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Die Grenzboten. Jg. 41, 1882, Drittes Quartal.

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Atmosphäre sich freuend, über ihre Kräfte hinaus in den luftleeren Raum sich
wage. Hätten sie doch beide bedacht, was Platon gleich allen, die wir Barchen
nennen dürfen, wohl wußte und lehrte, daß nämlich erst die Pflanzenspeise den
Menschen zum Menschen macht, daß sie allein unsrer Natur entspricht und sie
allein die Organe unsers Gehirns zu rechtem Denken, wie alle Organe unsers
Leibes zu rechter Arbeit fähig macht. Wem diese Einsicht lebendig geworden
ist, dem wird offenbar, daß die echte Wissenschaft, welche nichts andres ist als
die wahrhaftige Frömmigkeit, eine Frucht ist, die mir auf dem Baume der natur¬
gemäßen Lebensweise erwachsen kauu.

Wer hat dir das gelehrt, mein Sohn?

Diese schwere Krankheit, antwortete Ephraim, welche im Begriffe steht, mich
von dem Fluche zu befreien, der den Prometheus traf und mit ihm sein ganzes
Geschlecht, von dem Fluche, deu die Kirche Erbsünde nennt, ohne zu wissen, was
sie lehrt.

Erschöpft sank der Jüngling in die Kissen zurück, und der Vater, nach¬
denklich den Blick zu den wandernden Wolken gerichtet, wie er zu thun pflegte,
wem: er sann, störte seine Ruhe nicht.

(Schluß folgt.)




Literatur.
Metaphysisch", Essays von Nicolas Stärken, v. O., 1882.

Es ist immerhin eine That, die unsre Hochachtung verdient, wenn ein Manu,
der den größten Teil seines thätigen Lebens kaufmännischen Geschäften gewidmet
hat, als 70jähriger noch die Resultate seines philosophischen Nachdenkens als Ge¬
schenk für seiue Söhne drucken läßt. Berechtigt fühlt er sich dazu wohl besonders
deswegen, weil er sehr viel Mühe auf das Studium Kants verwendet hat. Nur
hat er nicht bedacht, daß man hierbei, wenn es an der nötigen Leitung und Vor¬
schule fehlt, fast notwendig in Irrtümer geraten muß.

Freilich so weit wie die meisten Tagesschriftsteller hat auch er es gebracht.
Er ist überzeugt, daß Knut sehr viel Irrtümer begangen habe und stark verbessert
werden müsse. Kant erkläre nnr die Erscheinung, nicht das Wesen der Dinge, und
dieses sei keineswegs unerkennbar, wie Kant meine, sondern könne recht gut als
der tiefere Grund der Erscheinung aus dieser erschlossen und einigermaßen 0vu
unserm Verstände erkannt und begriffen werden. Es ist das ungefähr derselbe
Standpunkt, den alle diejenigen Pseudophilvsophen einnehmen, denen das Kapitel
der Deduktion der reinen Verstaudesbegriffe, d. h. die transzendentale Logik über¬
haupt, bei Kant zu schwer gewesen ist, und die nun glauben, daß sie mit der tran¬
szendentalen Ästhetik nud der Dialektik den Sinn der Kritik der reinen Vernunft
erschöpft hätten. Im Grunde genommen hat mit diesem Standpunkt eine ver¬
zweifelte Ähnlichkeit sogar derjenige, den Helmholtz in seinen naturphilosophischen
Vorträgen vertritt, wenn er allein das Mathematische, das ganz abstrakt zu er-


Atmosphäre sich freuend, über ihre Kräfte hinaus in den luftleeren Raum sich
wage. Hätten sie doch beide bedacht, was Platon gleich allen, die wir Barchen
nennen dürfen, wohl wußte und lehrte, daß nämlich erst die Pflanzenspeise den
Menschen zum Menschen macht, daß sie allein unsrer Natur entspricht und sie
allein die Organe unsers Gehirns zu rechtem Denken, wie alle Organe unsers
Leibes zu rechter Arbeit fähig macht. Wem diese Einsicht lebendig geworden
ist, dem wird offenbar, daß die echte Wissenschaft, welche nichts andres ist als
die wahrhaftige Frömmigkeit, eine Frucht ist, die mir auf dem Baume der natur¬
gemäßen Lebensweise erwachsen kauu.

Wer hat dir das gelehrt, mein Sohn?

Diese schwere Krankheit, antwortete Ephraim, welche im Begriffe steht, mich
von dem Fluche zu befreien, der den Prometheus traf und mit ihm sein ganzes
Geschlecht, von dem Fluche, deu die Kirche Erbsünde nennt, ohne zu wissen, was
sie lehrt.

Erschöpft sank der Jüngling in die Kissen zurück, und der Vater, nach¬
denklich den Blick zu den wandernden Wolken gerichtet, wie er zu thun pflegte,
wem: er sann, störte seine Ruhe nicht.

(Schluß folgt.)




Literatur.
Metaphysisch», Essays von Nicolas Stärken, v. O., 1882.

Es ist immerhin eine That, die unsre Hochachtung verdient, wenn ein Manu,
der den größten Teil seines thätigen Lebens kaufmännischen Geschäften gewidmet
hat, als 70jähriger noch die Resultate seines philosophischen Nachdenkens als Ge¬
schenk für seiue Söhne drucken läßt. Berechtigt fühlt er sich dazu wohl besonders
deswegen, weil er sehr viel Mühe auf das Studium Kants verwendet hat. Nur
hat er nicht bedacht, daß man hierbei, wenn es an der nötigen Leitung und Vor¬
schule fehlt, fast notwendig in Irrtümer geraten muß.

Freilich so weit wie die meisten Tagesschriftsteller hat auch er es gebracht.
Er ist überzeugt, daß Knut sehr viel Irrtümer begangen habe und stark verbessert
werden müsse. Kant erkläre nnr die Erscheinung, nicht das Wesen der Dinge, und
dieses sei keineswegs unerkennbar, wie Kant meine, sondern könne recht gut als
der tiefere Grund der Erscheinung aus dieser erschlossen und einigermaßen 0vu
unserm Verstände erkannt und begriffen werden. Es ist das ungefähr derselbe
Standpunkt, den alle diejenigen Pseudophilvsophen einnehmen, denen das Kapitel
der Deduktion der reinen Verstaudesbegriffe, d. h. die transzendentale Logik über¬
haupt, bei Kant zu schwer gewesen ist, und die nun glauben, daß sie mit der tran¬
szendentalen Ästhetik nud der Dialektik den Sinn der Kritik der reinen Vernunft
erschöpft hätten. Im Grunde genommen hat mit diesem Standpunkt eine ver¬
zweifelte Ähnlichkeit sogar derjenige, den Helmholtz in seinen naturphilosophischen
Vorträgen vertritt, wenn er allein das Mathematische, das ganz abstrakt zu er-


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 41, 1882, Drittes Quartal, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341835_193340/149>, abgerufen am 29.06.2024.