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Die Grenzboten. Jg. 41, 1882, Drittes Quartal.

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Das heutige Feuilleton.
(Schluß.)

ur eigentlichen Feuilletvnerzählung übergehend, geraten wir ans
ein schwankendes, weitansgedehntcS Gebiet, das einer üppigen
Wildnis gleicht, welche die seltsamsten Pflanzen wuchernd durch¬
einander schlingt. Diese Wildnis zu entwirren, winde eine eigene
Betrachtung für sich erfordern; darum beschränken wir uns auf
wenige leitende Bemerkungen. Dieses fragwürdige Erzeugnis der mittleren Jahr¬
zehnte unsers Jahrhunderts ist mit der wachsenden Ausdehnung der Tnges-
Mtuugen entstanden und hat in Frankreich seine eigentümliche Ausbildung er¬
fahren; dort sind seine eigentlichen Klassiker zu suchen, von denen ich statt anderer
"ur Porson de Terrail, den "Löwen des Feuilletons" nenne. Ein großer Teil
dieser Art von Erzühluugeu, die sich ohne Unterschied in Winkel- wie in Haupt-
blntteru herumtreiben, sind nur Bearbeitungen uach französischen Quellen. Unter¬
haltung um jeden Preis ist das einzige Endziel aller dieser Machwerke; und
öwar eine faule, bequeme Unterhaltung, die gegen dumpfes Nichtsthun, blasirte
Langeweile und ausgemergelte Abgestumpftheit anzukämpfen hat. In der Wahl
chrer Mittel sind die Schreiber dieser Sache"? in dem zum Teil doch erfolg¬
ten Kriege gegen das Gähnen nicht wühlerischer, als es ihr Publikum in
'-er Vertilgung der vorgesetzten Gerichte ist. Der Zweck solcher Unterhaltung
wrrd am vollständigsten erreicht, wenn Nerven und Sinne der Leser auf jede
"ur denkbare Weise gereizt und erregt werden. Hierfür giebt es zwei Haupt-
Wege. Die französische Manier wendet sich an die Sinne, die sie durch wollüstige
über, üppige Schilderungen weichlicher Pracht und schlüpfrigen Witz übermäßig
^ ^ reizen weiß. Wer aber die Geheimnisse dieser halb pornographischen Literatur
^'ut, weiß, wie nahe unnatürlich ekelhafte Schauerlichkeit an unmäßige Lüste
^grenzt. Die derbere englische Manier hämmert mit schauerliche" Kriminal-
Mn, Erbschleichern, Diebstahl, Entführungen, Kiuderraub, Verwandtenmord,
^ neigen Schlächtereien und grausigen Abenteuern auf die Nerven der gequälte"
/"er los. Allerlei Zwischenwege zwischen diesen beiden Hauptheerstrnßen lassen
^ ohne Mühe entdecken, und der Gipfel des Abscheus wird erreicht, wenn
> es beide Weisen zu gemeinsamer Wirkung vereinen. Der müßte einen eisernen
^an besitzen, der das ohne schüttelnden Schauder ertragen könnte. Auch die
s/,!^!^" vertragen hierin schon einen starken Stoß; sie wetteifern in ge-
l^aftigeitt Aussinnen solcher Mißgeburten mit ihren Lehrmeistern und holen
>UH mit löblichem Wissensdurst die Vorbilder selbst herüber. Eine vergleichende
^Urgeschichte dieser allerdings nur vom "naturgeschichtlichen" Standpunkte


Das heutige Feuilleton.
(Schluß.)

