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Die Grenzboten. Jg. 41, 1882, Drittes Quartal.

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Der jüngste Tag.

Er blieb auch zum Abendessen da. Er lächelte Semmel Anderson mit dem¬
selben bezaubernden viereckigen Lächeln an, behandelte ihn als Haupt der Fa¬
milie, sprach geläufig von der Landwirtschaft und hörte besser zu als er sprach.
Über sich selbst gab er keine Rechenschaft, ausgenommen durch Andentungen.
So Pflegte er einen Satz etwa so zu beginnen: Als ich in Frankreich reiste
mit meiner armen, lieben Mutter, woraus Frau Anderson schloß, daß er ein
liebevoller Sohn gewesen sei. Dann berichtete er, wie er etwas Seltsames ge¬
sehen, als er im Hause des amerikanischen Gesandten zu Berlin gespeist habe.
Diese bläuliche Ferne, ließ er sich vernehmen, erinnert mich an meine heimat¬
lichen Berge im Norden des Staates Neuyork. Dann wieder spielte er darauf
an, daß er auf dem Konservatorium zu Leipzig Musik studirt habe. Für ein¬
fache Lnndlente in einer abgelegenen Gegend des Westens im Jahre 1843 war
ein solcher Mann besser als ein ganzes Lyceum voll Vorträge. Er brachte ihnen
den Geruch des Reifens in fernen Lande, den Duft der Großstadt, das Un¬
gewöhnliche, nach welchem jedermann sehnsüchtig begehrt.

Er blieb zum Mittagsessen, wie ich sagte, desgleichen zum Abendbrot. Er
blieb auch die Nacht da. Er schlug sein Quartier im Hause Samuel Audersons
auf und gab sich hier in Kost und Pflege. Wer konnte seiner Bitte widerstehen?
Versicherte er ihnen doch, daß er das Bedürfnis empfinde, sich in einer gebil¬
deten Familie ein Heim zu gründen. Und war es nicht eine goldne Gelegen¬
heit, der Tochter des Hauses durch einen Privatlehrer Musikunterricht erteilen
zu lassen und so ihrer Erziehung einen besondern Glanz zu geben? Wie hoffte
Frau Anderson, daß dieser hohe Vorzug ans feiten ihrer Nachbarn eifersüchtige
Bemerkungen hervorrufen würde! Zur Vervollständigung ihres Triumphs war
uur noch notwendig, daß sie sagten, sie sei "aufgeblasen." Und dann, einen so
brillanten Begleiter für Julien zu haben! Einen Begleiter mit Petschaften und
Berlocken an der Uhr und einem Schnurrbart, einen Begleiter, der mit seiner
Mutter in Paris gewesen, im Konservatorium zu Leipzig studirt, mit dem ame¬
rikanischen Gesandten zu Berlin dinirt und eine Menge anderer wundervoller
Dinge gethan hatte. Das war eine Aussicht, das ehrgeizige Herz der Frau
Anderson zu entzücken, zumal da er seine Schmeichelei mehr an die Mutter als
an die Tochter richtete.

'Er ist ein freier Bürger dieser föderalen Union, sagte Jonas zu Cynthy,
trügt den Kopf so hoch, als ob er intime Bekanntschaft mit dem amerikanischen
Adler selber unterhielte. Er spielt sein Spiel flott. Teile alle Trümpfe sich
selber zu und beinahe alles andre ebenfalls. Er wird uns das Mädel ent¬
führen, wenn ihn nicht was in seinem Galoppiren aufhält. Na, laß mich nur
eine Gelegenheit finden, wenn er am höchsten droben in der Bernsteinbläue
schwebt, so werden wir den Bindfaden am Drachen durchschneiden und ihn wie
einen gezackten Blitz in einen Tümpel pnrzeln lassen.

Cynthy sagte, sie könnte wahrhaftig nnr eine einzige große Sünde scheu,


Der jüngste Tag.

Er blieb auch zum Abendessen da. Er lächelte Semmel Anderson mit dem¬
selben bezaubernden viereckigen Lächeln an, behandelte ihn als Haupt der Fa¬
milie, sprach geläufig von der Landwirtschaft und hörte besser zu als er sprach.
Über sich selbst gab er keine Rechenschaft, ausgenommen durch Andentungen.
So Pflegte er einen Satz etwa so zu beginnen: Als ich in Frankreich reiste
mit meiner armen, lieben Mutter, woraus Frau Anderson schloß, daß er ein
liebevoller Sohn gewesen sei. Dann berichtete er, wie er etwas Seltsames ge¬
sehen, als er im Hause des amerikanischen Gesandten zu Berlin gespeist habe.
Diese bläuliche Ferne, ließ er sich vernehmen, erinnert mich an meine heimat¬
lichen Berge im Norden des Staates Neuyork. Dann wieder spielte er darauf
an, daß er auf dem Konservatorium zu Leipzig Musik studirt habe. Für ein¬
fache Lnndlente in einer abgelegenen Gegend des Westens im Jahre 1843 war
ein solcher Mann besser als ein ganzes Lyceum voll Vorträge. Er brachte ihnen
den Geruch des Reifens in fernen Lande, den Duft der Großstadt, das Un¬
gewöhnliche, nach welchem jedermann sehnsüchtig begehrt.

