Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Die Grenzboten. Jg. 41, 1882, Drittes Quartal.

Bild:
<< vorherige Seite
Die Erziehung zum Staatsbürger.

Initiative kaun hier in Jahrzehnten nicht das bewirken, was die Regierung schon
in dem Augenblick unmittelbar erreicht, wo die betreffende Einrichtung ins Leben
tritt. . . Wir besitzen nicht die Anmaßung, angeben zu wollen, ob unser Pro¬
jekt früher oder später, in dieser oder jener Modifikation zur Ausführung ge¬
langen wird. Aber eine Genugthuung möge unsern Gesinnungsgenossen bereits
hier zu prognostiziren vergönnt sein: daß unmittelbar nach der Verwirklichung
des Projekts nnr wenige Jahre ins Land gehen würden, bevor es jedermann
unbegreiflich finden würde, warum mau denn eine so unerläßliche Sache wie die
politische Bildung der Nation nicht längst schon aus dem naturgemäßen Wege einer
Schulung in politischen Dingen ins Werk gesetzt. Der Gedanke, ohne eine sozial¬
politische Propcideutik durchzukommen, wird seinerzeit ebenso unverständlich sein
wie jetzt der Gedanke, sich ohne Eisenbahn behelfen zu müssen. . . In der Oppo¬
sition gegen eine sozialpolitische Propädeutik werden nicht sowohl sachliche als
persönliche Gründe verschiedenster Art die Hauptrolle spielen. Wie vor Jahr¬
zehnten bei Einführung der Eisenbahnen große und kleine Geschäftsherren, Fuhr¬
leute, Gastwirte u. tgi. die Hände über dem Kopfe zusammenschlugen, als es mit
dem hergebrachten Verkehr anders werden sollte, wie mancher hohe Reisende un¬
willig das Haupt dazu schüttelte, daß er mit dem kleinen Manne zugleich in
denselben Zug steigen und zu derselben Stunde mit ihm das Ziel erreichen sollte,
so werden große und kleine Politiker nicht so bald den Gedanken verwinden
können, daß ein so einfacher Weg zur Verständigung zwischen Regierung und
Nation geschaffen werden soll, welcher den ganzen Apparat staatsmännischer
Aktionen und Machinationen vor und hinter den Koulissen bis auf einen be¬
scheidenen Rest überflüssig machen würde."

Man müßte Schulmeister sein, um der Entdeckung des Verfassers so un¬
gemein hohen Wert beilegen zu können, wie es hier geschieht. Indeß ist, was er
vorschlägt, ohne Zweifel des Überlegens und Beherzigens wert, und dazu möchten
wir angeregt haben. Noch besser würde uns die Schrift behagen, wenn sie sich
mehr mit der Art und Weise der Ausführung des Planes als mit der Not¬
wendigkeit der betreffenden Einrichtung beschäftigte. Die Notwendigkeit leuchtet
uns ein, aber das Wie der Verwirklichung ist die Hauptsache, und darüber er¬
fahren wir in der Schrift allerdings auch mancherlei, aber nach unsrer Meinung
bei weiten: nicht genug. Indeß sind wir dem Verfasser schon für die Anregung
dankbar.




Grenzbowi III. 1"82.!^
Die Erziehung zum Staatsbürger.

Initiative kaun hier in Jahrzehnten nicht das bewirken, was die Regierung schon
in dem Augenblick unmittelbar erreicht, wo die betreffende Einrichtung ins Leben
tritt. . . Wir besitzen nicht die Anmaßung, angeben zu wollen, ob unser Pro¬
jekt früher oder später, in dieser oder jener Modifikation zur Ausführung ge¬
langen wird. Aber eine Genugthuung möge unsern Gesinnungsgenossen bereits
hier zu prognostiziren vergönnt sein: daß unmittelbar nach der Verwirklichung
des Projekts nnr wenige Jahre ins Land gehen würden, bevor es jedermann
unbegreiflich finden würde, warum mau denn eine so unerläßliche Sache wie die
politische Bildung der Nation nicht längst schon aus dem naturgemäßen Wege einer
Schulung in politischen Dingen ins Werk gesetzt. Der Gedanke, ohne eine sozial¬
politische Propcideutik durchzukommen, wird seinerzeit ebenso unverständlich sein
wie jetzt der Gedanke, sich ohne Eisenbahn behelfen zu müssen. . . In der Oppo¬
sition gegen eine sozialpolitische Propädeutik werden nicht sowohl sachliche als
persönliche Gründe verschiedenster Art die Hauptrolle spielen. Wie vor Jahr¬
zehnten bei Einführung der Eisenbahnen große und kleine Geschäftsherren, Fuhr¬
leute, Gastwirte u. tgi. die Hände über dem Kopfe zusammenschlugen, als es mit
dem hergebrachten Verkehr anders werden sollte, wie mancher hohe Reisende un¬
willig das Haupt dazu schüttelte, daß er mit dem kleinen Manne zugleich in
denselben Zug steigen und zu derselben Stunde mit ihm das Ziel erreichen sollte,
so werden große und kleine Politiker nicht so bald den Gedanken verwinden
können, daß ein so einfacher Weg zur Verständigung zwischen Regierung und
Nation geschaffen werden soll, welcher den ganzen Apparat staatsmännischer
Aktionen und Machinationen vor und hinter den Koulissen bis auf einen be¬
scheidenen Rest überflüssig machen würde."

