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Die Grenzboten. Jg. 40, 1881, Zweites Quartal.

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Talleyrand auf dem Wiener (tongreß.

in September des Jahres 1814 traten gemäß den Bestimmungen
des Pariser Friedensvertrages von 3l). Mai die Abgesandten aller
der Staaten, welche an dem großen Kriege gegen Napoleon theil¬
genommen hatten, in Wien zu einem Congresse zusammen, um die
europäischen Angelegenheiten, für die bis dahin nur allgemeine
Grundsätze aufgestellt waren, zu regeln und ein dauerhaftes Gleichgewicht, als
die sicherste Bürgschaft des Weltfriedens, herzustellen. Es waren die vier Gro߬
mächte England, Oesterreich, Preußen und Rußland, die im März 1814 zu
Chaumont den Bund zum Sturze Napoleons geschloffen hatten, und jetzt, nach
Erreichung dieses Zieles, sich ferner als Verbündete betrachtend, gemeinsam
Europa den Frieden zu geben gedachten, Sie hofften die großen schwebenden
Fragen, vor allem die Neugestaltung Deutschlands und das Schicksal Polens
im Einvernehmen mit einander lösen und für ihre Beschlüsse die Anerkennung
bei dem versammelten Europa erwirken zu können.

Kaum aber waren die Bevollmächtigten in die Berathungen eingetreten,
als die Gegensätze, die zwischen den vier siegreichen Großmächten während des
gewaltigen Kampfes nur geschlummert hatten, der Gegensatz zwischen Oesterreich
und Preußen, welcher die zweite Hälfte des eben vergangnen Jahrhunderts hin¬
durch die Geschichte des europäischen Festlandes beherrscht hatte, und der zwischen
Oesterreich und Rußland, welche in Polen und in der Türkei mißtrauisch und
feindselig einander gegenüberstanden, von neuem erwachten und zwischen den eben
noch verbündeten Mächten einen unabsehbaren Zwist zu entzünden drohten.

Während Kaiser Alexander zum Lohne für den Antheil, den er an dem
Kampfe genommen hatte, die Krone des Königreichs Polen verlangte, beanspruchte
Preußen, dem seine Verträge die Wiederherstellung in den Stand vor dem Kriege
von 1806 zusicherten, das Königreich Sachsen. Gegen beide Forderungen erhob
Oesterreich Einspruch. Denn durch den Besitz Sachsens mußte Preußen zu einem
ebenso gefährlichen Gegner werden, wie Rußland durch die Vereinigung der
polnischen Provinzen in der Hand Alexanders. England begünstigte Wohl die
Wünsche Preußens, widersprach aber den Forderungen Alexanders in der Be¬
sorgnis daß nach dem Sturze Napoleons eine russische Hegemonie sich erheben
könne. In dieser Besorgniß stimmten anch preußische Staatsmänner mit ihm
iibcrein, die von einer Vermehrung der russischen Macht eine Vergrößerung des
russischen Einflusses auf die europäischen Angelegenheiten fürchteten.


Talleyrand auf dem Wiener (tongreß.

in September des Jahres 1814 traten gemäß den Bestimmungen
des Pariser Friedensvertrages von 3l). Mai die Abgesandten aller
der Staaten, welche an dem großen Kriege gegen Napoleon theil¬
genommen hatten, in Wien zu einem Congresse zusammen, um die
europäischen Angelegenheiten, für die bis dahin nur allgemeine
Grundsätze aufgestellt waren, zu regeln und ein dauerhaftes Gleichgewicht, als
die sicherste Bürgschaft des Weltfriedens, herzustellen. Es waren die vier Gro߬
mächte England, Oesterreich, Preußen und Rußland, die im März 1814 zu
Chaumont den Bund zum Sturze Napoleons geschloffen hatten, und jetzt, nach
Erreichung dieses Zieles, sich ferner als Verbündete betrachtend, gemeinsam
Europa den Frieden zu geben gedachten, Sie hofften die großen schwebenden
Fragen, vor allem die Neugestaltung Deutschlands und das Schicksal Polens
im Einvernehmen mit einander lösen und für ihre Beschlüsse die Anerkennung
bei dem versammelten Europa erwirken zu können.

