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Die Grenzboten. Jg. 41, 1882, Drittes Quartal.

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Amerikanische Sekten.

achten es jahrelang in der Presse hinsichtlich der sonst vielbe¬
sprochenen Mormonen ziemlich still gewesen, hat man nenerdings
wieder lebhaft die Frage erwägen hören, ob die Vereinigten
Staaten noch länger unter dem Schutze des Sternenbanners eine
Sekte dulden könnten, welche offenkundig die Polygamie übt, und
ob sie imstande sein würden, die Gesetze auch jenseits des schroffen Gebirgs-
kcunms, welcher Salt Lake Cith überragt, zur Geltung zu bringen. Der Präsident
jenes mächtigem Staates hat seine entscheidende Stimme gegen die aller euro¬
päischen und christlichen Sitte hohnsprechende Institution in die Wagschale ge¬
worfen, und zugleich dringen allerhand Stimmen in die Öffentlichkeit, welche ein
solches Bild der nnter den Mormonen herrschenden Zustände entrollen, daß
mau annehmen möchte, es würde kaum des Einschreitens von außen bedürfen,
um jenem Unwesen ein Ende zu macheu, es würde jenes wunderliche Staats¬
wesen im fernen Westen an der eignen Fäulnis zu Grunde gehen und in sich
zusammenstürzen. Auch die mächtige Propaganda der Mormonen soll, wie eng¬
lische Zeitungen berichten, im Aufhören begriffen sein, soll wenigstens in den
Staaten der ZrÄvions Hnvvn verlöschen wie ein Strohfeuer.

Für denjenigen, der sich näher mit dem Charakter der amerikanischen Sekten
beschäftigt hat, tauchen solchen Nachrichten gegenüber allerhand Bedenken auf,
und er zweifelt, ob wirklich der Niedergang der Mormonen schon so nahe sei.
Schon zu verschiedenenmalen schien es mit ihnen zu Ende zu gehen. In Jn-
depcndence (Missouri) wurden sie im Jahre 1833, zwölftausend Köpfe stark,
zermalmt und zerstreut, um sich, durch die Verfolgung zu dreißigtausend Mit¬
gliedern anwachsend, in Nauvoo (Illinois) neu zu begründen. Man ergriff
im Jahre 1844 von neuem die Waffen gegen religiöse Leidenschaft, erschlug
ihren Propheten, plünderte ihre Stadt und zerstreute sie in die Wüste. Wenige
Jahre später zählte die Lehre des ermordeten Joseph Smith einhnndertfünfzig-
tausend Anhänger, es entstand eine blühende Stadt unter ihren Händen, sie
stellten zum mexikanischen Kriege eine vorzügliche Hilfstruppe, und als 1858
die Regierung versuchte, sie mit Gewalt der Waffen zum Gehorsam zu bringen,
brachten sie so viele gut bewaffnete Krieger auf die Beine, daß die Expedition
gegen sie nach einem einzigen Treffen zu einem Vergleich führte, in welchem
der Vorteil auf feiten der Mormonen war. Es ist schwer zu sagen, ob die
neueste gegen sie gerichtete Bill mehr Erfolg haben wird als sehr viele frühere
Bills derselben Tendenz.

Allerdings hat die Paeifiebnhn, indem sie die Isolirtheit der Mormonen
aufhob und zahlreiche "Heiden" nach Utah führte, insofern einen erfreulichen


Amerikanische Sekten.

achten es jahrelang in der Presse hinsichtlich der sonst vielbe¬
sprochenen Mormonen ziemlich still gewesen, hat man nenerdings
wieder lebhaft die Frage erwägen hören, ob die Vereinigten
Staaten noch länger unter dem Schutze des Sternenbanners eine
Sekte dulden könnten, welche offenkundig die Polygamie übt, und
ob sie imstande sein würden, die Gesetze auch jenseits des schroffen Gebirgs-
kcunms, welcher Salt Lake Cith überragt, zur Geltung zu bringen. Der Präsident
jenes mächtigem Staates hat seine entscheidende Stimme gegen die aller euro¬
päischen und christlichen Sitte hohnsprechende Institution in die Wagschale ge¬
worfen, und zugleich dringen allerhand Stimmen in die Öffentlichkeit, welche ein
solches Bild der nnter den Mormonen herrschenden Zustände entrollen, daß
mau annehmen möchte, es würde kaum des Einschreitens von außen bedürfen,
um jenem Unwesen ein Ende zu macheu, es würde jenes wunderliche Staats¬
wesen im fernen Westen an der eignen Fäulnis zu Grunde gehen und in sich
zusammenstürzen. Auch die mächtige Propaganda der Mormonen soll, wie eng¬
lische Zeitungen berichten, im Aufhören begriffen sein, soll wenigstens in den
Staaten der ZrÄvions Hnvvn verlöschen wie ein Strohfeuer.

