Zur Vildungs- und Machtfrage des deutschen Volkes. von Lonrad Hermann,
ete Bildungsfrage ist zugleich auch eine Machtfrage im Leben. Der Gebildete ist als solcher unbedingt mächtiger als der Unge¬ bildete. Unsre gegenwärtige Machtstellung hat eine bestimmte historisch erworbene Bildung zu ihrer Voraussetzung gehabt. Es ist aber nicht überall und unbedingt auch die äußere Macht die Folge und Begleiten" der innern Bildung gewesen. Auch die Bildung der alten Culturvölker mußte zuletzt der einbrechenden Gewalt roher Barbarenhorden erliegen. Es liegt in jeder übertriebnen Geistesbildung auch eine gewisse Gefahr der Verweichlichung, Entnervung und Erschlaffung enthalten. Wir können uns wohl fragen, ob nicht auch diese Gefahr schon in gewissen Symptome" bei uns hervorgetreten sei. Wahre Bildung besteht zunächst in möglichst vollkommner und gewissenhafter Selbsterkenntnis;. Das bisher erreichte darf uns nicht ver¬ blenden über die noch bevorstehenden weitern Schwierigkeiten, Aufgaben und Probleme unsrer allgemeinen nationalen Lage. Das lange ersehnte und erstrebte einheitliche deutsche Reich und Kaiserthum ist da; wir haben unsre alte und richtige geographische Grenze gegen Frankreich wiedergewonnen; dieses alles aber darf uns nicht verblenden über die äußern nud die innern Gefahren, in deren Mitte wir uns noch fortwährend befinden.
Wir sind erst auf einem weitern Umweg zu unsern wahren nationalen Zielen gelangt, als dies bei der Mehrzahl aller andern Völker der Fall gewesen ist. Es ist deswegen auch.falsch, an uns und an unsre Verhältnisse die gleichen Maßstäbe anzulegen, welche sonst als giltig für die Beurtheilung der Verhält¬ nisse der Völker angesehen zu werden Pflegen. Sowohl England wie Frankreich befinden sich in einer ganz andern Lage als wir; dort sind die allgemeinen nationalen Ziele weit früher und schneller erreicht worden als bei uns. Die Zeit ist jetzt glücklich vorbei, wo wir in diesen beiden Ländern das Vorbild nud den Maßstab für alle Wahrheit der Cultur und alle Weisheit des politischen Lebens zu erblicken vermeinten. Zu vollkommner Klarheit über uus selbst aber sind wir auch jetzt wohl noch nicht gelangt. Jene andern Völker sind im all¬ gemeinen einfach dasjenige, was sie sind, oder sie haben einen bestimmten ab- geschlvssnen und feststehenden Typus ihrer ganzen nationalen Lebcnsvollkvmmen- heit erreicht. Bei uns aber ist unverkennbar des Unfertigen in aller nationalen Cultur und Politik noch allzuviel, oder es bewegt sich alles noch uicht in so bestimmten und feststehenden Gleisen und Formen wie dort. Wir sind über die allgemeinen Grundlagen unsers nationalen Lebens immer noch zum Theil
Zur Vildungs- und Machtfrage des deutschen Volkes. von Lonrad Hermann,
ete Bildungsfrage ist zugleich auch eine Machtfrage im Leben. Der Gebildete ist als solcher unbedingt mächtiger als der Unge¬ bildete. Unsre gegenwärtige Machtstellung hat eine bestimmte historisch erworbene Bildung zu ihrer Voraussetzung gehabt. Es ist aber nicht überall und unbedingt auch die äußere Macht die Folge und Begleiten» der innern Bildung gewesen. Auch die Bildung der alten Culturvölker mußte zuletzt der einbrechenden Gewalt roher Barbarenhorden erliegen. Es liegt in jeder übertriebnen Geistesbildung auch eine gewisse Gefahr der Verweichlichung, Entnervung und Erschlaffung enthalten. Wir können uns wohl fragen, ob nicht auch diese Gefahr schon in gewissen Symptome« bei uns hervorgetreten sei. Wahre Bildung besteht zunächst in möglichst vollkommner und gewissenhafter Selbsterkenntnis;. Das bisher erreichte darf uns nicht ver¬ blenden über die noch bevorstehenden weitern Schwierigkeiten, Aufgaben und Probleme unsrer allgemeinen nationalen Lage. Das lange ersehnte und erstrebte einheitliche deutsche Reich und Kaiserthum ist da; wir haben unsre alte und richtige geographische Grenze gegen Frankreich wiedergewonnen; dieses alles aber darf uns nicht verblenden über die äußern nud die innern Gefahren, in deren Mitte wir uns noch fortwährend befinden.
