verlangen; so lange ver¬
dient es solche Besserung gnr nicht, denn es beweist durch so sträflichen Lang¬
mut, daß es unfähig ist, journalistische Mache vou dichterischem Schaffen zu
scheiden.

4.

Unmöglich ists, den Tag dein Tag zu zeigen,
Der nur Verw»rrues im Verworrnen spiegelt,
Und jeder selbst sich fühlt als recht und eigen,
Statt sich zu zügeln, nur am andern ziigelt.

Wir haben es unterlassen, etwa ein religiös-ethisches Feuilleton als eine
eigne Klasse auszuführen. Mit gutem Grunde. Der Geist, welcher die Herren
Feuilletonisten regiert, gestattet ihnen nicht, sich mit religiösen Dingen viel ab¬
zugeben; nnr der Zwang der Zeit, führt sie bisweilen darauf. Zudem ist das
ein so undankbares Thema! Gewiß ist ausweichendes Schweigen das günstigste,
was der Religion von dem Feuilletonisten widerfahren kann. Die notgedrungenen,
religiös sein wollenden Vetrachtuugeu, welche zu kirchlichen Festtagen die Fenille-
tvnspalten füllen, müssen auch glcichgiltigere Gemüter abstoßen, denen die Be¬
deutung der Religion für das Volksleben aufdämmert. Die süßlichen Salbadereien
solcher Phrasenhelden, die bei den erhabensten Gegenständen uach pikanten
Ausdrücken angeln, verdienen in ihrer erheuchelten Schönseligkcit gebrandmarkt
zu werden. Die kühlen naturphilosophischen Abhandlungen aber, die mit er¬
müdender Regelmäßigkeit zu Weihnachten die nie schlummernde Liebes- und


