Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Die Grenzboten. Jg. 40, 1881, Zweites Quartal.

Bild:
<< vorherige Seite
Paul Heyse.

specifisch novellistischen Moments, eines Factums, das so, in diesem Zusammen¬
hang, mit dieser Wirkung nur ein einzigesmal existirt, eine leicht erkennbare
Gefahr erwachsen ist, Heyse ist auf diesem Wege zu einer kleinen Anzahl von
Novellen gelangt, die als bedenklich abenteuerlich, psychologisch rnffinirt und ge¬
legentlich gespenstig spukhaft gelten müssen,

Soll daraus nun gefolgert werden, daß das Princip des Dichters zu ver¬
werfen sei? Höchstens ließe sich doch fordern, daß er auch das Specifische wiederum
einer Prüfung auf seineu allgemein poetischen Werth, seine poetische Gesundheit
unterwerfe. Und welch ein Raffinement, welch ein Uebergewicht der Reflexion
in der Natur eiues Schaffenden würde mit dieser Forderung vorausgesetzt! Es
ist einer der entscheidenden Beweise für die Isolirung, in welcher der wahrhafte
Dichter sich in der Gegenwart befindet, daß das Gefühl für das poetische Muß,
für die Macht der poetischen Phantasie, für den eigensten Reiz, welcher den
Dichter lockt, einem Wege nachzugehen, an dessen Ende ein besondres Licht glänzt,
so gut wie verloren gegangen ist. Man sagt wohl, der kleinen, der flüchtigen Pro-
duction liege jenes dämonische Muß, jene höchste zwingende Gewalt, die den
Schaffenden auf Tod und Leben in Erfassung großer Probleme, in die Aus¬
führung großer Kunstwerke hineintreibe, nicht zu Grunde. Wer hat denn das
künstlerische Muß so genau gemessen und gewogen, daß er hier mehr als ein
instinctiveS, ein willkürliches Urtheil abgeben könnte? Im Verhältniß zum Um¬
fang und zur Tiefe der Production mag das Muß für die kleinste Novelle so
stark und so vollberechtigt sein wie das, welches die schaffende Kraft zum großen
Drama, zum Epos oder Roman treibt, ja während für die großen Formen die
Mitwirkung der Reflexion (wohlgemerkt der künstlerischen Reflexion!) gar nicht
zu entbehren ist, kann für die kleinere Erzählung die gleiche Unmittelbarkeit, die
gleiche Spontaneität des ersten Eindrucks, der zeugenden Stimmung gedacht
werde", wie für das lyrische Gedicht. Mit alledem soll das Recht der Kritik,
jede poetische Schöpfung nach bestem Wissen zu beurtheile", nicht verkümmert,
es soll nur wieder einmal festgestellt werden, daß nicht jede künstlerische Unzu¬
länglichkeit oder Irrung, welche die Kritik erkennt, ohne wcitres eine Verant¬
wortlichkeit für den Dichter in sich schließt. Die frische Zuversicht des Schaffenden,
den Stoff, der ihn ergriffen hat, frisch zu gestalte", bleibt die Grundlage aller
Poesie, und bei einer im innersten Ker" edeln und wahrhaften Natur ist wenig
Gefahr, daß der Irrungen zu viele werden. Es gilt eben Goethes Wort, daß
alles, was das Genie als Genie thue, unbewußt geschehe. "Kein Werk des Genies
kann durch Reflexion und ihre nächsten Folgen verbessert, von seine" Fehlern
befreit werden; aber das Genie kann sich durch Reflexion und That nach und
nach dergestalt hinaufsehen, daß es endlich musterhafte Werke hervorbringt."
Fügen wir hinzu: kein Talent ist sicher, daß es nicht gelegentlich von einer un¬
erquicklichen Stimmung beherrscht, von einem unergiebigen Lebensvorgänge oder
einem ungesunden Problem angezogen werde. Aber das Talent ist andrerseits


Paul Heyse.

specifisch novellistischen Moments, eines Factums, das so, in diesem Zusammen¬
hang, mit dieser Wirkung nur ein einzigesmal existirt, eine leicht erkennbare
Gefahr erwachsen ist, Heyse ist auf diesem Wege zu einer kleinen Anzahl von
Novellen gelangt, die als bedenklich abenteuerlich, psychologisch rnffinirt und ge¬
legentlich gespenstig spukhaft gelten müssen,

