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Die Grenzboten. Jg. 40, 1881, Zweites Quartal.

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Lalderon.

jemand nach der Reihe durch Examina getrieben wird, die nnr über Kenntnisse,
nie über die Persönlichkeit etwas aussagen und in der Folge davon bei der Sicher¬
heit der Anstellung auch den jungen Leuten alles hebende Gefühl der Persönlich¬
keit, den Charakter nehmen. Wie oft kam es damals vor, daß ein Student, Soldat
ward in einem Staate, der eben Krieg führte, in Rußland oder Frankreich; der
Mann war frei, freilich fast nnr wie der Sperling auf dem Zaune, aber in dieser
Freiheit ward oder blieb er vielmehr ein Charakter, während man dergleichen jetzt
mit der Laterne suchen kann. An der Charakterlosigkeit und an dem Griechisch und
Lateinisch seiner Beamteten, will sagen an der Vielwisserei, wird Preußen noch seinen
bittersten Feind mit der Zeit erkennen müssen. Der Präsident von Gerlach sagte
immer, ward aber dabei in der Regel kläglich mißverstanden, man solle die Leute
nicht nach Exmninibns, sondern nach Gnade anstellen, -- so war es im alten Reiche
und in Folge davon gab es auch noch andre Studenten und waren auch die Uni¬
versitäten etwas andres -- sie waren das, was eigentlich nur kleine Universitäten
im eminenten Sinne sein können und sein sollen. Da eine Aenderung des Examens
in Gnade im alten Sinne, d, h, in Wahl nach dem Eindruck der Persönlichkeit auf
deu Wählenden nicht zu denken ist, wird auch niemand die Metamorphose der Uni¬
versitäten in Polytechnische Schulen und folglich den Verzug der Universität in
größere und reichere Städte aufhalten können."

Leo, der reich begabte Murr, verlebte die letzten Jahre mit getrübten Geiste,
gepflegt lange Zeit mit seltner Opferfreudigkeit und Liebe von seiner Gattin,
Wie viel er in den taugen Jahren der Trübsal gelitten -- wer kann die Ant¬
wort geben, dn diese ihm selbst versagt war? Am 24, April 1878 schied er ans
dem Leben -- er hatte seine Lebensaufgabe erfüllt und sein Werk vollbracht,
Ehre und Treue seinem Andenken!




(talderon.
Line literarhistorische Studie zu seiner Gedächtnißfeier,
von Paul Schönfeld.

achten im Sommer des vorigen Jahres die portugiesische Nation
den dreihundertsten Eriunerungstag an das Hinscheiden ihres
größten Dichters Camoens festlich begangen hat, rüstet sich gegen¬
wärtig das spanische Nachbarvolk zu einer ähnlichen nationalen
Feier. Auch diese gilt einem Meister der Dichtkunst, dessen Be¬
deutung weit über die Grenzen seines Vaterlandes hinausreicht. Zwar theilt der
große spanische Dramatiker Calderon, der am 25, Mai 1681 seine ruhmvolle


Lalderon.

jemand nach der Reihe durch Examina getrieben wird, die nnr über Kenntnisse,
nie über die Persönlichkeit etwas aussagen und in der Folge davon bei der Sicher¬
heit der Anstellung auch den jungen Leuten alles hebende Gefühl der Persönlich¬
keit, den Charakter nehmen. Wie oft kam es damals vor, daß ein Student, Soldat
ward in einem Staate, der eben Krieg führte, in Rußland oder Frankreich; der
Mann war frei, freilich fast nnr wie der Sperling auf dem Zaune, aber in dieser
Freiheit ward oder blieb er vielmehr ein Charakter, während man dergleichen jetzt
mit der Laterne suchen kann. An der Charakterlosigkeit und an dem Griechisch und
Lateinisch seiner Beamteten, will sagen an der Vielwisserei, wird Preußen noch seinen
bittersten Feind mit der Zeit erkennen müssen. Der Präsident von Gerlach sagte
immer, ward aber dabei in der Regel kläglich mißverstanden, man solle die Leute
nicht nach Exmninibns, sondern nach Gnade anstellen, — so war es im alten Reiche
und in Folge davon gab es auch noch andre Studenten und waren auch die Uni¬
versitäten etwas andres — sie waren das, was eigentlich nur kleine Universitäten
im eminenten Sinne sein können und sein sollen. Da eine Aenderung des Examens
in Gnade im alten Sinne, d, h, in Wahl nach dem Eindruck der Persönlichkeit auf
deu Wählenden nicht zu denken ist, wird auch niemand die Metamorphose der Uni¬
versitäten in Polytechnische Schulen und folglich den Verzug der Universität in
größere und reichere Städte aufhalten können."