Für denjenigen, der sich näher mit dem Charakter der amerikanischen Sekten
beschäftigt hat, tauchen solchen Nachrichten gegenüber allerhand Bedenken auf,
und er zweifelt, ob wirklich der Niedergang der Mormonen schon so nahe sei.
Schon zu verschiedenenmalen schien es mit ihnen zu Ende zu gehen. In Jn-
depcndence (Missouri) wurden sie im Jahre 1833, zwölftausend Köpfe stark,
zermalmt und zerstreut, um sich, durch die Verfolgung zu dreißigtausend Mit¬
gliedern anwachsend, in Nauvoo (Illinois) neu zu begründen. Man ergriff
im Jahre 1844 von neuem die Waffen gegen religiöse Leidenschaft, erschlug
ihren Propheten, plünderte ihre Stadt und zerstreute sie in die Wüste. Wenige
Jahre später zählte die Lehre des ermordeten Joseph Smith einhnndertfünfzig-
tausend Anhänger, es entstand eine blühende Stadt unter ihren Händen, sie
stellten zum mexikanischen Kriege eine vorzügliche Hilfstruppe, und als 1858
die Regierung versuchte, sie mit Gewalt der Waffen zum Gehorsam zu bringen,
brachten sie so viele gut bewaffnete Krieger auf die Beine, daß die Expedition
gegen sie nach einem einzigen Treffen zu einem Vergleich führte, in welchem
der Vorteil auf feiten der Mormonen war. Es ist schwer zu sagen, ob die
neueste gegen sie gerichtete Bill mehr Erfolg haben wird als sehr viele frühere
Bills derselben Tendenz.

Allerdings hat die Paeifiebnhn, indem sie die Isolirtheit der Mormonen
aufhob und zahlreiche „Heiden" nach Utah führte, insofern einen erfreulichen


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[0018] Amerikanische Sekten. achten es jahrelang in der Presse hinsichtlich der sonst vielbe¬ sprochenen Mormonen ziemlich still gewesen, hat man nenerdings wieder lebhaft die Frage erwägen hören, ob die Vereinigten Staaten noch länger unter dem Schutze des Sternenbanners eine Sekte dulden könnten, welche offenkundig die Polygamie übt, und ob sie imstande sein würden, die Gesetze auch jenseits des schroffen Gebirgs- kcunms, welcher Salt Lake Cith überragt, zur Geltung zu bringen. Der Präsident jenes mächtigem Staates hat seine entscheidende Stimme gegen die aller euro¬ päischen und christlichen Sitte hohnsprechende Institution in die Wagschale ge¬ worfen, und zugleich dringen allerhand Stimmen in die Öffentlichkeit, welche ein solches Bild der nnter den Mormonen herrschenden Zustände entrollen, daß mau annehmen möchte, es würde kaum des Einschreitens von außen bedürfen, um jenem Unwesen ein Ende zu macheu, es würde jenes wunderliche Staats¬ wesen im fernen Westen an der eignen Fäulnis zu Grunde gehen und in sich zusammenstürzen. Auch die mächtige Propaganda der Mormonen soll, wie eng¬ lische Zeitungen berichten, im Aufhören begriffen sein, soll wenigstens in den Staaten der ZrÄvions Hnvvn verlöschen wie ein Strohfeuer. Für denjenigen, der sich näher mit dem Charakter der amerikanischen Sekten beschäftigt hat, tauchen solchen Nachrichten gegenüber allerhand Bedenken auf, und er zweifelt, ob wirklich der Niedergang der Mormonen schon so nahe sei. Schon zu verschiedenenmalen schien es mit ihnen zu Ende zu gehen. In Jn- depcndence (Missouri) wurden sie im Jahre 1833, zwölftausend Köpfe stark, zermalmt und zerstreut, um sich, durch die Verfolgung zu dreißigtausend Mit¬ gliedern anwachsend, in Nauvoo (Illinois) neu zu begründen. Man ergriff im Jahre 1844 von neuem die Waffen gegen religiöse Leidenschaft, erschlug ihren Propheten, plünderte ihre Stadt und zerstreute sie in die Wüste. Wenige Jahre später zählte die Lehre des ermordeten Joseph Smith einhnndertfünfzig- tausend Anhänger, es entstand eine blühende Stadt unter ihren Händen, sie stellten zum mexikanischen Kriege eine vorzügliche Hilfstruppe, und als 1858 die Regierung versuchte, sie mit Gewalt der Waffen zum Gehorsam zu bringen, brachten sie so viele gut bewaffnete Krieger auf die Beine, daß die Expedition gegen sie nach einem einzigen Treffen zu einem Vergleich führte, in welchem der Vorteil auf feiten der Mormonen war. Es ist schwer zu sagen, ob die neueste gegen sie gerichtete Bill mehr Erfolg haben wird als sehr viele frühere Bills derselben Tendenz. Allerdings hat die Paeifiebnhn, indem sie die Isolirtheit der Mormonen aufhob und zahlreiche „Heiden" nach Utah führte, insofern einen erfreulichen

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 41, 1882, Drittes Quartal, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341835_193340/18>, abgerufen am 03.07.2024.