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Die Grenzboten. Jg. 40, 1881, Zweites Quartal.

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Richard Wagner und die "nationale Bewegung"
in Berlin.

le Aufführungen des "Nibelungenringes" im Berliner Vietoria-
theater oder, wie die Adepten des Meisters sagen, die "Tage der
Weihe" liegen hinter uns. Für einige Wochen war wieder einmal
die Musik in den Vordergrund des öffentlichen Interesses getreten.
Kein andres Ereigniß vermochte sich neben Wagners Nibelungen
zu behaupten: weder die Manifeste der russischen Nihilisten, noch die Hamburger
Zollanschlußfrage, noch die "nationale Bewegung gegen die fremden Elemente
in unserm Staatskörper." Nur der Streit um das neue Rubensbild, der durch
deu Verweis des Cultusministers an den Director der Kunstakademie, Anton
von Werner, wieder entfacht worden ist, fand neben dem musikalischen Ereigniß
noch geneigte Hörer. Sollte diese Erscheinung eine rein zufällige sein? Sollten
ihre Wurzeln nicht tiefer liegen? Sollte in unserm Publicum, d. h. in demjenigen
Theile des Volkes, welches auf die öffentliche Meinung bestimmend einwirkt, nicht
eine große Uebersättigung an allem, was mit der Politik zusammenhängt, immer
weiter um sich greifen? Die endlosen Debatten der "berufsmäßigen Parla¬
mentarier," welche der Kanzler so hübsch persistirt hat, tragen sicherlich den
größten Theil der Schuld an dieser -- an und sür sich beklagenswerthen --
Indifferenz gegen die Vorgänge des politischen Lebens. Man ist der rhetorischen
Fechterkunststückc in den Parlamenten, die oft genug durch einen genialen Schach¬
zug desjenigen, dem die Fortschrittspartei nur noch gewisse Verdienste ans dem
Gebiete der auswärtigen Politik lassen will, in ihrer ganzen Blöße aufgedeckt
worden, schneller müde geworden, als den Herren lieb ist. Diese Indifferenz ist
der parlamentarischen Opposition vielleicht weit gefährlicher als die heftig be¬
fehdeten "Wahlreden" des Ministers der auswärtigen Angelegenheiten. Die
Zeitungen, welche Fühlung mit ihrem Publicum haben, sind auch längst dahinter
gekommen, daß das Interesse an den Kammerdebatten immer mehr im Abnehmen
begriffen ist und daß sie ihren Raum besser verwerthen können, als wenn sie
fortfahren, die Reden der parlamentarischen Größen i" ermüdender Ausführlich¬
keit wiederzugeben. Der Parlamentarismus in Deutschland ist noch viel zu jung,
um schon zu jener hervorragenden Stellung im öffentlichen Interesse gelangt
zu sein, welche er z. B. in England errungen hat. Es ist überhaupt noch sehr
die Frage, ob das deutsche Volk, wir wollen nicht sagen eine gleiche Begabung,


Gu'nzbvwl II. 1381. 57
Richard Wagner und die „nationale Bewegung"
in Berlin.

