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Die Grenzboten. Jg. 41, 1882, Drittes Quartal.

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das Rügensche Eiland nicht kennt, nicht aus sich heraus, sondern nnr dnrch eine
Erklärung der zu Grunde liegenden Naturerscheinung und Volkssitte. Daher
boten sie auch keinen geeigneten Text für die musikalische Komposition dar, die
nur das Lied in seiner reinsten Gestalt und von allgemeinsten Inhalte zu illu-
striren vermag.




Das heutige Feuilleton.

Sag mir, warum dich keine Zeitung freut? --
Ich liebe sie nicht, sie dienen der Zeit.

uter allen Einrichtungen des öffentlichen Lebens fordert keine so
dringend eine scharfe Prüfung heraus wie die, welche als ver¬
körperte Volksstimme alle rudern zu richten sich anmaßt, die große
Presse. Und doch kann keine eine nüchterne Beurteilung so wenig
vertragen. Die stolze Berechtigung zum Richten, die, innerlich in
nichts begründet, durch den Ton kecker Anmaßung ertrotzt wird, verkehrt sich
vor dem prüfenden Blick in ein erniedrigendes Selbstgericht. Wenn nnn auch
jeder Einsichtige, dem das Wohl unsers Volkes am Herzen liegt, dies Gericht
über die jüdische liberale Presse im ganzen selbst vollzieht und tüchtige
Männer in öffentlichem Kampfe gegen dies anmaßende, verderbliche Unwesen
stehen, so hat es doch einem Gebiete des vielstraßigen Wirrsals, zu dem sich
mannichfache Kräfte in einer heutigen Zeitung verbinden, vielleicht mehr
als billig an dem nötigen Urteil gefehlt, das Feuilleton. Die abgelegene
Stelle, an der es, dem Lärm des Tageskampfes entrückt, in beschaulicher
Stille anscheinend harmlosere Gegenstünde zum Nutzen friedliebender Gemüter
behandelt und selbst den Frauen lebendigen Anteil an dem täglichen Erscheinen
der Zeitung einzuflößen sticht, läßt das Feuilleton in den Hintergrund treten,
wenn es sich um die Auffassung des wirkenden Charakters eines Blattes han¬
delt, das dem unmittelbar gegenwärtigen Kampfe des Tages und seinen flüchtigen
Ereignissen bestimmt ist.

Wir hoffen daher nichts Überflüssiges zu unternehmen, wenn wir in Um¬
rissen zunächst ein Bild des heutigen Feuilletons zu entwerfen versuchen und
seine hauptsächlichsten Arten kennzeichnen. Eine solche Zeichnung wird zugleich
ein Urteil über den Wert des gezeichneten Gegenstandes in sich tragen. Ein
weiterer Hinweis auf die innere Verwandtschaft dieses namenlosen Feuille¬
tons mit dem ganzen Treiben unsrer neueren "deutschen" Schriftsteller wird den
fenilletonistisch zeituugsmüßigeu Charakter unserer Literatur erläutern, die sich in


das Rügensche Eiland nicht kennt, nicht aus sich heraus, sondern nnr dnrch eine
Erklärung der zu Grunde liegenden Naturerscheinung und Volkssitte. Daher
boten sie auch keinen geeigneten Text für die musikalische Komposition dar, die
nur das Lied in seiner reinsten Gestalt und von allgemeinsten Inhalte zu illu-
striren vermag.




Das heutige Feuilleton.

Sag mir, warum dich keine Zeitung freut? —
Ich liebe sie nicht, sie dienen der Zeit.

uter allen Einrichtungen des öffentlichen Lebens fordert keine so
dringend eine scharfe Prüfung heraus wie die, welche als ver¬
körperte Volksstimme alle rudern zu richten sich anmaßt, die große
Presse. Und doch kann keine eine nüchterne Beurteilung so wenig
vertragen. Die stolze Berechtigung zum Richten, die, innerlich in
nichts begründet, durch den Ton kecker Anmaßung ertrotzt wird, verkehrt sich
vor dem prüfenden Blick in ein erniedrigendes Selbstgericht. Wenn nnn auch
jeder Einsichtige, dem das Wohl unsers Volkes am Herzen liegt, dies Gericht
über die jüdische liberale Presse im ganzen selbst vollzieht und tüchtige
Männer in öffentlichem Kampfe gegen dies anmaßende, verderbliche Unwesen
stehen, so hat es doch einem Gebiete des vielstraßigen Wirrsals, zu dem sich
mannichfache Kräfte in einer heutigen Zeitung verbinden, vielleicht mehr
als billig an dem nötigen Urteil gefehlt, das Feuilleton. Die abgelegene
Stelle, an der es, dem Lärm des Tageskampfes entrückt, in beschaulicher
Stille anscheinend harmlosere Gegenstünde zum Nutzen friedliebender Gemüter
behandelt und selbst den Frauen lebendigen Anteil an dem täglichen Erscheinen
der Zeitung einzuflößen sticht, läßt das Feuilleton in den Hintergrund treten,
wenn es sich um die Auffassung des wirkenden Charakters eines Blattes han¬
delt, das dem unmittelbar gegenwärtigen Kampfe des Tages und seinen flüchtigen
Ereignissen bestimmt ist.

