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Die Grenzboten. Jg. 41, 1882, Drittes Quartal.

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Literatur.

schen immer ein eigentümlich mannhaftes Wesen bemerkt. Eine eigentümliche
feine Art und Weise und eine Artigkeit, die den Amerikanern oft fehlt. Ich
beobachtete das, als ich in Leipzig lebte. Ich glaube nicht, daß die deutschen
Mädchen ebensoviel Zartgefühl besitzen. Deutsche Herren scheinen hier zu Lande
oftmals amerikanische Mädchen vorzuziehen.

Dies alles würde einem uninteressanter Zuhörer ziemlich schal und hohl
vorgekommen sein. Julien thaten die Worte so wohl wie dem Erdboden der
erste Regen nach langer Dürre. Sie hatte über den armen August Klage,
Tadel, unfreundliche Andeutungen und grobe Verdammnngsnrteile gehört. Hier
vernahm sie die ersten freundlichen Worte. Sie bestätigten ihre Meinung, sie
trösteten ihr Herz, sie gaben ihr ein Gefühl der Dankbarkeit, selbst der Zu¬
neigung zu dem neben ihr sitzenden Gecken, trotz seiner Berlocken, seines ge¬
drehten Schuurrbnrts, seiner Strippen, seiner kalten Angen und seines erkün¬
stelten Lächelns. Die arme Thörin! wird man ausrufen, und in der That war
sie eine arme Thörin. Denn sie hätte sich Humphreys zu Füßen werfen und
ihm für seine Worte danken mögen. Sie dankte ihm denn auch in stammelnder
Rede, und er zögerte nicht, darauf die günstigen Eindrücke, welche die Deutsche"
auf ihn gemacht, zu wiederholen. Was er bezweckte, war, Augusts Geltung
bei ihr nicht eher zu zerstören, als bis er sich selbst in eine Stellung gebracht
habe, in welcher er der nächste Erbe ihrer Neigung werden mußte.

(Fortsetzung folgt.)




Literatur.
Rotzes Philosophische Weltanschauung nach ihren Grundzügen. Zur Erinnerung an
den Verstorbenen von Professor Dr. Edin, Pfleiderer in Tübingen. Berlin, Reimer, 1882.

Der Verfasser, durch "langjährige tiefe Sympathie" der Weltanschauung und
Persönlichkeit des unlängst verstorbenen Philosophen innig verbunden, entwirft in
überaus lebhafter, klarer und fesselnder Form ein Bild von dessen Lehre nach
den Hauptlinien ihres Inhalts und ihrer Methode. Wie ihm Pietät und Dank¬
barkeit dabei allein die Hand geführt haben, so haben sie ihn auch zurückgehalten
von kritischer Zerfaseruug des Dargestellten und jeglicher Einrede. Dennoch tritt
uns nicht sowohl eine direkt urkundliche Wiedergabe, als eine freie, selbständige
Reproduktion der Lotzescheu Gedanken entgegen, zum Bordelle der Unmittelbarkeit
und Anschaulichkeit, da wir so den Entstehungsgaug dieser Gedanken und ihre Mo-
tivirung direkter miterleben und rascher von ihrem Strome fortgerissen werden.
Das Bild hat dadurch auch keineswegs an Treue verloren; nur daß die Beschrän¬
kung ans die allgemeinsten Umrisse in einem Punkte vielleicht allzuviel von den
Mittelgliedern entfernt haben möchte, deren es bedarf, um jedem Mißverständnisse
vorzubeugen. Dieser Punkt ist wichtig genug, um ihm auch in dieser Anzeige,
die im übrigen nur zur Lektüre des Schriftchens einladen will, ein Paar Worte
zu widmen. Es handelt sich um die Stellung der Seele innerhalb des lebendigen
Organismus lind um das Verhältnis ihrer Thätigkeit zu dem, was im gewöhn¬
lichen Physikalisch-chemischen Sinne "mechanisch" oder der "Mechanismus der Funk-


Literatur.

schen immer ein eigentümlich mannhaftes Wesen bemerkt. Eine eigentümliche
feine Art und Weise und eine Artigkeit, die den Amerikanern oft fehlt. Ich
beobachtete das, als ich in Leipzig lebte. Ich glaube nicht, daß die deutschen
Mädchen ebensoviel Zartgefühl besitzen. Deutsche Herren scheinen hier zu Lande
oftmals amerikanische Mädchen vorzuziehen.

