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Die Grenzboten. Jg. 39, 1880, Viertes Quartal.

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der allgemeinen Wehrpflicht vorbringen. Antinous hat offenbar Schillers "Götter
Griechenlands" gelesen (S. 179), und bei der Schilderung der Kampfspiele
denkt man unwillkürlich an Schillers "Handschuh". Die Sprache ist im ganzen
kräftig und wohllautend; an einzelnen Stellen hat sie hohe Wärme und dich¬
terischen Zug, so in der Schilderung des Todes des Antinous. Doch stören
falsche Formen (trete als Imperativ), harte Wendungen (sie ist gezankt worden)
und unedle Ausdrücke (alberne Ziege, Lefze u. a.). Diese Mängel sowie der
schließliche Uebergang in völlige Geschichtschreibung bei der Erzählung vom
Tode Hadrians lassen bedauern, daß dem Ganzen uoch eine letzte Feile, die
volle Ausreifung fehlt. Doch wird dadurch nicht unser Gesammturtheil beein¬
trächtigt, daß wir hier eine außergewöhnliche Schöpfung auf dem Gebiete des
historischen Romans vor uns haben, die von bedeutender Beherrschung und
Durchdringung des Stoffes und von wirklicher dichterischer Kraft Zeugniß giebt.
Den eigenartigen Duft der Echtheit, den z. B. Scheffel seinem "Ekkehard" durch
geschickte Verwerthung und Verwebung der literarischen Denkmäler des Mittel¬
alters zu geben gewußt hat, erzielt George Taylor durch eine auf umfassendster
Kenntniß beruhende umsichtige Benutzung der künstlerischen und antiquarischen
Verlassenschaft der geschilderten Zeit. Aber das Antiquarische bleibt Beiwerk;
die Historie bietet nur das Material, das der Dichter kraftvoll gestaltend in die
Sphäre der freien Kunstschöpfung hinaushebt.




Die Schatzkammer des bairischen Königshauses.

Die Rückkehr zu den Werken unserer Väter ist nicht eine der geringsten
Errungenschaften, die wir dem seit 1870 so lebhaft erwachten Nationalgefühle
verdanken. Mit dem Bewußtsein einer großen und mächtigen staatlichen Ein-
heit, die keiner Anlehnung an eine stärkere Macht bedarf, ist auch die Erinne¬
rung an die ruhmvolle Vergangenheit wiedergekehrt, die uns noch vor zwei
Jahrzehnten die Schamröthe ins Gesicht trieb, heute uns mit gerechtem Stolze
erfüllt. Und was früher eine unklare Sehnsucht nach der Herrlichkeit des
Mittelalters, eine phantastische Schwärmerei für längst abgestorbene Ideale war,
ist heute eine verständige Erkenntniß von dem, was früher gesund und lebens¬
kräftig war. Nicht mehr im Mittelalter, sondern im 16. Jahrhundert, im Zeit¬
alter der Reformation und der Renaissance, finden wir Anschauungen und gei¬
stige Strömungen, die mit den unsrigen verwandt sind.


der allgemeinen Wehrpflicht vorbringen. Antinous hat offenbar Schillers „Götter
Griechenlands" gelesen (S. 179), und bei der Schilderung der Kampfspiele
denkt man unwillkürlich an Schillers „Handschuh". Die Sprache ist im ganzen
kräftig und wohllautend; an einzelnen Stellen hat sie hohe Wärme und dich¬
terischen Zug, so in der Schilderung des Todes des Antinous. Doch stören
falsche Formen (trete als Imperativ), harte Wendungen (sie ist gezankt worden)
und unedle Ausdrücke (alberne Ziege, Lefze u. a.). Diese Mängel sowie der
schließliche Uebergang in völlige Geschichtschreibung bei der Erzählung vom
Tode Hadrians lassen bedauern, daß dem Ganzen uoch eine letzte Feile, die
volle Ausreifung fehlt. Doch wird dadurch nicht unser Gesammturtheil beein¬
trächtigt, daß wir hier eine außergewöhnliche Schöpfung auf dem Gebiete des
historischen Romans vor uns haben, die von bedeutender Beherrschung und
Durchdringung des Stoffes und von wirklicher dichterischer Kraft Zeugniß giebt.
Den eigenartigen Duft der Echtheit, den z. B. Scheffel seinem „Ekkehard" durch
geschickte Verwerthung und Verwebung der literarischen Denkmäler des Mittel¬
alters zu geben gewußt hat, erzielt George Taylor durch eine auf umfassendster
Kenntniß beruhende umsichtige Benutzung der künstlerischen und antiquarischen
Verlassenschaft der geschilderten Zeit. Aber das Antiquarische bleibt Beiwerk;
die Historie bietet nur das Material, das der Dichter kraftvoll gestaltend in die
Sphäre der freien Kunstschöpfung hinaushebt.




Die Schatzkammer des bairischen Königshauses.

Die Rückkehr zu den Werken unserer Väter ist nicht eine der geringsten
Errungenschaften, die wir dem seit 1870 so lebhaft erwachten Nationalgefühle
verdanken. Mit dem Bewußtsein einer großen und mächtigen staatlichen Ein-
heit, die keiner Anlehnung an eine stärkere Macht bedarf, ist auch die Erinne¬
rung an die ruhmvolle Vergangenheit wiedergekehrt, die uns noch vor zwei
Jahrzehnten die Schamröthe ins Gesicht trieb, heute uns mit gerechtem Stolze
erfüllt. Und was früher eine unklare Sehnsucht nach der Herrlichkeit des
Mittelalters, eine phantastische Schwärmerei für längst abgestorbene Ideale war,
ist heute eine verständige Erkenntniß von dem, was früher gesund und lebens¬
kräftig war. Nicht mehr im Mittelalter, sondern im 16. Jahrhundert, im Zeit¬
alter der Reformation und der Renaissance, finden wir Anschauungen und gei¬
stige Strömungen, die mit den unsrigen verwandt sind.


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 39, 1880, Viertes Quartal, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341831_157695/508>, abgerufen am 27.12.2024.