<TEI>
  <text>
    <body>
      <div>
        <div n="1">
          <pb facs="#f0368" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/193709"/>
          <fw type="header" place="top"/><lb/>
          <p xml:id="ID_1206" prev="#ID_1205"> tänschnng gebracht. Die innere Wertlosigkeit der Lindcmschen Dramen erhellt<lb/>
daraus, daß der Kern allein nicht zu bewegen und zu fassen vermag. An dem<lb/>
&#x201E;geistreichen" Dinlvg entzündet sich langsam ein dürftiges Sparfeuercheu, das<lb/>
sich nie zu der Glut innigen Mitempfindens anfache, denn erkünstelte Mache<lb/>
kann poetisches Fühlen nicht ersetzen. Die bewunderte realistische Treue in der<lb/>
Abmalnng äußerer Gegenstände, welche zum Beispiel photographisch genau einen<lb/>
Gerichtshof auf die Bühne bringt und dabei die Schunpsuase des Gerichts¬<lb/>
dieners nicht vergißt, welche die Latten und die Knlissenschmiere der hintern<lb/>
Bühnenansicht dem staunenden Publikum zeigt und die neuesten Geheimnisse der<lb/>
Theater- und Literaturreklame verrät, die freilich uicht mehr ganz Geheimnisse<lb/>
sind &#x2014; alles das ist nichts als kleinlicher Notbehelf eines dürftigen Tnlentchens.<lb/>
Der Dramatiker borgt von dem Journalisten Kniffe nud Pfiffe, die dieser ihm<lb/>
gerne leiht, da er weiß, daß die geliehenen Silberlinge gute Prozente tragen<lb/>
werden.</p><lb/>
          <p xml:id="ID_1207"> So lange das deutsche Publikum fortfährt, solche Dntzendwanre im Ernst<lb/>
als literarische Leistungen zu betrachten, so lange der Zuschneider dieser Sächelchen,<lb/>
auf seine Erfolge gestützt, unter den raugwürdigen Dramatikern einen der vor¬<lb/>
nehmsten Plätze beanspruchen darf, so lange hat dieses Publikum kein Recht,<lb/>
eine Besserung der deutschen Theaterverhältnisse zu verlangen; so lange ver¬<lb/>
dient es solche Besserung gnr nicht, denn es beweist durch so sträflichen Lang¬<lb/>
mut, daß es unfähig ist, journalistische Mache vou dichterischem Schaffen zu<lb/>
scheiden.</p><lb/>
          <div n="2">
            <head> 4.</head><lb/>
            <quote type="epigraph"> Unmöglich ists, den Tag dein Tag zu zeigen,<lb/>
Der nur Verw»rrues im Verworrnen spiegelt,<lb/>
Und jeder selbst sich fühlt als recht und eigen,<lb/>
Statt sich zu zügeln, nur am andern ziigelt.</quote><lb/>
            <p xml:id="ID_1208" next="#ID_1209"> Wir haben es unterlassen, etwa ein religiös-ethisches Feuilleton als eine<lb/>
eigne Klasse auszuführen. Mit gutem Grunde. Der Geist, welcher die Herren<lb/>
Feuilletonisten regiert, gestattet ihnen nicht, sich mit religiösen Dingen viel ab¬<lb/>
zugeben; nnr der Zwang der Zeit, führt sie bisweilen darauf. Zudem ist das<lb/>
ein so undankbares Thema! Gewiß ist ausweichendes Schweigen das günstigste,<lb/>
was der Religion von dem Feuilletonisten widerfahren kann. Die notgedrungenen,<lb/>
religiös sein wollenden Vetrachtuugeu, welche zu kirchlichen Festtagen die Fenille-<lb/>
tvnspalten füllen, müssen auch glcichgiltigere Gemüter abstoßen, denen die Be¬<lb/>
deutung der Religion für das Volksleben aufdämmert. Die süßlichen Salbadereien<lb/>
solcher Phrasenhelden, die bei den erhabensten Gegenständen uach pikanten<lb/>
Ausdrücken angeln, verdienen in ihrer erheuchelten Schönseligkcit gebrandmarkt<lb/>
zu werden. Die kühlen naturphilosophischen Abhandlungen aber, die mit er¬<lb/>
müdender Regelmäßigkeit zu Weihnachten die nie schlummernde Liebes- und</p><lb/>
          </div>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[0368] tänschnng gebracht. Die innere Wertlosigkeit der Lindcmschen Dramen erhellt daraus, daß der Kern allein nicht zu bewegen und zu fassen vermag. An dem „geistreichen" Dinlvg entzündet sich langsam ein dürftiges Sparfeuercheu, das sich nie zu der Glut innigen Mitempfindens anfache, denn erkünstelte Mache kann poetisches Fühlen nicht ersetzen. Die bewunderte realistische Treue in der Abmalnng äußerer Gegenstände, welche zum Beispiel photographisch genau einen Gerichtshof auf die Bühne bringt und dabei die Schunpsuase des Gerichts¬ dieners nicht vergißt, welche die Latten und die Knlissenschmiere der hintern Bühnenansicht dem staunenden Publikum zeigt und die neuesten Geheimnisse der Theater- und Literaturreklame verrät, die freilich uicht mehr ganz Geheimnisse sind — alles das ist nichts als kleinlicher Notbehelf eines dürftigen Tnlentchens. Der Dramatiker borgt von dem Journalisten Kniffe nud Pfiffe, die dieser ihm gerne leiht, da er weiß, daß die geliehenen Silberlinge gute Prozente tragen werden. So lange das deutsche Publikum fortfährt, solche Dntzendwanre im Ernst als literarische Leistungen zu betrachten, so lange der Zuschneider dieser Sächelchen, auf seine Erfolge gestützt, unter den raugwürdigen Dramatikern einen der vor¬ nehmsten Plätze beanspruchen darf, so lange hat dieses Publikum kein Recht, eine Besserung der deutschen Theaterverhältnisse zu verlangen; so lange ver¬ dient es solche Besserung gnr nicht, denn es beweist durch so sträflichen Lang¬ mut, daß es unfähig ist, journalistische Mache vou dichterischem Schaffen zu scheiden. 4. Unmöglich ists, den Tag dein Tag zu zeigen, Der nur Verw»rrues im Verworrnen spiegelt, Und jeder selbst sich fühlt als recht und eigen, Statt sich zu zügeln, nur am andern ziigelt. Wir haben es unterlassen, etwa ein religiös-ethisches Feuilleton als eine eigne Klasse auszuführen. Mit gutem Grunde. Der Geist, welcher die Herren Feuilletonisten regiert, gestattet ihnen nicht, sich mit religiösen Dingen viel ab¬ zugeben; nnr der Zwang der Zeit, führt sie bisweilen darauf. Zudem ist das ein so undankbares Thema! Gewiß ist ausweichendes Schweigen das günstigste, was der Religion von dem Feuilletonisten widerfahren kann. Die notgedrungenen, religiös sein wollenden Vetrachtuugeu, welche zu kirchlichen Festtagen die Fenille- tvnspalten füllen, müssen auch glcichgiltigere Gemüter abstoßen, denen die Be¬ deutung der Religion für das Volksleben aufdämmert. Die süßlichen Salbadereien solcher Phrasenhelden, die bei den erhabensten Gegenständen uach pikanten Ausdrücken angeln, verdienen in ihrer erheuchelten Schönseligkcit gebrandmarkt zu werden. Die kühlen naturphilosophischen Abhandlungen aber, die mit er¬ müdender Regelmäßigkeit zu Weihnachten die nie schlummernde Liebes- und

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Staats- und Universitätsbibliothek (SuUB) Bremen: Bereitstellung der Texttranskription.
Kay-Michael Würzner: Bearbeitung der digitalen Edition.

Weitere Informationen:

Verfahren der Texterfassung: OCR mit Nachkorrektur.

Bogensignaturen: gekennzeichnet;Druckfehler: ignoriert;fremdsprachliches Material: nicht gekennzeichnet;Geminations-/Abkürzungsstriche: wie Vorlage;Hervorhebungen (Antiqua, Sperrschrift, Kursive etc.): nicht ausgezeichnet;i/j in Fraktur: wie Vorlage;I/J in Fraktur: wie Vorlage;Kolumnentitel: gekennzeichnet;Kustoden: gekennzeichnet;langes s (ſ): als s transkribiert;Normalisierungen: stillschweigend;rundes r (&#xa75b;): als r/et transkribiert;Seitenumbrüche markiert: ja;Silbentrennung: wie Vorlage;u/v bzw. U/V: wie Vorlage;Vokale mit übergest. e: als ä/ö/ü transkribiert;Vollständigkeit: vollständig erfasst;Zeichensetzung: wie Vorlage;Zeilenumbrüche markiert: ja;

Nachkorrektur erfolgte automatisch.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341835_193340
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341835_193340/368
Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 41, 1882, Drittes Quartal, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341835_193340/368>, abgerufen am 29.06.2024.