Wir sind erst auf einem weitern Umweg zu unsern wahren nationalen Zielen gelangt, als dies bei der Mehrzahl aller andern Völker der Fall gewesen ist. Es ist deswegen auch.falsch, an uns und an unsre Verhältnisse die gleichen Maßstäbe anzulegen, welche sonst als giltig für die Beurtheilung der Verhält¬ nisse der Völker angesehen zu werden Pflegen. Sowohl England wie Frankreich befinden sich in einer ganz andern Lage als wir; dort sind die allgemeinen nationalen Ziele weit früher und schneller erreicht worden als bei uns. Die Zeit ist jetzt glücklich vorbei, wo wir in diesen beiden Ländern das Vorbild nud den Maßstab für alle Wahrheit der Cultur und alle Weisheit des politischen Lebens zu erblicken vermeinten. Zu vollkommner Klarheit über uus selbst aber sind wir auch jetzt wohl noch nicht gelangt. Jene andern Völker sind im all¬ gemeinen einfach dasjenige, was sie sind, oder sie haben einen bestimmten ab- geschlvssnen und feststehenden Typus ihrer ganzen nationalen Lebcnsvollkvmmen- heit erreicht. Bei uns aber ist unverkennbar des Unfertigen in aller nationalen Cultur und Politik noch allzuviel, oder es bewegt sich alles noch uicht in so bestimmten und feststehenden Gleisen und Formen wie dort. Wir sind über die allgemeinen Grundlagen unsers nationalen Lebens immer noch zum Theil
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Zur Vildungs- und Machtfrage des deutschen Volkes.
von Lonrad Hermann,
ete Bildungsfrage ist zugleich auch eine Machtfrage im Leben.
Der Gebildete ist als solcher unbedingt mächtiger als der Unge¬
bildete. Unsre gegenwärtige Machtstellung hat eine bestimmte
historisch erworbene Bildung zu ihrer Voraussetzung gehabt. Es
ist aber nicht überall und unbedingt auch die äußere Macht die
Folge und Begleiten» der innern Bildung gewesen. Auch die Bildung der
alten Culturvölker mußte zuletzt der einbrechenden Gewalt roher Barbarenhorden
erliegen. Es liegt in jeder übertriebnen Geistesbildung auch eine gewisse Gefahr
der Verweichlichung, Entnervung und Erschlaffung enthalten. Wir können uns
wohl fragen, ob nicht auch diese Gefahr schon in gewissen Symptome« bei uns
hervorgetreten sei. Wahre Bildung besteht zunächst in möglichst vollkommner
und gewissenhafter Selbsterkenntnis;. Das bisher erreichte darf uns nicht ver¬
blenden über die noch bevorstehenden weitern Schwierigkeiten, Aufgaben und
Probleme unsrer allgemeinen nationalen Lage. Das lange ersehnte und erstrebte
einheitliche deutsche Reich und Kaiserthum ist da; wir haben unsre alte und
richtige geographische Grenze gegen Frankreich wiedergewonnen; dieses alles aber
darf uns nicht verblenden über die äußern nud die innern Gefahren, in deren
Mitte wir uns noch fortwährend befinden.
Wir sind erst auf einem weitern Umweg zu unsern wahren nationalen
Zielen gelangt, als dies bei der Mehrzahl aller andern Völker der Fall gewesen
ist. Es ist deswegen auch.falsch, an uns und an unsre Verhältnisse die gleichen
Maßstäbe anzulegen, welche sonst als giltig für die Beurtheilung der Verhält¬
nisse der Völker angesehen zu werden Pflegen. Sowohl England wie Frankreich
befinden sich in einer ganz andern Lage als wir; dort sind die allgemeinen
nationalen Ziele weit früher und schneller erreicht worden als bei uns. Die
Zeit ist jetzt glücklich vorbei, wo wir in diesen beiden Ländern das Vorbild nud
den Maßstab für alle Wahrheit der Cultur und alle Weisheit des politischen
Lebens zu erblicken vermeinten. Zu vollkommner Klarheit über uus selbst aber
sind wir auch jetzt wohl noch nicht gelangt. Jene andern Völker sind im all¬
gemeinen einfach dasjenige, was sie sind, oder sie haben einen bestimmten ab-
geschlvssnen und feststehenden Typus ihrer ganzen nationalen Lebcnsvollkvmmen-
heit erreicht. Bei uns aber ist unverkennbar des Unfertigen in aller nationalen
Cultur und Politik noch allzuviel, oder es bewegt sich alles noch uicht in so
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Die Grenzboten. Jg. 40, 1881, Drittes Quartal, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341833_157968/18>, abgerufen am 03.03.2025.
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