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Die Grenzboten. Jg. 41, 1882, Drittes Quartal.

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die er begangen hätte. Das wäre, daß er Gold und köstlich Geschmeide an sich
getragen. Es stünde in der Bibel und im Sittenbnch der Methodisten, daß
Gold an sich tragen Sünde wäre, und sie meinte, der arme Mensch müsse doch
gar keine Acht ans seine Seele haben, daß er sie mit solchen Dingen beschwere.

Aber Jonas bemerkte nur, daß seine Goldsachen keine Sünde zu sein schienen.
Er erinnere sich keines Verbotes, Zinn oder Tomback zu tragen.




Zehntes Capitel.
Gin Hilfsanerbieten.

Der Gesanglehrer, Herr Hnmphreys, ging mit Julien in die Singschule
und zur Kirche in ganz ungezwungner Weise, indem er sie mit Aufmerksamkeit
behandelte, aber Sorge trug, nicht allzu aufmerksam zu erscheinen. Abgesehen
davon, daß Julia sein Lächeln nicht ausstehen konnte -- das wie gewisse Aktien¬
gesellschaften striotl^ lirnitscl war -- hatte sie ihn ziemlich gern. Es war in
ihrem eintönigen Leben unter den Angen ihrer Mutter, welche sie fast nie allein
ließ und ihr jede Möglichkeit eiues Verkehrs mit Angust abschnitt, immerhin
etwas, die unaufdringlichen Aufmerksamkeiten des Herrn Hnmphreys zu gewahren,
der sie übrigens stets durch die vou ihn: erlebten Abenteuer interessirte. Denn
es schien wirklich, als ob er mehr Abenteuer erlebt habe als ein Dutzend andrer
Leute. Wie sollte ein einfaches Mädchen ihn verstehen? Wie sollte sie das
Rätsel eines Lebens so voll Zweideutigkeit -- voll Vieldeutigkeit lösen können,
wie das Leben Josua Hnmphreys', des Musiklehrers, war? Hnmphreys beab¬
sichtigte, eine Liebschaft mit ihr anzufangen, aber in den ersten beiden Wochen
hatte er es nur darauf abgesehen, ihre Hochachtung zu gewinnen. Er fühlte,
daß ihm etwas noch nicht klar sei, und als ihm zuletzt der Schlüssel in die
Hände siel, war er überzeugt, daß das arglose Mädchen in seiner Gewalt sei.

Unter den Mädchen, die Humvhreys' Singschule besuchten, war anch Betsey
Malcolm, die Tochter der nächsten Nachbarn der Andersons. Der Gesanglehrer
sah sie häufig bei Andersons und wünschte oft, daß Julia so leicht zu gewinnen
sein möchte, als Vetsey seiner Meinung nach zu gewinnen war. Der sinnliche
Mund, die einfältig blickenden Augen Vetseys zeigten rasch, wie Wohl ihr jede
schmeichlerische Aufmerksamkeit that, die er ihr erwies, und obwohl er in Juliens
Gegenwart sich in Acht nahm, sie zu warm zu behnudelu, machte er ihr, als
er eines Tages die Straße allein hinabging und ihr begegnete, eifrig den Hof.
Er hatte bei ihr durchaus keine Vorsicht zu beobachten. Sie verschlang gierig
alle Aufmerksamkeit, die er sür sie hatte, und bemerkte nur nach einem Weilchen
mit mürrischer Miene: O lieber Herr, so wie Sie zu mir reden, so reden Sie
vermutlich manchmal mit Julien. Ich glaube, die hält es nicht für was Un¬
rechtes, sich zwei Liebhaber zugleich warm zu halten.


Grciizbotcn III. 1882, 42

die er begangen hätte. Das wäre, daß er Gold und köstlich Geschmeide an sich
getragen. Es stünde in der Bibel und im Sittenbnch der Methodisten, daß
Gold an sich tragen Sünde wäre, und sie meinte, der arme Mensch müsse doch
gar keine Acht ans seine Seele haben, daß er sie mit solchen Dingen beschwere.

Aber Jonas bemerkte nur, daß seine Goldsachen keine Sünde zu sein schienen.
Er erinnere sich keines Verbotes, Zinn oder Tomback zu tragen.




Zehntes Capitel.
Gin Hilfsanerbieten.

Der Gesanglehrer, Herr Hnmphreys, ging mit Julien in die Singschule
und zur Kirche in ganz ungezwungner Weise, indem er sie mit Aufmerksamkeit
behandelte, aber Sorge trug, nicht allzu aufmerksam zu erscheinen. Abgesehen
davon, daß Julia sein Lächeln nicht ausstehen konnte — das wie gewisse Aktien¬
gesellschaften striotl^ lirnitscl war — hatte sie ihn ziemlich gern. Es war in
ihrem eintönigen Leben unter den Angen ihrer Mutter, welche sie fast nie allein
ließ und ihr jede Möglichkeit eiues Verkehrs mit Angust abschnitt, immerhin
etwas, die unaufdringlichen Aufmerksamkeiten des Herrn Hnmphreys zu gewahren,
der sie übrigens stets durch die vou ihn: erlebten Abenteuer interessirte. Denn
es schien wirklich, als ob er mehr Abenteuer erlebt habe als ein Dutzend andrer
Leute. Wie sollte ein einfaches Mädchen ihn verstehen? Wie sollte sie das
Rätsel eines Lebens so voll Zweideutigkeit — voll Vieldeutigkeit lösen können,
wie das Leben Josua Hnmphreys', des Musiklehrers, war? Hnmphreys beab¬
sichtigte, eine Liebschaft mit ihr anzufangen, aber in den ersten beiden Wochen
hatte er es nur darauf abgesehen, ihre Hochachtung zu gewinnen. Er fühlte,
daß ihm etwas noch nicht klar sei, und als ihm zuletzt der Schlüssel in die
Hände siel, war er überzeugt, daß das arglose Mädchen in seiner Gewalt sei.

Unter den Mädchen, die Humvhreys' Singschule besuchten, war anch Betsey
Malcolm, die Tochter der nächsten Nachbarn der Andersons. Der Gesanglehrer
sah sie häufig bei Andersons und wünschte oft, daß Julia so leicht zu gewinnen
sein möchte, als Vetsey seiner Meinung nach zu gewinnen war. Der sinnliche
Mund, die einfältig blickenden Augen Vetseys zeigten rasch, wie Wohl ihr jede
schmeichlerische Aufmerksamkeit that, die er ihr erwies, und obwohl er in Juliens
Gegenwart sich in Acht nahm, sie zu warm zu behnudelu, machte er ihr, als
er eines Tages die Straße allein hinabging und ihr begegnete, eifrig den Hof.
Er hatte bei ihr durchaus keine Vorsicht zu beobachten. Sie verschlang gierig
alle Aufmerksamkeit, die er sür sie hatte, und bemerkte nur nach einem Weilchen
mit mürrischer Miene: O lieber Herr, so wie Sie zu mir reden, so reden Sie
vermutlich manchmal mit Julien. Ich glaube, die hält es nicht für was Un¬
rechtes, sich zwei Liebhaber zugleich warm zu halten.


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 41, 1882, Drittes Quartal, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341835_193340/337>, abgerufen am 29.06.2024.