Soll daraus nun gefolgert werden, daß das Princip des Dichters zu ver¬
werfen sei? Höchstens ließe sich doch fordern, daß er auch das Specifische wiederum
einer Prüfung auf seineu allgemein poetischen Werth, seine poetische Gesundheit
unterwerfe. Und welch ein Raffinement, welch ein Uebergewicht der Reflexion
in der Natur eiues Schaffenden würde mit dieser Forderung vorausgesetzt! Es
ist einer der entscheidenden Beweise für die Isolirung, in welcher der wahrhafte
Dichter sich in der Gegenwart befindet, daß das Gefühl für das poetische Muß,
für die Macht der poetischen Phantasie, für den eigensten Reiz, welcher den
Dichter lockt, einem Wege nachzugehen, an dessen Ende ein besondres Licht glänzt,
so gut wie verloren gegangen ist. Man sagt wohl, der kleinen, der flüchtigen Pro-
duction liege jenes dämonische Muß, jene höchste zwingende Gewalt, die den
Schaffenden auf Tod und Leben in Erfassung großer Probleme, in die Aus¬
führung großer Kunstwerke hineintreibe, nicht zu Grunde. Wer hat denn das
künstlerische Muß so genau gemessen und gewogen, daß er hier mehr als ein
instinctiveS, ein willkürliches Urtheil abgeben könnte? Im Verhältniß zum Um¬
fang und zur Tiefe der Production mag das Muß für die kleinste Novelle so
stark und so vollberechtigt sein wie das, welches die schaffende Kraft zum großen
Drama, zum Epos oder Roman treibt, ja während für die großen Formen die
Mitwirkung der Reflexion (wohlgemerkt der künstlerischen Reflexion!) gar nicht
zu entbehren ist, kann für die kleinere Erzählung die gleiche Unmittelbarkeit, die
gleiche Spontaneität des ersten Eindrucks, der zeugenden Stimmung gedacht
werde», wie für das lyrische Gedicht. Mit alledem soll das Recht der Kritik,
jede poetische Schöpfung nach bestem Wissen zu beurtheile», nicht verkümmert,
es soll nur wieder einmal festgestellt werden, daß nicht jede künstlerische Unzu¬
länglichkeit oder Irrung, welche die Kritik erkennt, ohne wcitres eine Verant¬
wortlichkeit für den Dichter in sich schließt. Die frische Zuversicht des Schaffenden,
den Stoff, der ihn ergriffen hat, frisch zu gestalte», bleibt die Grundlage aller
Poesie, und bei einer im innersten Ker» edeln und wahrhaften Natur ist wenig
Gefahr, daß der Irrungen zu viele werden. Es gilt eben Goethes Wort, daß
alles, was das Genie als Genie thue, unbewußt geschehe. „Kein Werk des Genies
kann durch Reflexion und ihre nächsten Folgen verbessert, von seine» Fehlern
befreit werden; aber das Genie kann sich durch Reflexion und That nach und
nach dergestalt hinaufsehen, daß es endlich musterhafte Werke hervorbringt."
Fügen wir hinzu: kein Talent ist sicher, daß es nicht gelegentlich von einer un¬
erquicklichen Stimmung beherrscht, von einem unergiebigen Lebensvorgänge oder
einem ungesunden Problem angezogen werde. Aber das Talent ist andrerseits