le Aufführungen des „Nibelungenringes" im Berliner Vietoria-
theater oder, wie die Adepten des Meisters sagen, die „Tage der
Weihe" liegen hinter uns. Für einige Wochen war wieder einmal
die Musik in den Vordergrund des öffentlichen Interesses getreten.
Kein andres Ereigniß vermochte sich neben Wagners Nibelungen
zu behaupten: weder die Manifeste der russischen Nihilisten, noch die Hamburger
Zollanschlußfrage, noch die „nationale Bewegung gegen die fremden Elemente
in unserm Staatskörper." Nur der Streit um das neue Rubensbild, der durch
deu Verweis des Cultusministers an den Director der Kunstakademie, Anton
von Werner, wieder entfacht worden ist, fand neben dem musikalischen Ereigniß
noch geneigte Hörer. Sollte diese Erscheinung eine rein zufällige sein? Sollten
ihre Wurzeln nicht tiefer liegen? Sollte in unserm Publicum, d. h. in demjenigen
Theile des Volkes, welches auf die öffentliche Meinung bestimmend einwirkt, nicht
eine große Uebersättigung an allem, was mit der Politik zusammenhängt, immer
weiter um sich greifen? Die endlosen Debatten der „berufsmäßigen Parla¬
mentarier," welche der Kanzler so hübsch persistirt hat, tragen sicherlich den
größten Theil der Schuld an dieser — an und sür sich beklagenswerthen —
Indifferenz gegen die Vorgänge des politischen Lebens. Man ist der rhetorischen
Fechterkunststückc in den Parlamenten, die oft genug durch einen genialen Schach¬
zug desjenigen, dem die Fortschrittspartei nur noch gewisse Verdienste ans dem
Gebiete der auswärtigen Politik lassen will, in ihrer ganzen Blöße aufgedeckt
worden, schneller müde geworden, als den Herren lieb ist. Diese Indifferenz ist
der parlamentarischen Opposition vielleicht weit gefährlicher als die heftig be¬
fehdeten „Wahlreden" des Ministers der auswärtigen Angelegenheiten. Die
Zeitungen, welche Fühlung mit ihrem Publicum haben, sind auch längst dahinter
gekommen, daß das Interesse an den Kammerdebatten immer mehr im Abnehmen
begriffen ist und daß sie ihren Raum besser verwerthen können, als wenn sie
fortfahren, die Reden der parlamentarischen Größen i» ermüdender Ausführlich¬
keit wiederzugeben. Der Parlamentarismus in Deutschland ist noch viel zu jung,
um schon zu jener hervorragenden Stellung im öffentlichen Interesse gelangt
zu sein, welche er z. B. in England errungen hat. Es ist überhaupt noch sehr
die Frage, ob das deutsche Volk, wir wollen nicht sagen eine gleiche Begabung,


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[0453] Richard Wagner und die „nationale Bewegung" in Berlin. le Aufführungen des „Nibelungenringes" im Berliner Vietoria- theater oder, wie die Adepten des Meisters sagen, die „Tage der Weihe" liegen hinter uns. Für einige Wochen war wieder einmal die Musik in den Vordergrund des öffentlichen Interesses getreten. Kein andres Ereigniß vermochte sich neben Wagners Nibelungen zu behaupten: weder die Manifeste der russischen Nihilisten, noch die Hamburger Zollanschlußfrage, noch die „nationale Bewegung gegen die fremden Elemente in unserm Staatskörper." Nur der Streit um das neue Rubensbild, der durch deu Verweis des Cultusministers an den Director der Kunstakademie, Anton von Werner, wieder entfacht worden ist, fand neben dem musikalischen Ereigniß noch geneigte Hörer. Sollte diese Erscheinung eine rein zufällige sein? Sollten ihre Wurzeln nicht tiefer liegen? Sollte in unserm Publicum, d. h. in demjenigen Theile des Volkes, welches auf die öffentliche Meinung bestimmend einwirkt, nicht eine große Uebersättigung an allem, was mit der Politik zusammenhängt, immer weiter um sich greifen? Die endlosen Debatten der „berufsmäßigen Parla¬ mentarier," welche der Kanzler so hübsch persistirt hat, tragen sicherlich den größten Theil der Schuld an dieser — an und sür sich beklagenswerthen — Indifferenz gegen die Vorgänge des politischen Lebens. Man ist der rhetorischen Fechterkunststückc in den Parlamenten, die oft genug durch einen genialen Schach¬ zug desjenigen, dem die Fortschrittspartei nur noch gewisse Verdienste ans dem Gebiete der auswärtigen Politik lassen will, in ihrer ganzen Blöße aufgedeckt worden, schneller müde geworden, als den Herren lieb ist. Diese Indifferenz ist der parlamentarischen Opposition vielleicht weit gefährlicher als die heftig be¬ fehdeten „Wahlreden" des Ministers der auswärtigen Angelegenheiten. Die Zeitungen, welche Fühlung mit ihrem Publicum haben, sind auch längst dahinter gekommen, daß das Interesse an den Kammerdebatten immer mehr im Abnehmen begriffen ist und daß sie ihren Raum besser verwerthen können, als wenn sie fortfahren, die Reden der parlamentarischen Größen i» ermüdender Ausführlich¬ keit wiederzugeben. Der Parlamentarismus in Deutschland ist noch viel zu jung, um schon zu jener hervorragenden Stellung im öffentlichen Interesse gelangt zu sein, welche er z. B. in England errungen hat. Es ist überhaupt noch sehr die Frage, ob das deutsche Volk, wir wollen nicht sagen eine gleiche Begabung, Gu'nzbvwl II. 1381. 57

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 40, 1881, Zweites Quartal, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341833_157699/453>, abgerufen am 29.06.2024.