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Die Grenzboten. Jg. 41, 1882, Drittes Quartal.

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Nochmals die Volksfeste.

Hofers spätere Romane und Geschichten legen eine ernste Betrachtung nahe
genng. Die deutsche erzählende Literatur hat in den dreißiger und vierziger
Jahren schwer unter hohler Geistreichigkeit und Tendeuzreitcrei gelitten, und der
kleinste Belletrist erachtete sich zu jener Zeit für berufen, eine absonderliche Welt¬
anschauung zu Produziren. Die mangelnde Gestaltungskraft sollte hinter den
Grimassen der Originalität und hinter Phrasen verschwinden. Gegenüber dieser
prätentiösen Impotenz war freilich der schlichteste Realismus, der auch nur das
kleinste Stück Leben mit Treue und Wärme darzustellen wußte, ein außerordent¬
licher Fortschritt. Daß es gleichwohl ein neuer Irrtum ist, beschränkten, wenn
noch so trefflichen Lcbenseindrücken eine unbeschränkte poetische Ausdehnungs¬
und Verwendungskraft zuzutrauen, daß es der Realismus allein nicht thut, sollte
angesichts eines Vergleichs zwischen den Novellen in "Bewegtes Leben" und
den letzten Gaben Hofers auch dem Befangensten klar sein.




Nochmals die Volksfeste.

Zu den im 22. und im 27. Hefte der Grenzboten veröffentlichten Beispielen
von Störung und Zerstörung ehemaliger Volksfeste geht uns noch folgende
ähnliche Mitteilung aus Baiern zu.*)

In Dürkheim um der Haardt, einem etwa 5000 Seelen zählenden Städtchen
der bairischen Pfalz, bestand in meiner Jugendzeit noch ein Volksfest, auf welches
Alt und Jung sich stets freute. Am zweiten Pfingsttnge nämlich hatten alle Pferde¬
knechte des Städtchens die Erlaubnis, mit den von ihnen gepflegten Pferden
zwischen 2 und 3 Uhr früh in das gegen die Rheinebene hin sich erstreckende Bruch
(Moor) zu reiten, dort die Pferde etliche Zeit zu weiden, um dann gegen 5 Uhr
in einer in der Nähe befindlichen Mühle einzukehren. Dort wurden sie dem
Herkommen gemäß mit Wein und Käse (sogenanntem Handküse, welcher in jener
Gegend in jedem Bauernhause bereitet wird) bewirtet. Um 7 Uhr ritten sie
wieder weg, damit sie um 3 Uhr in Dürkheim einziehen konnten. Einer der
Burschen war zum "Käsekönig" erwählt und ritt mit zwei Adjutanten voraus,
eine Art Lanze in der Hand, deren Spitze mit Bändern verziert war.



J> Red.
Wir bringen mich diesen Beitrag gern noch zum Abdruck, brechen aber nun damit
den Gegenstand ub. Es kam uns nur darauf an, die Sache anzuregen. Daß es auch ander¬
wärts an Beispielen nicht fehlen würde, davou wnreu wir von vornherein überzeugt.
Grenzboten III. 1882. 17
Nochmals die Volksfeste.

Hofers spätere Romane und Geschichten legen eine ernste Betrachtung nahe
genng. Die deutsche erzählende Literatur hat in den dreißiger und vierziger
Jahren schwer unter hohler Geistreichigkeit und Tendeuzreitcrei gelitten, und der
kleinste Belletrist erachtete sich zu jener Zeit für berufen, eine absonderliche Welt¬
anschauung zu Produziren. Die mangelnde Gestaltungskraft sollte hinter den
Grimassen der Originalität und hinter Phrasen verschwinden. Gegenüber dieser
prätentiösen Impotenz war freilich der schlichteste Realismus, der auch nur das
kleinste Stück Leben mit Treue und Wärme darzustellen wußte, ein außerordent¬
licher Fortschritt. Daß es gleichwohl ein neuer Irrtum ist, beschränkten, wenn
noch so trefflichen Lcbenseindrücken eine unbeschränkte poetische Ausdehnungs¬
und Verwendungskraft zuzutrauen, daß es der Realismus allein nicht thut, sollte
angesichts eines Vergleichs zwischen den Novellen in „Bewegtes Leben" und
den letzten Gaben Hofers auch dem Befangensten klar sein.




Nochmals die Volksfeste.