Er blieb zum Mittagsessen, wie ich sagte, desgleichen zum Abendbrot. Er
blieb auch die Nacht da. Er schlug sein Quartier im Hause Samuel Audersons
auf und gab sich hier in Kost und Pflege. Wer konnte seiner Bitte widerstehen?
Versicherte er ihnen doch, daß er das Bedürfnis empfinde, sich in einer gebil¬
deten Familie ein Heim zu gründen. Und war es nicht eine goldne Gelegen¬
heit, der Tochter des Hauses durch einen Privatlehrer Musikunterricht erteilen
zu lassen und so ihrer Erziehung einen besondern Glanz zu geben? Wie hoffte
Frau Anderson, daß dieser hohe Vorzug ans feiten ihrer Nachbarn eifersüchtige
Bemerkungen hervorrufen würde! Zur Vervollständigung ihres Triumphs war
uur noch notwendig, daß sie sagten, sie sei „aufgeblasen." Und dann, einen so
brillanten Begleiter für Julien zu haben! Einen Begleiter mit Petschaften und
Berlocken an der Uhr und einem Schnurrbart, einen Begleiter, der mit seiner
Mutter in Paris gewesen, im Konservatorium zu Leipzig studirt, mit dem ame¬
rikanischen Gesandten zu Berlin dinirt und eine Menge anderer wundervoller
Dinge gethan hatte. Das war eine Aussicht, das ehrgeizige Herz der Frau
Anderson zu entzücken, zumal da er seine Schmeichelei mehr an die Mutter als
an die Tochter richtete.

'Er ist ein freier Bürger dieser föderalen Union, sagte Jonas zu Cynthy,
trügt den Kopf so hoch, als ob er intime Bekanntschaft mit dem amerikanischen
Adler selber unterhielte. Er spielt sein Spiel flott. Teile alle Trümpfe sich
selber zu und beinahe alles andre ebenfalls. Er wird uns das Mädel ent¬
führen, wenn ihn nicht was in seinem Galoppiren aufhält. Na, laß mich nur
eine Gelegenheit finden, wenn er am höchsten droben in der Bernsteinbläue
schwebt, so werden wir den Bindfaden am Drachen durchschneiden und ihn wie
einen gezackten Blitz in einen Tümpel pnrzeln lassen.

Cynthy sagte, sie könnte wahrhaftig nnr eine einzige große Sünde scheu,


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[0336] Der jüngste Tag. Er blieb auch zum Abendessen da. Er lächelte Semmel Anderson mit dem¬ selben bezaubernden viereckigen Lächeln an, behandelte ihn als Haupt der Fa¬ milie, sprach geläufig von der Landwirtschaft und hörte besser zu als er sprach. Über sich selbst gab er keine Rechenschaft, ausgenommen durch Andentungen. So Pflegte er einen Satz etwa so zu beginnen: Als ich in Frankreich reiste mit meiner armen, lieben Mutter, woraus Frau Anderson schloß, daß er ein liebevoller Sohn gewesen sei. Dann berichtete er, wie er etwas Seltsames ge¬ sehen, als er im Hause des amerikanischen Gesandten zu Berlin gespeist habe. Diese bläuliche Ferne, ließ er sich vernehmen, erinnert mich an meine heimat¬ lichen Berge im Norden des Staates Neuyork. Dann wieder spielte er darauf an, daß er auf dem Konservatorium zu Leipzig Musik studirt habe. Für ein¬ fache Lnndlente in einer abgelegenen Gegend des Westens im Jahre 1843 war ein solcher Mann besser als ein ganzes Lyceum voll Vorträge. Er brachte ihnen den Geruch des Reifens in fernen Lande, den Duft der Großstadt, das Un¬ gewöhnliche, nach welchem jedermann sehnsüchtig begehrt. Er blieb zum Mittagsessen, wie ich sagte, desgleichen zum Abendbrot. Er blieb auch die Nacht da. Er schlug sein Quartier im Hause Samuel Audersons auf und gab sich hier in Kost und Pflege. Wer konnte seiner Bitte widerstehen? Versicherte er ihnen doch, daß er das Bedürfnis empfinde, sich in einer gebil¬ deten Familie ein Heim zu gründen. Und war es nicht eine goldne Gelegen¬ heit, der Tochter des Hauses durch einen Privatlehrer Musikunterricht erteilen zu lassen und so ihrer Erziehung einen besondern Glanz zu geben? Wie hoffte Frau Anderson, daß dieser hohe Vorzug ans feiten ihrer Nachbarn eifersüchtige Bemerkungen hervorrufen würde! Zur Vervollständigung ihres Triumphs war uur noch notwendig, daß sie sagten, sie sei „aufgeblasen." Und dann, einen so brillanten Begleiter für Julien zu haben! Einen Begleiter mit Petschaften und Berlocken an der Uhr und einem Schnurrbart, einen Begleiter, der mit seiner Mutter in Paris gewesen, im Konservatorium zu Leipzig studirt, mit dem ame¬ rikanischen Gesandten zu Berlin dinirt und eine Menge anderer wundervoller Dinge gethan hatte. Das war eine Aussicht, das ehrgeizige Herz der Frau Anderson zu entzücken, zumal da er seine Schmeichelei mehr an die Mutter als an die Tochter richtete. 'Er ist ein freier Bürger dieser föderalen Union, sagte Jonas zu Cynthy, trügt den Kopf so hoch, als ob er intime Bekanntschaft mit dem amerikanischen Adler selber unterhielte. Er spielt sein Spiel flott. Teile alle Trümpfe sich selber zu und beinahe alles andre ebenfalls. Er wird uns das Mädel ent¬ führen, wenn ihn nicht was in seinem Galoppiren aufhält. Na, laß mich nur eine Gelegenheit finden, wenn er am höchsten droben in der Bernsteinbläue schwebt, so werden wir den Bindfaden am Drachen durchschneiden und ihn wie einen gezackten Blitz in einen Tümpel pnrzeln lassen. Cynthy sagte, sie könnte wahrhaftig nnr eine einzige große Sünde scheu,

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 41, 1882, Drittes Quartal, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341835_193340/336>, abgerufen am 01.07.2024.