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Die Grenzboten. Jg. 40, 1881, Zweites Quartal.

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Paul Heyse. 4. (Schluss

er Erzähler Pciul Hesse ist ohne Zweifel einer der populärsten
Schriftsteller der Gegenwart -- populär in jenem vornehmsten
Sinne, daß seine erzählenden Dichtungen in den cxelusivsteu Kreisen
der Gesellschaft gelesen werden und ihre Wirkung andrerseits so
weit hinabreicht, so weit, uach deu Bildungsvoraussetzungen, ein
Verständniß für das pshchologische Moment der Dichtung und für die künst¬
lerisch verklärte Realität in besondern Lebenserscheinungen nud Vorgängen vor¬
handen sein kann. Schwerlich darf der Dichter bei dem ganzen großen Publicum
seiner "Novellen" darauf rechnen, überall seine Intentionen erfaßt, seine Empfin-
dungen getheilt zu sehen. Dennoch enthält beinahe jede seiner Novellen einen
Vorgang, einen Charakter, einen geheimsten, schwer dcsinirbaren Reiz, welcher
das große Publicum fesselt und interessirt. Ganz gewiß hat daran die Er-
findung einen so starken, ja stärkern Antheil als die Kunst und Feinheit des
Bvrtrags, der Hauch und Duft der Stimmung in und über diesen Gebilden,
Andernfalls wäre schwer erklärbar, daß ein guter Theil der aufrichtigen Be¬
wundrer unsres Novellisten neben seinen besten Novellen mit den rohesten äußer¬
lichsten Darbietungen so vieler andern vorlieb nehmen kann. Indeß legt der.
Dichter auch ans diese naiven Leser Werth, denn ganz ausdrücklich hat er betont,
daß der Novelle eine starke Silhouette nicht fehlen dürfe, ganz ausdrücklich be¬
gehrt, daß deren Grundmotiv etwas Eigenartiges, Specifisches schon in der ersten
Anlage verrathe. Es kann ihn also nie verletzen, wenn eine Gruppe seiner Leser
ans die Geschichte als solche und unbekümmert um ihren poetischen Gehalt den
höchsten Werth legt, und er würde darin vielleicht nur eine Bestätigung seines
Princips finden, daß auch der innerlichste und reichhaltigste Stoff zunächst darauf
geprüft werden müsse, ob er "ein Specifisches habe, das diese Geschichte von
tausend andern unterscheidet," Die große Mehrzahl derer, welche die Novellen
des Dichters genießen und bewundern, wenn sie auch nicht gerade mit dem Literar¬
historiker Brandes die Novelle "Der letzte Centaur" und die poetische Erzählung
in Terzinen "Der Salamander" für die besten Productionen Heyses auf epischem
Gebiet erachten, werden doch aus die Originalität, die Grazie seiner Darstellung,
auf die seltne Rundung nud die glücklichen Proportionen seiner vorzüglichsten
Erzählungen so gut ein Gewicht legen, als ans die Fülle echten Lebens, rührenden
und ergreifende!? Menschenschicksals, das in der langen Reihe dieser in zwölf
Bänden gesammelten Novellen enthalten ist. Ja wir dürfen sogleich einen Schritt
weiter gehen und geradezu aussprechen, daß dem Dichter aus der Betonung des