Kaum aber waren die Bevollmächtigten in die Berathungen eingetreten,
als die Gegensätze, die zwischen den vier siegreichen Großmächten während des
gewaltigen Kampfes nur geschlummert hatten, der Gegensatz zwischen Oesterreich
und Preußen, welcher die zweite Hälfte des eben vergangnen Jahrhunderts hin¬
durch die Geschichte des europäischen Festlandes beherrscht hatte, und der zwischen
Oesterreich und Rußland, welche in Polen und in der Türkei mißtrauisch und
feindselig einander gegenüberstanden, von neuem erwachten und zwischen den eben
noch verbündeten Mächten einen unabsehbaren Zwist zu entzünden drohten.

Während Kaiser Alexander zum Lohne für den Antheil, den er an dem
Kampfe genommen hatte, die Krone des Königreichs Polen verlangte, beanspruchte
Preußen, dem seine Verträge die Wiederherstellung in den Stand vor dem Kriege
von 1806 zusicherten, das Königreich Sachsen. Gegen beide Forderungen erhob
Oesterreich Einspruch. Denn durch den Besitz Sachsens mußte Preußen zu einem
ebenso gefährlichen Gegner werden, wie Rußland durch die Vereinigung der
polnischen Provinzen in der Hand Alexanders. England begünstigte Wohl die
Wünsche Preußens, widersprach aber den Forderungen Alexanders in der Be¬
sorgnis daß nach dem Sturze Napoleons eine russische Hegemonie sich erheben
könne. In dieser Besorgniß stimmten anch preußische Staatsmänner mit ihm
iibcrein, die von einer Vermehrung der russischen Macht eine Vergrößerung des
russischen Einflusses auf die europäischen Angelegenheiten fürchteten.


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[0399] Talleyrand auf dem Wiener (tongreß. in September des Jahres 1814 traten gemäß den Bestimmungen des Pariser Friedensvertrages von 3l). Mai die Abgesandten aller der Staaten, welche an dem großen Kriege gegen Napoleon theil¬ genommen hatten, in Wien zu einem Congresse zusammen, um die europäischen Angelegenheiten, für die bis dahin nur allgemeine Grundsätze aufgestellt waren, zu regeln und ein dauerhaftes Gleichgewicht, als die sicherste Bürgschaft des Weltfriedens, herzustellen. Es waren die vier Gro߬ mächte England, Oesterreich, Preußen und Rußland, die im März 1814 zu Chaumont den Bund zum Sturze Napoleons geschloffen hatten, und jetzt, nach Erreichung dieses Zieles, sich ferner als Verbündete betrachtend, gemeinsam Europa den Frieden zu geben gedachten, Sie hofften die großen schwebenden Fragen, vor allem die Neugestaltung Deutschlands und das Schicksal Polens im Einvernehmen mit einander lösen und für ihre Beschlüsse die Anerkennung bei dem versammelten Europa erwirken zu können. Kaum aber waren die Bevollmächtigten in die Berathungen eingetreten, als die Gegensätze, die zwischen den vier siegreichen Großmächten während des gewaltigen Kampfes nur geschlummert hatten, der Gegensatz zwischen Oesterreich und Preußen, welcher die zweite Hälfte des eben vergangnen Jahrhunderts hin¬ durch die Geschichte des europäischen Festlandes beherrscht hatte, und der zwischen Oesterreich und Rußland, welche in Polen und in der Türkei mißtrauisch und feindselig einander gegenüberstanden, von neuem erwachten und zwischen den eben noch verbündeten Mächten einen unabsehbaren Zwist zu entzünden drohten. Während Kaiser Alexander zum Lohne für den Antheil, den er an dem Kampfe genommen hatte, die Krone des Königreichs Polen verlangte, beanspruchte Preußen, dem seine Verträge die Wiederherstellung in den Stand vor dem Kriege von 1806 zusicherten, das Königreich Sachsen. Gegen beide Forderungen erhob Oesterreich Einspruch. Denn durch den Besitz Sachsens mußte Preußen zu einem ebenso gefährlichen Gegner werden, wie Rußland durch die Vereinigung der polnischen Provinzen in der Hand Alexanders. England begünstigte Wohl die Wünsche Preußens, widersprach aber den Forderungen Alexanders in der Be¬ sorgnis daß nach dem Sturze Napoleons eine russische Hegemonie sich erheben könne. In dieser Besorgniß stimmten anch preußische Staatsmänner mit ihm iibcrein, die von einer Vermehrung der russischen Macht eine Vergrößerung des russischen Einflusses auf die europäischen Angelegenheiten fürchteten.

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 40, 1881, Zweites Quartal, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341833_157699/399>, abgerufen am 29.06.2024.