<TEI>
  <text>
    <body>
      <div>
        <div n="1">
          <pb facs="#f0555" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/150127"/>
          <fw type="header" place="top"> Paul Heyse.</fw><lb/>
          <p xml:id="ID_1819" prev="#ID_1818"> specifisch novellistischen Moments, eines Factums, das so, in diesem Zusammen¬<lb/>
hang, mit dieser Wirkung nur ein einzigesmal existirt, eine leicht erkennbare<lb/>
Gefahr erwachsen ist, Heyse ist auf diesem Wege zu einer kleinen Anzahl von<lb/>
Novellen gelangt, die als bedenklich abenteuerlich, psychologisch rnffinirt und ge¬<lb/>
legentlich gespenstig spukhaft gelten müssen,</p><lb/>
          <p xml:id="ID_1820" next="#ID_1821"> Soll daraus nun gefolgert werden, daß das Princip des Dichters zu ver¬<lb/>
werfen sei? Höchstens ließe sich doch fordern, daß er auch das Specifische wiederum<lb/>
einer Prüfung auf seineu allgemein poetischen Werth, seine poetische Gesundheit<lb/>
unterwerfe. Und welch ein Raffinement, welch ein Uebergewicht der Reflexion<lb/>
in der Natur eiues Schaffenden würde mit dieser Forderung vorausgesetzt! Es<lb/>
ist einer der entscheidenden Beweise für die Isolirung, in welcher der wahrhafte<lb/>
Dichter sich in der Gegenwart befindet, daß das Gefühl für das poetische Muß,<lb/>
für die Macht der poetischen Phantasie, für den eigensten Reiz, welcher den<lb/>
Dichter lockt, einem Wege nachzugehen, an dessen Ende ein besondres Licht glänzt,<lb/>
so gut wie verloren gegangen ist. Man sagt wohl, der kleinen, der flüchtigen Pro-<lb/>
duction liege jenes dämonische Muß, jene höchste zwingende Gewalt, die den<lb/>
Schaffenden auf Tod und Leben in Erfassung großer Probleme, in die Aus¬<lb/>
führung großer Kunstwerke hineintreibe, nicht zu Grunde. Wer hat denn das<lb/>
künstlerische Muß so genau gemessen und gewogen, daß er hier mehr als ein<lb/>
instinctiveS, ein willkürliches Urtheil abgeben könnte? Im Verhältniß zum Um¬<lb/>
fang und zur Tiefe der Production mag das Muß für die kleinste Novelle so<lb/>
stark und so vollberechtigt sein wie das, welches die schaffende Kraft zum großen<lb/>
Drama, zum Epos oder Roman treibt, ja während für die großen Formen die<lb/>
Mitwirkung der Reflexion (wohlgemerkt der künstlerischen Reflexion!) gar nicht<lb/>
zu entbehren ist, kann für die kleinere Erzählung die gleiche Unmittelbarkeit, die<lb/>
gleiche Spontaneität des ersten Eindrucks, der zeugenden Stimmung gedacht<lb/>
werde», wie für das lyrische Gedicht. Mit alledem soll das Recht der Kritik,<lb/>
jede poetische Schöpfung nach bestem Wissen zu beurtheile», nicht verkümmert,<lb/>
es soll nur wieder einmal festgestellt werden, daß nicht jede künstlerische Unzu¬<lb/>
länglichkeit oder Irrung, welche die Kritik erkennt, ohne wcitres eine Verant¬<lb/>
wortlichkeit für den Dichter in sich schließt. Die frische Zuversicht des Schaffenden,<lb/>
den Stoff, der ihn ergriffen hat, frisch zu gestalte», bleibt die Grundlage aller<lb/>
Poesie, und bei einer im innersten Ker» edeln und wahrhaften Natur ist wenig<lb/>
Gefahr, daß der Irrungen zu viele werden. Es gilt eben Goethes Wort, daß<lb/>
alles, was das Genie als Genie thue, unbewußt geschehe. &#x201E;Kein Werk des Genies<lb/>
kann durch Reflexion und ihre nächsten Folgen verbessert, von seine» Fehlern<lb/>
befreit werden; aber das Genie kann sich durch Reflexion und That nach und<lb/>
nach dergestalt hinaufsehen, daß es endlich musterhafte Werke hervorbringt."<lb/>
Fügen wir hinzu: kein Talent ist sicher, daß es nicht gelegentlich von einer un¬<lb/>
erquicklichen Stimmung beherrscht, von einem unergiebigen Lebensvorgänge oder<lb/>
einem ungesunden Problem angezogen werde. Aber das Talent ist andrerseits</p><lb/>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[0555] Paul Heyse. specifisch novellistischen Moments, eines Factums, das so, in diesem Zusammen¬ hang, mit dieser Wirkung nur ein einzigesmal existirt, eine leicht erkennbare Gefahr erwachsen ist, Heyse ist auf diesem Wege zu einer kleinen Anzahl von Novellen gelangt, die als bedenklich abenteuerlich, psychologisch rnffinirt und ge¬ legentlich gespenstig spukhaft gelten müssen, Soll daraus nun gefolgert werden, daß das Princip des Dichters zu ver¬ werfen sei? Höchstens ließe sich doch fordern, daß er auch das Specifische wiederum einer Prüfung auf seineu allgemein poetischen Werth, seine poetische Gesundheit unterwerfe. Und welch ein Raffinement, welch ein Uebergewicht der Reflexion in der Natur eiues Schaffenden würde mit dieser Forderung vorausgesetzt! Es ist einer der entscheidenden Beweise für die Isolirung, in welcher der wahrhafte Dichter sich in der Gegenwart befindet, daß das Gefühl für das poetische Muß, für die Macht der poetischen Phantasie, für den eigensten Reiz, welcher den Dichter lockt, einem Wege nachzugehen, an dessen Ende ein besondres Licht glänzt, so gut wie verloren gegangen ist. Man sagt wohl, der kleinen, der flüchtigen Pro- duction liege jenes dämonische Muß, jene höchste zwingende Gewalt, die den Schaffenden auf Tod und Leben in Erfassung großer Probleme, in die Aus¬ führung großer Kunstwerke hineintreibe, nicht zu Grunde. Wer hat denn das künstlerische Muß so genau gemessen und gewogen, daß er hier mehr als ein instinctiveS, ein willkürliches Urtheil abgeben könnte? Im Verhältniß zum Um¬ fang und zur Tiefe der Production mag das Muß für die kleinste Novelle so stark und so vollberechtigt sein wie das, welches die schaffende Kraft zum großen Drama, zum Epos oder Roman treibt, ja während für die großen Formen die Mitwirkung der Reflexion (wohlgemerkt der künstlerischen Reflexion!) gar nicht zu entbehren ist, kann für die kleinere Erzählung die gleiche Unmittelbarkeit, die gleiche Spontaneität des ersten Eindrucks, der zeugenden Stimmung gedacht werde», wie für das lyrische Gedicht. Mit alledem soll das Recht der Kritik, jede poetische Schöpfung nach bestem Wissen zu beurtheile», nicht verkümmert, es soll nur wieder einmal festgestellt werden, daß nicht jede künstlerische Unzu¬ länglichkeit oder Irrung, welche die Kritik erkennt, ohne wcitres eine Verant¬ wortlichkeit für den Dichter in sich schließt. Die frische Zuversicht des Schaffenden, den Stoff, der ihn ergriffen hat, frisch zu gestalte», bleibt die Grundlage aller Poesie, und bei einer im innersten Ker» edeln und wahrhaften Natur ist wenig Gefahr, daß der Irrungen zu viele werden. Es gilt eben Goethes Wort, daß alles, was das Genie als Genie thue, unbewußt geschehe. „Kein Werk des Genies kann durch Reflexion und ihre nächsten Folgen verbessert, von seine» Fehlern befreit werden; aber das Genie kann sich durch Reflexion und That nach und nach dergestalt hinaufsehen, daß es endlich musterhafte Werke hervorbringt." Fügen wir hinzu: kein Talent ist sicher, daß es nicht gelegentlich von einer un¬ erquicklichen Stimmung beherrscht, von einem unergiebigen Lebensvorgänge oder einem ungesunden Problem angezogen werde. Aber das Talent ist andrerseits