ur eigentlichen Feuilletvnerzählung übergehend, geraten wir ans
ein schwankendes, weitansgedehntcS Gebiet, das einer üppigen
Wildnis gleicht, welche die seltsamsten Pflanzen wuchernd durch¬
einander schlingt. Diese Wildnis zu entwirren, winde eine eigene
Betrachtung für sich erfordern; darum beschränken wir uns auf
wenige leitende Bemerkungen. Dieses fragwürdige Erzeugnis der mittleren Jahr¬
zehnte unsers Jahrhunderts ist mit der wachsenden Ausdehnung der Tnges-
Mtuugen entstanden und hat in Frankreich seine eigentümliche Ausbildung er¬
fahren; dort sind seine eigentlichen Klassiker zu suchen, von denen ich statt anderer
"ur Porson de Terrail, den „Löwen des Feuilletons" nenne. Ein großer Teil
dieser Art von Erzühluugeu, die sich ohne Unterschied in Winkel- wie in Haupt-
blntteru herumtreiben, sind nur Bearbeitungen uach französischen Quellen. Unter¬
haltung um jeden Preis ist das einzige Endziel aller dieser Machwerke; und
öwar eine faule, bequeme Unterhaltung, die gegen dumpfes Nichtsthun, blasirte
Langeweile und ausgemergelte Abgestumpftheit anzukämpfen hat. In der Wahl
chrer Mittel sind die Schreiber dieser Sache»? in dem zum Teil doch erfolg¬
ten Kriege gegen das Gähnen nicht wühlerischer, als es ihr Publikum in
'-er Vertilgung der vorgesetzten Gerichte ist. Der Zweck solcher Unterhaltung
wrrd am vollständigsten erreicht, wenn Nerven und Sinne der Leser auf jede
"ur denkbare Weise gereizt und erregt werden. Hierfür giebt es zwei Haupt-
Wege. Die französische Manier wendet sich an die Sinne, die sie durch wollüstige
über, üppige Schilderungen weichlicher Pracht und schlüpfrigen Witz übermäßig
^ ^ reizen weiß. Wer aber die Geheimnisse dieser halb pornographischen Literatur
^'ut, weiß, wie nahe unnatürlich ekelhafte Schauerlichkeit an unmäßige Lüste
^grenzt. Die derbere englische Manier hämmert mit schauerliche» Kriminal-
Mn, Erbschleichern, Diebstahl, Entführungen, Kiuderraub, Verwandtenmord,
^ neigen Schlächtereien und grausigen Abenteuern auf die Nerven der gequälte«
/"er los. Allerlei Zwischenwege zwischen diesen beiden Hauptheerstrnßen lassen
^ ohne Mühe entdecken, und der Gipfel des Abscheus wird erreicht, wenn
> es beide Weisen zu gemeinsamer Wirkung vereinen. Der müßte einen eisernen
^an besitzen, der das ohne schüttelnden Schauder ertragen könnte. Auch die
s/,!^!^" vertragen hierin schon einen starken Stoß; sie wetteifern in ge-
l^aftigeitt Aussinnen solcher Mißgeburten mit ihren Lehrmeistern und holen
>UH mit löblichem Wissensdurst die Vorbilder selbst herüber. Eine vergleichende
^Urgeschichte dieser allerdings nur vom „naturgeschichtlichen" Standpunkte


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[0363] Das heutige Feuilleton. (Schluß.) ur eigentlichen Feuilletvnerzählung übergehend, geraten wir ans ein schwankendes, weitansgedehntcS Gebiet, das einer üppigen Wildnis gleicht, welche die seltsamsten Pflanzen wuchernd durch¬ einander schlingt. Diese Wildnis zu entwirren, winde eine eigene Betrachtung für sich erfordern; darum beschränken wir uns auf wenige leitende Bemerkungen. Dieses fragwürdige Erzeugnis der mittleren Jahr¬ zehnte unsers Jahrhunderts ist mit der wachsenden Ausdehnung der Tnges- Mtuugen entstanden und hat in Frankreich seine eigentümliche Ausbildung er¬ fahren; dort sind seine eigentlichen Klassiker zu suchen, von denen ich statt anderer "ur Porson de Terrail, den „Löwen des Feuilletons" nenne. Ein großer Teil dieser Art von Erzühluugeu, die sich ohne Unterschied in Winkel- wie in Haupt- blntteru herumtreiben, sind nur Bearbeitungen uach französischen Quellen. Unter¬ haltung um jeden Preis ist das einzige Endziel aller dieser Machwerke; und öwar eine faule, bequeme Unterhaltung, die gegen dumpfes Nichtsthun, blasirte Langeweile und ausgemergelte Abgestumpftheit anzukämpfen hat. In der Wahl chrer Mittel sind die Schreiber dieser Sache»? in dem zum Teil doch erfolg¬ ten Kriege gegen das Gähnen nicht wühlerischer, als es ihr Publikum in '-er Vertilgung der vorgesetzten Gerichte ist. Der Zweck solcher Unterhaltung wrrd am vollständigsten erreicht, wenn Nerven und Sinne der Leser auf jede "ur denkbare Weise gereizt und erregt werden. Hierfür giebt es zwei Haupt- Wege. Die französische Manier wendet sich an die Sinne, die sie durch wollüstige über, üppige Schilderungen weichlicher Pracht und schlüpfrigen Witz übermäßig ^ ^ reizen weiß. Wer aber die Geheimnisse dieser halb pornographischen Literatur ^'ut, weiß, wie nahe unnatürlich ekelhafte Schauerlichkeit an unmäßige Lüste ^grenzt. Die derbere englische Manier hämmert mit schauerliche» Kriminal- Mn, Erbschleichern, Diebstahl, Entführungen, Kiuderraub, Verwandtenmord, ^ neigen Schlächtereien und grausigen Abenteuern auf die Nerven der gequälte« /"er los. Allerlei Zwischenwege zwischen diesen beiden Hauptheerstrnßen lassen ^ ohne Mühe entdecken, und der Gipfel des Abscheus wird erreicht, wenn > es beide Weisen zu gemeinsamer Wirkung vereinen. Der müßte einen eisernen ^an besitzen, der das ohne schüttelnden Schauder ertragen könnte. Auch die s/,!^!^" vertragen hierin schon einen starken Stoß; sie wetteifern in ge- l^aftigeitt Aussinnen solcher Mißgeburten mit ihren Lehrmeistern und holen >UH mit löblichem Wissensdurst die Vorbilder selbst herüber. Eine vergleichende ^Urgeschichte dieser allerdings nur vom „naturgeschichtlichen" Standpunkte

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 41, 1882, Drittes Quartal, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341835_193340/363>, abgerufen am 29.06.2024.