Paul Heyse. 4. (Schluss

er Erzähler Pciul Hesse ist ohne Zweifel einer der populärsten
Schriftsteller der Gegenwart — populär in jenem vornehmsten
Sinne, daß seine erzählenden Dichtungen in den cxelusivsteu Kreisen
der Gesellschaft gelesen werden und ihre Wirkung andrerseits so
weit hinabreicht, so weit, uach deu Bildungsvoraussetzungen, ein
Verständniß für das pshchologische Moment der Dichtung und für die künst¬
lerisch verklärte Realität in besondern Lebenserscheinungen nud Vorgängen vor¬
handen sein kann. Schwerlich darf der Dichter bei dem ganzen großen Publicum
seiner „Novellen" darauf rechnen, überall seine Intentionen erfaßt, seine Empfin-
dungen getheilt zu sehen. Dennoch enthält beinahe jede seiner Novellen einen
Vorgang, einen Charakter, einen geheimsten, schwer dcsinirbaren Reiz, welcher
das große Publicum fesselt und interessirt. Ganz gewiß hat daran die Er-
findung einen so starken, ja stärkern Antheil als die Kunst und Feinheit des
Bvrtrags, der Hauch und Duft der Stimmung in und über diesen Gebilden,
Andernfalls wäre schwer erklärbar, daß ein guter Theil der aufrichtigen Be¬
wundrer unsres Novellisten neben seinen besten Novellen mit den rohesten äußer¬
lichsten Darbietungen so vieler andern vorlieb nehmen kann. Indeß legt der.
Dichter auch ans diese naiven Leser Werth, denn ganz ausdrücklich hat er betont,
daß der Novelle eine starke Silhouette nicht fehlen dürfe, ganz ausdrücklich be¬
gehrt, daß deren Grundmotiv etwas Eigenartiges, Specifisches schon in der ersten
Anlage verrathe. Es kann ihn also nie verletzen, wenn eine Gruppe seiner Leser
ans die Geschichte als solche und unbekümmert um ihren poetischen Gehalt den
höchsten Werth legt, und er würde darin vielleicht nur eine Bestätigung seines
Princips finden, daß auch der innerlichste und reichhaltigste Stoff zunächst darauf
geprüft werden müsse, ob er „ein Specifisches habe, das diese Geschichte von
tausend andern unterscheidet," Die große Mehrzahl derer, welche die Novellen
des Dichters genießen und bewundern, wenn sie auch nicht gerade mit dem Literar¬
historiker Brandes die Novelle „Der letzte Centaur" und die poetische Erzählung
in Terzinen „Der Salamander" für die besten Productionen Heyses auf epischem
Gebiet erachten, werden doch aus die Originalität, die Grazie seiner Darstellung,
auf die seltne Rundung nud die glücklichen Proportionen seiner vorzüglichsten
Erzählungen so gut ein Gewicht legen, als ans die Fülle echten Lebens, rührenden
und ergreifende!? Menschenschicksals, das in der langen Reihe dieser in zwölf
Bänden gesammelten Novellen enthalten ist. Ja wir dürfen sogleich einen Schritt
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[0554] Paul Heyse. 4. (Schluss er Erzähler Pciul Hesse ist ohne Zweifel einer der populärsten Schriftsteller der Gegenwart — populär in jenem vornehmsten Sinne, daß seine erzählenden Dichtungen in den cxelusivsteu Kreisen der Gesellschaft gelesen werden und ihre Wirkung andrerseits so weit hinabreicht, so weit, uach deu Bildungsvoraussetzungen, ein Verständniß für das pshchologische Moment der Dichtung und für die künst¬ lerisch verklärte Realität in besondern Lebenserscheinungen nud Vorgängen vor¬ handen sein kann. Schwerlich darf der Dichter bei dem ganzen großen Publicum seiner „Novellen" darauf rechnen, überall seine Intentionen erfaßt, seine Empfin- dungen getheilt zu sehen. Dennoch enthält beinahe jede seiner Novellen einen Vorgang, einen Charakter, einen geheimsten, schwer dcsinirbaren Reiz, welcher das große Publicum fesselt und interessirt. Ganz gewiß hat daran die Er- findung einen so starken, ja stärkern Antheil als die Kunst und Feinheit des Bvrtrags, der Hauch und Duft der Stimmung in und über diesen Gebilden, Andernfalls wäre schwer erklärbar, daß ein guter Theil der aufrichtigen Be¬ wundrer unsres Novellisten neben seinen besten Novellen mit den rohesten äußer¬ lichsten Darbietungen so vieler andern vorlieb nehmen kann. Indeß legt der. Dichter auch ans diese naiven Leser Werth, denn ganz ausdrücklich hat er betont, daß der Novelle eine starke Silhouette nicht fehlen dürfe, ganz ausdrücklich be¬ gehrt, daß deren Grundmotiv etwas Eigenartiges, Specifisches schon in der ersten Anlage verrathe. Es kann ihn also nie verletzen, wenn eine Gruppe seiner Leser ans die Geschichte als solche und unbekümmert um ihren poetischen Gehalt den höchsten Werth legt, und er würde darin vielleicht nur eine Bestätigung seines Princips finden, daß auch der innerlichste und reichhaltigste Stoff zunächst darauf geprüft werden müsse, ob er „ein Specifisches habe, das diese Geschichte von tausend andern unterscheidet," Die große Mehrzahl derer, welche die Novellen des Dichters genießen und bewundern, wenn sie auch nicht gerade mit dem Literar¬ historiker Brandes die Novelle „Der letzte Centaur" und die poetische Erzählung in Terzinen „Der Salamander" für die besten Productionen Heyses auf epischem Gebiet erachten, werden doch aus die Originalität, die Grazie seiner Darstellung, auf die seltne Rundung nud die glücklichen Proportionen seiner vorzüglichsten Erzählungen so gut ein Gewicht legen, als ans die Fülle echten Lebens, rührenden und ergreifende!? Menschenschicksals, das in der langen Reihe dieser in zwölf Bänden gesammelten Novellen enthalten ist. Ja wir dürfen sogleich einen Schritt weiter gehen und geradezu aussprechen, daß dem Dichter aus der Betonung des

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 40, 1881, Zweites Quartal, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341833_157699/554>, abgerufen am 22.07.2024.