Zu den im 22. und im 27. Hefte der Grenzboten veröffentlichten Beispielen
von Störung und Zerstörung ehemaliger Volksfeste geht uns noch folgende
ähnliche Mitteilung aus Baiern zu.*)

In Dürkheim um der Haardt, einem etwa 5000 Seelen zählenden Städtchen
der bairischen Pfalz, bestand in meiner Jugendzeit noch ein Volksfest, auf welches
Alt und Jung sich stets freute. Am zweiten Pfingsttnge nämlich hatten alle Pferde¬
knechte des Städtchens die Erlaubnis, mit den von ihnen gepflegten Pferden
zwischen 2 und 3 Uhr früh in das gegen die Rheinebene hin sich erstreckende Bruch
(Moor) zu reiten, dort die Pferde etliche Zeit zu weiden, um dann gegen 5 Uhr
in einer in der Nähe befindlichen Mühle einzukehren. Dort wurden sie dem
Herkommen gemäß mit Wein und Käse (sogenanntem Handküse, welcher in jener
Gegend in jedem Bauernhause bereitet wird) bewirtet. Um 7 Uhr ritten sie
wieder weg, damit sie um 3 Uhr in Dürkheim einziehen konnten. Einer der
Burschen war zum „Käsekönig" erwählt und ritt mit zwei Adjutanten voraus,
eine Art Lanze in der Hand, deren Spitze mit Bändern verziert war.



J> Red.
Wir bringen mich diesen Beitrag gern noch zum Abdruck, brechen aber nun damit
den Gegenstand ub. Es kam uns nur darauf an, die Sache anzuregen. Daß es auch ander¬
wärts an Beispielen nicht fehlen würde, davou wnreu wir von vornherein überzeugt.
Grenzboten III. 1882. 17
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[0137] Nochmals die Volksfeste. Hofers spätere Romane und Geschichten legen eine ernste Betrachtung nahe genng. Die deutsche erzählende Literatur hat in den dreißiger und vierziger Jahren schwer unter hohler Geistreichigkeit und Tendeuzreitcrei gelitten, und der kleinste Belletrist erachtete sich zu jener Zeit für berufen, eine absonderliche Welt¬ anschauung zu Produziren. Die mangelnde Gestaltungskraft sollte hinter den Grimassen der Originalität und hinter Phrasen verschwinden. Gegenüber dieser prätentiösen Impotenz war freilich der schlichteste Realismus, der auch nur das kleinste Stück Leben mit Treue und Wärme darzustellen wußte, ein außerordent¬ licher Fortschritt. Daß es gleichwohl ein neuer Irrtum ist, beschränkten, wenn noch so trefflichen Lcbenseindrücken eine unbeschränkte poetische Ausdehnungs¬ und Verwendungskraft zuzutrauen, daß es der Realismus allein nicht thut, sollte angesichts eines Vergleichs zwischen den Novellen in „Bewegtes Leben" und den letzten Gaben Hofers auch dem Befangensten klar sein. Nochmals die Volksfeste. Zu den im 22. und im 27. Hefte der Grenzboten veröffentlichten Beispielen von Störung und Zerstörung ehemaliger Volksfeste geht uns noch folgende ähnliche Mitteilung aus Baiern zu.*) In Dürkheim um der Haardt, einem etwa 5000 Seelen zählenden Städtchen der bairischen Pfalz, bestand in meiner Jugendzeit noch ein Volksfest, auf welches Alt und Jung sich stets freute. Am zweiten Pfingsttnge nämlich hatten alle Pferde¬ knechte des Städtchens die Erlaubnis, mit den von ihnen gepflegten Pferden zwischen 2 und 3 Uhr früh in das gegen die Rheinebene hin sich erstreckende Bruch (Moor) zu reiten, dort die Pferde etliche Zeit zu weiden, um dann gegen 5 Uhr in einer in der Nähe befindlichen Mühle einzukehren. Dort wurden sie dem Herkommen gemäß mit Wein und Käse (sogenanntem Handküse, welcher in jener Gegend in jedem Bauernhause bereitet wird) bewirtet. Um 7 Uhr ritten sie wieder weg, damit sie um 3 Uhr in Dürkheim einziehen konnten. Einer der Burschen war zum „Käsekönig" erwählt und ritt mit zwei Adjutanten voraus, eine Art Lanze in der Hand, deren Spitze mit Bändern verziert war. J> Red. Wir bringen mich diesen Beitrag gern noch zum Abdruck, brechen aber nun damit den Gegenstand ub. Es kam uns nur darauf an, die Sache anzuregen. Daß es auch ander¬ wärts an Beispielen nicht fehlen würde, davou wnreu wir von vornherein überzeugt. Grenzboten III. 1882. 17

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 41, 1882, Drittes Quartal, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341835_193340/137>, abgerufen am 29.06.2024.