Man müßte Schulmeister sein, um der Entdeckung des Verfassers so un¬
gemein hohen Wert beilegen zu können, wie es hier geschieht. Indeß ist, was er
vorschlägt, ohne Zweifel des Überlegens und Beherzigens wert, und dazu möchten
wir angeregt haben. Noch besser würde uns die Schrift behagen, wenn sie sich
mehr mit der Art und Weise der Ausführung des Planes als mit der Not¬
wendigkeit der betreffenden Einrichtung beschäftigte. Die Notwendigkeit leuchtet
uns ein, aber das Wie der Verwirklichung ist die Hauptsache, und darüber er¬
fahren wir in der Schrift allerdings auch mancherlei, aber nach unsrer Meinung
bei weiten: nicht genug. Indeß sind wir dem Verfasser schon für die Anregung
dankbar.




Grenzbowi III. 1«82.!^
<TEI>
  <text>
    <body>
      <div>
        <div n="1">
          <pb facs="#f0017" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/193358"/>
          <fw type="header" place="top"> Die Erziehung zum Staatsbürger.</fw><lb/>
          <p xml:id="ID_32" prev="#ID_31"> Initiative kaun hier in Jahrzehnten nicht das bewirken, was die Regierung schon<lb/>
in dem Augenblick unmittelbar erreicht, wo die betreffende Einrichtung ins Leben<lb/>
tritt. . . Wir besitzen nicht die Anmaßung, angeben zu wollen, ob unser Pro¬<lb/>
jekt früher oder später, in dieser oder jener Modifikation zur Ausführung ge¬<lb/>
langen wird. Aber eine Genugthuung möge unsern Gesinnungsgenossen bereits<lb/>
hier zu prognostiziren vergönnt sein: daß unmittelbar nach der Verwirklichung<lb/>
des Projekts nnr wenige Jahre ins Land gehen würden, bevor es jedermann<lb/>
unbegreiflich finden würde, warum mau denn eine so unerläßliche Sache wie die<lb/>
politische Bildung der Nation nicht längst schon aus dem naturgemäßen Wege einer<lb/>
Schulung in politischen Dingen ins Werk gesetzt. Der Gedanke, ohne eine sozial¬<lb/>
politische Propcideutik durchzukommen, wird seinerzeit ebenso unverständlich sein<lb/>
wie jetzt der Gedanke, sich ohne Eisenbahn behelfen zu müssen. . . In der Oppo¬<lb/>
sition gegen eine sozialpolitische Propädeutik werden nicht sowohl sachliche als<lb/>
persönliche Gründe verschiedenster Art die Hauptrolle spielen. Wie vor Jahr¬<lb/>
zehnten bei Einführung der Eisenbahnen große und kleine Geschäftsherren, Fuhr¬<lb/>
leute, Gastwirte u. tgi. die Hände über dem Kopfe zusammenschlugen, als es mit<lb/>
dem hergebrachten Verkehr anders werden sollte, wie mancher hohe Reisende un¬<lb/>
willig das Haupt dazu schüttelte, daß er mit dem kleinen Manne zugleich in<lb/>
denselben Zug steigen und zu derselben Stunde mit ihm das Ziel erreichen sollte,<lb/>
so werden große und kleine Politiker nicht so bald den Gedanken verwinden<lb/>
können, daß ein so einfacher Weg zur Verständigung zwischen Regierung und<lb/>
Nation geschaffen werden soll, welcher den ganzen Apparat staatsmännischer<lb/>
Aktionen und Machinationen vor und hinter den Koulissen bis auf einen be¬<lb/>
scheidenen Rest überflüssig machen würde."</p><lb/>
          <p xml:id="ID_33"> Man müßte Schulmeister sein, um der Entdeckung des Verfassers so un¬<lb/>
gemein hohen Wert beilegen zu können, wie es hier geschieht. Indeß ist, was er<lb/>
vorschlägt, ohne Zweifel des Überlegens und Beherzigens wert, und dazu möchten<lb/>
wir angeregt haben. Noch besser würde uns die Schrift behagen, wenn sie sich<lb/>
mehr mit der Art und Weise der Ausführung des Planes als mit der Not¬<lb/>
wendigkeit der betreffenden Einrichtung beschäftigte. Die Notwendigkeit leuchtet<lb/>
uns ein, aber das Wie der Verwirklichung ist die Hauptsache, und darüber er¬<lb/>
fahren wir in der Schrift allerdings auch mancherlei, aber nach unsrer Meinung<lb/>
bei weiten: nicht genug. Indeß sind wir dem Verfasser schon für die Anregung<lb/>
dankbar.</p><lb/>
          <milestone rendition="#hr" unit="section"/><lb/>
          <fw type="sig" place="bottom"> Grenzbowi III. 1«82.!^</fw><lb/>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[0017] Die Erziehung zum Staatsbürger. Initiative kaun hier in Jahrzehnten nicht das bewirken, was die Regierung schon in dem Augenblick unmittelbar erreicht, wo die betreffende Einrichtung ins Leben tritt. . . Wir besitzen nicht die Anmaßung, angeben zu wollen, ob unser Pro¬ jekt früher oder später, in dieser oder jener Modifikation zur Ausführung ge¬ langen wird. Aber eine Genugthuung möge unsern Gesinnungsgenossen bereits hier zu prognostiziren vergönnt sein: daß unmittelbar nach der Verwirklichung des Projekts nnr wenige Jahre ins Land gehen würden, bevor es jedermann unbegreiflich finden würde, warum mau denn eine so unerläßliche Sache wie die politische Bildung der Nation nicht längst schon aus dem naturgemäßen Wege einer Schulung in politischen Dingen ins Werk gesetzt. Der Gedanke, ohne eine sozial¬ politische Propcideutik durchzukommen, wird seinerzeit ebenso unverständlich sein wie jetzt der Gedanke, sich ohne Eisenbahn behelfen zu müssen. . . In der Oppo¬ sition gegen eine sozialpolitische Propädeutik werden nicht sowohl sachliche als persönliche Gründe verschiedenster Art die Hauptrolle spielen. Wie vor Jahr¬ zehnten bei Einführung der Eisenbahnen große und kleine Geschäftsherren, Fuhr¬ leute, Gastwirte u. tgi. die Hände über dem Kopfe zusammenschlugen, als es mit dem hergebrachten Verkehr anders werden sollte, wie mancher hohe Reisende un¬ willig das Haupt dazu schüttelte, daß er mit dem kleinen Manne zugleich in denselben Zug steigen und zu derselben Stunde mit ihm das Ziel erreichen sollte, so werden große und kleine Politiker nicht so bald den Gedanken verwinden können, daß ein so einfacher Weg zur Verständigung zwischen Regierung und Nation geschaffen werden soll, welcher den ganzen Apparat staatsmännischer Aktionen und Machinationen vor und hinter den Koulissen bis auf einen be¬ scheidenen Rest überflüssig machen würde." Man müßte Schulmeister sein, um der Entdeckung des Verfassers so un¬ gemein hohen Wert beilegen zu können, wie es hier geschieht. Indeß ist, was er vorschlägt, ohne Zweifel des Überlegens und Beherzigens wert, und dazu möchten wir angeregt haben. Noch besser würde uns die Schrift behagen, wenn sie sich mehr mit der Art und Weise der Ausführung des Planes als mit der Not¬ wendigkeit der betreffenden Einrichtung beschäftigte. Die Notwendigkeit leuchtet uns ein, aber das Wie der Verwirklichung ist die Hauptsache, und darüber er¬ fahren wir in der Schrift allerdings auch mancherlei, aber nach unsrer Meinung bei weiten: nicht genug. Indeß sind wir dem Verfasser schon für die Anregung dankbar. Grenzbowi III. 1«82.!^