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Staats- und Universitätsbibliothek (SuUB) Bremen: Bereitstellung der Texttranskription.
Kay-Michael Würzner: Bearbeitung der digitalen Edition.

Weitere Informationen:

Verfahren der Texterfassung: OCR mit Nachkorrektur.

Bogensignaturen: gekennzeichnet;Druckfehler: ignoriert;fremdsprachliches Material: nicht gekennzeichnet;Geminations-/Abkürzungsstriche: wie Vorlage;Hervorhebungen (Antiqua, Sperrschrift, Kursive etc.): nicht ausgezeichnet;i/j in Fraktur: wie Vorlage;I/J in Fraktur: wie Vorlage;Kolumnentitel: gekennzeichnet;Kustoden: gekennzeichnet;langes s (ſ): als s transkribiert;Normalisierungen: stillschweigend;rundes r (&#xa75b;): als r/et transkribiert;Seitenumbrüche markiert: ja;Silbentrennung: wie Vorlage;u/v bzw. U/V: wie Vorlage;Vokale mit übergest. e: als ä/ö/ü transkribiert;Vollständigkeit: vollständig erfasst;Zeichensetzung: wie Vorlage;Zeilenumbrüche markiert: ja;

Nachkorrektur erfolgte automatisch.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341833_157699
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341833_157699/555
Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 40, 1881, Zweites Quartal, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341833_157699/555>, abgerufen am 25.08.2024.