Leo, der reich begabte Murr, verlebte die letzten Jahre mit getrübten Geiste,
gepflegt lange Zeit mit seltner Opferfreudigkeit und Liebe von seiner Gattin,
Wie viel er in den taugen Jahren der Trübsal gelitten — wer kann die Ant¬
wort geben, dn diese ihm selbst versagt war? Am 24, April 1878 schied er ans
dem Leben — er hatte seine Lebensaufgabe erfüllt und sein Werk vollbracht,
Ehre und Treue seinem Andenken!




(talderon.
Line literarhistorische Studie zu seiner Gedächtnißfeier,
von Paul Schönfeld.

achten im Sommer des vorigen Jahres die portugiesische Nation
den dreihundertsten Eriunerungstag an das Hinscheiden ihres
größten Dichters Camoens festlich begangen hat, rüstet sich gegen¬
wärtig das spanische Nachbarvolk zu einer ähnlichen nationalen
Feier. Auch diese gilt einem Meister der Dichtkunst, dessen Be¬
deutung weit über die Grenzen seines Vaterlandes hinausreicht. Zwar theilt der
große spanische Dramatiker Calderon, der am 25, Mai 1681 seine ruhmvolle


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[0227] Lalderon. jemand nach der Reihe durch Examina getrieben wird, die nnr über Kenntnisse, nie über die Persönlichkeit etwas aussagen und in der Folge davon bei der Sicher¬ heit der Anstellung auch den jungen Leuten alles hebende Gefühl der Persönlich¬ keit, den Charakter nehmen. Wie oft kam es damals vor, daß ein Student, Soldat ward in einem Staate, der eben Krieg führte, in Rußland oder Frankreich; der Mann war frei, freilich fast nnr wie der Sperling auf dem Zaune, aber in dieser Freiheit ward oder blieb er vielmehr ein Charakter, während man dergleichen jetzt mit der Laterne suchen kann. An der Charakterlosigkeit und an dem Griechisch und Lateinisch seiner Beamteten, will sagen an der Vielwisserei, wird Preußen noch seinen bittersten Feind mit der Zeit erkennen müssen. Der Präsident von Gerlach sagte immer, ward aber dabei in der Regel kläglich mißverstanden, man solle die Leute nicht nach Exmninibns, sondern nach Gnade anstellen, — so war es im alten Reiche und in Folge davon gab es auch noch andre Studenten und waren auch die Uni¬ versitäten etwas andres — sie waren das, was eigentlich nur kleine Universitäten im eminenten Sinne sein können und sein sollen. Da eine Aenderung des Examens in Gnade im alten Sinne, d, h, in Wahl nach dem Eindruck der Persönlichkeit auf deu Wählenden nicht zu denken ist, wird auch niemand die Metamorphose der Uni¬ versitäten in Polytechnische Schulen und folglich den Verzug der Universität in größere und reichere Städte aufhalten können." Leo, der reich begabte Murr, verlebte die letzten Jahre mit getrübten Geiste, gepflegt lange Zeit mit seltner Opferfreudigkeit und Liebe von seiner Gattin, Wie viel er in den taugen Jahren der Trübsal gelitten — wer kann die Ant¬ wort geben, dn diese ihm selbst versagt war? Am 24, April 1878 schied er ans dem Leben — er hatte seine Lebensaufgabe erfüllt und sein Werk vollbracht, Ehre und Treue seinem Andenken! (talderon. Line literarhistorische Studie zu seiner Gedächtnißfeier, von Paul Schönfeld. achten im Sommer des vorigen Jahres die portugiesische Nation den dreihundertsten Eriunerungstag an das Hinscheiden ihres größten Dichters Camoens festlich begangen hat, rüstet sich gegen¬ wärtig das spanische Nachbarvolk zu einer ähnlichen nationalen Feier. Auch diese gilt einem Meister der Dichtkunst, dessen Be¬ deutung weit über die Grenzen seines Vaterlandes hinausreicht. Zwar theilt der große spanische Dramatiker Calderon, der am 25, Mai 1681 seine ruhmvolle

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 40, 1881, Zweites Quartal, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341833_157699/227>, abgerufen am 29.06.2024.