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Staats- und Universitätsbibliothek (SuUB) Bremen: Bereitstellung der Texttranskription.
Kay-Michael Würzner: Bearbeitung der digitalen Edition.

Weitere Informationen:

Verfahren der Texterfassung: OCR mit Nachkorrektur.

Bogensignaturen: gekennzeichnet;Druckfehler: ignoriert;fremdsprachliches Material: nicht gekennzeichnet;Geminations-/Abkürzungsstriche: wie Vorlage;Hervorhebungen (Antiqua, Sperrschrift, Kursive etc.): nicht ausgezeichnet;i/j in Fraktur: wie Vorlage;I/J in Fraktur: wie Vorlage;Kolumnentitel: gekennzeichnet;Kustoden: gekennzeichnet;langes s (ſ): als s transkribiert;Normalisierungen: stillschweigend;rundes r (&#xa75b;): als r/et transkribiert;Seitenumbrüche markiert: ja;Silbentrennung: wie Vorlage;u/v bzw. U/V: wie Vorlage;Vokale mit übergest. e: als ä/ö/ü transkribiert;Vollständigkeit: vollständig erfasst;Zeichensetzung: wie Vorlage;Zeilenumbrüche markiert: ja;

Nachkorrektur erfolgte automatisch.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341835_193340
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341835_193340/17
Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 41, 1882, Drittes Quartal, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341835_193340/17>, abgerufen am 22.07.2024.