Dies alles würde einem uninteressanter Zuhörer ziemlich schal und hohl
vorgekommen sein. Julien thaten die Worte so wohl wie dem Erdboden der
erste Regen nach langer Dürre. Sie hatte über den armen August Klage,
Tadel, unfreundliche Andeutungen und grobe Verdammnngsnrteile gehört. Hier
vernahm sie die ersten freundlichen Worte. Sie bestätigten ihre Meinung, sie
trösteten ihr Herz, sie gaben ihr ein Gefühl der Dankbarkeit, selbst der Zu¬
neigung zu dem neben ihr sitzenden Gecken, trotz seiner Berlocken, seines ge¬
drehten Schuurrbnrts, seiner Strippen, seiner kalten Angen und seines erkün¬
stelten Lächelns. Die arme Thörin! wird man ausrufen, und in der That war
sie eine arme Thörin. Denn sie hätte sich Humphreys zu Füßen werfen und
ihm für seine Worte danken mögen. Sie dankte ihm denn auch in stammelnder
Rede, und er zögerte nicht, darauf die günstigen Eindrücke, welche die Deutsche»
auf ihn gemacht, zu wiederholen. Was er bezweckte, war, Augusts Geltung
bei ihr nicht eher zu zerstören, als bis er sich selbst in eine Stellung gebracht
habe, in welcher er der nächste Erbe ihrer Neigung werden mußte.

(Fortsetzung folgt.)




Literatur.
Rotzes Philosophische Weltanschauung nach ihren Grundzügen. Zur Erinnerung an
den Verstorbenen von Professor Dr. Edin, Pfleiderer in Tübingen. Berlin, Reimer, 1882.

Der Verfasser, durch „langjährige tiefe Sympathie" der Weltanschauung und
Persönlichkeit des unlängst verstorbenen Philosophen innig verbunden, entwirft in
überaus lebhafter, klarer und fesselnder Form ein Bild von dessen Lehre nach
den Hauptlinien ihres Inhalts und ihrer Methode. Wie ihm Pietät und Dank¬
barkeit dabei allein die Hand geführt haben, so haben sie ihn auch zurückgehalten
von kritischer Zerfaseruug des Dargestellten und jeglicher Einrede. Dennoch tritt
uns nicht sowohl eine direkt urkundliche Wiedergabe, als eine freie, selbständige
Reproduktion der Lotzescheu Gedanken entgegen, zum Bordelle der Unmittelbarkeit
und Anschaulichkeit, da wir so den Entstehungsgaug dieser Gedanken und ihre Mo-
tivirung direkter miterleben und rascher von ihrem Strome fortgerissen werden.
Das Bild hat dadurch auch keineswegs an Treue verloren; nur daß die Beschrän¬
kung ans die allgemeinsten Umrisse in einem Punkte vielleicht allzuviel von den
Mittelgliedern entfernt haben möchte, deren es bedarf, um jedem Mißverständnisse
vorzubeugen. Dieser Punkt ist wichtig genug, um ihm auch in dieser Anzeige,
die im übrigen nur zur Lektüre des Schriftchens einladen will, ein Paar Worte
zu widmen. Es handelt sich um die Stellung der Seele innerhalb des lebendigen
Organismus lind um das Verhältnis ihrer Thätigkeit zu dem, was im gewöhn¬
lichen Physikalisch-chemischen Sinne „mechanisch" oder der „Mechanismus der Funk-


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 41, 1882, Drittes Quartal, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341835_193340/339>, abgerufen am 29.06.2024.