Wir hoffen daher nichts Überflüssiges zu unternehmen, wenn wir in Um¬
rissen zunächst ein Bild des heutigen Feuilletons zu entwerfen versuchen und
seine hauptsächlichsten Arten kennzeichnen. Eine solche Zeichnung wird zugleich
ein Urteil über den Wert des gezeichneten Gegenstandes in sich tragen. Ein
weiterer Hinweis auf die innere Verwandtschaft dieses namenlosen Feuille¬
tons mit dem ganzen Treiben unsrer neueren „deutschen" Schriftsteller wird den
fenilletonistisch zeituugsmüßigeu Charakter unserer Literatur erläutern, die sich in


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[0220] das Rügensche Eiland nicht kennt, nicht aus sich heraus, sondern nnr dnrch eine Erklärung der zu Grunde liegenden Naturerscheinung und Volkssitte. Daher boten sie auch keinen geeigneten Text für die musikalische Komposition dar, die nur das Lied in seiner reinsten Gestalt und von allgemeinsten Inhalte zu illu- striren vermag. Das heutige Feuilleton. Sag mir, warum dich keine Zeitung freut? — Ich liebe sie nicht, sie dienen der Zeit. uter allen Einrichtungen des öffentlichen Lebens fordert keine so dringend eine scharfe Prüfung heraus wie die, welche als ver¬ körperte Volksstimme alle rudern zu richten sich anmaßt, die große Presse. Und doch kann keine eine nüchterne Beurteilung so wenig vertragen. Die stolze Berechtigung zum Richten, die, innerlich in nichts begründet, durch den Ton kecker Anmaßung ertrotzt wird, verkehrt sich vor dem prüfenden Blick in ein erniedrigendes Selbstgericht. Wenn nnn auch jeder Einsichtige, dem das Wohl unsers Volkes am Herzen liegt, dies Gericht über die jüdische liberale Presse im ganzen selbst vollzieht und tüchtige Männer in öffentlichem Kampfe gegen dies anmaßende, verderbliche Unwesen stehen, so hat es doch einem Gebiete des vielstraßigen Wirrsals, zu dem sich mannichfache Kräfte in einer heutigen Zeitung verbinden, vielleicht mehr als billig an dem nötigen Urteil gefehlt, das Feuilleton. Die abgelegene Stelle, an der es, dem Lärm des Tageskampfes entrückt, in beschaulicher Stille anscheinend harmlosere Gegenstünde zum Nutzen friedliebender Gemüter behandelt und selbst den Frauen lebendigen Anteil an dem täglichen Erscheinen der Zeitung einzuflößen sticht, läßt das Feuilleton in den Hintergrund treten, wenn es sich um die Auffassung des wirkenden Charakters eines Blattes han¬ delt, das dem unmittelbar gegenwärtigen Kampfe des Tages und seinen flüchtigen Ereignissen bestimmt ist. Wir hoffen daher nichts Überflüssiges zu unternehmen, wenn wir in Um¬ rissen zunächst ein Bild des heutigen Feuilletons zu entwerfen versuchen und seine hauptsächlichsten Arten kennzeichnen. Eine solche Zeichnung wird zugleich ein Urteil über den Wert des gezeichneten Gegenstandes in sich tragen. Ein weiterer Hinweis auf die innere Verwandtschaft dieses namenlosen Feuille¬ tons mit dem ganzen Treiben unsrer neueren „deutschen" Schriftsteller wird den fenilletonistisch zeituugsmüßigeu Charakter unserer Literatur erläutern, die sich in

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 41, 1882, Drittes Quartal, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341835_193340/220>, abgerufen am 29.06.2024.