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Die Grenzboten. Jg. 39, 1880, Viertes Quartal.

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deren Unbeständigkeit er freilich schwer empfinden muß, die Familie dieses
Mannes steht hier im Mittelpunkte; seine hehre Gattin Emilia, seine lieblichen
Kinder vor allen sind eifrige Christen. Seine Schwiegermutter Gräcim, deren
eigenthümliche Gestalt mit großer Kunst geschildert ist, hat die villa aä xinum
unter Umwandlung in eine villg, aä xalm^in zum Sammelpunkte einer christ¬
lichen Gemeinde gemacht. Hier treffen wir mancherlei wahre und falsche Bruder.
Die verschiedenen Elemente, die sich im Schooße der jungen Kirche zusammen¬
finden, die divergenten Richtungen innerhalb derselben lassen uns einen Blick
in das Wachsthum der neuen Lehre thun. Wohlthuend berührt die prächtige
Gestalt des unerschütterlich glaubensfesten Hermas; die Capitel, in denen die
wunderbare Rettung der zum Tode durch die wilden Thiere des Circus ver-
urtheilten Söhne des Phlegon durch den mitverurtheilten Hermas geschildert
wird, gehören zu den Glanzpunkten des Buches. Phlegon, dessen verweltlichter
Sinn in der Verblendung des Mammons sein eigen Fleisch und Blut auf die
Schlachtbank geliefert hat, wendet sich schließlich dem Glauben der glücklich ge¬
retteten zu und beschließt mit ihnen ein friedliches Leben in Aquae im Decu-
matenlande, dem alten Badeorte Baden.

Diese Erzählung von den Schicksalen der Familie das Phlegon zerreißt
etwas die Einheit der Komposition, und wir verlieren den Helden eine Zeit¬
lang zu sehr aus den Augen, ein Mangel, für den uns die farbenreiche Schil¬
derung der Kampfspiele im kolossalen Amphitheater schadlos halten muß. Im
ganzen aber ist der Bau des Romans vortrefflich. Jedes Capitel bildet ein
in sich geschlossenes Ganze; die Charakteristik der Personen, der hauptsächlichen,
wie auch der zahlreichen Nebenpersonen, ist psychologisch fein ausgearbeitet; manche
Scenen sind von packender Gewalt, so Phlegon an der Leiche der Gramm.
Die Mängel freilich des historischen Romans im allgemeinen zeigt auch dieser.
Wie der Verfasser des ja fast als kanonisch geltenden "Ekkehard" nicht zu ver¬
leugnen vermag, daß !er auf deutschen Universitäten studiert hat, so kann auch
George Taylor nicht in Abrede stellen, daß er ein Kind seiner und unserer
Zeit ist. Mehr modern als antik z. B. sind die Anschauungen, die der Um¬
gebung des Antinous und dann diesem selbst über sein Verhältniß zu Hadrian
beigelegt werden, ein Punkt überhaupt, der, wenn auch mit dem nöthigen Däm-
merschleier überdeckt, doch immer und immer wieder berührt werden muß, da
er ja einen Cardinalpunkt der psychologischen Entwicklung betrifft, und der doch
stets beengend und zurückstoßend wirkt. Sehr modern muthet es uns an, wenn
wir auf Grund der neueste" Forschungen in eine Aeltestenversammlung einge¬
führt werden, die sich mit der Redaction des Johannesevangeliums befaßt. Die
jungen Leute reden mitunter recht altklug; was Vitalis z. B. (S. 262) über
die Stadtende Kraft des Militärdienstes sagt, könnte jeder moderne Vertheidiger


deren Unbeständigkeit er freilich schwer empfinden muß, die Familie dieses
Mannes steht hier im Mittelpunkte; seine hehre Gattin Emilia, seine lieblichen
Kinder vor allen sind eifrige Christen. Seine Schwiegermutter Gräcim, deren
eigenthümliche Gestalt mit großer Kunst geschildert ist, hat die villa aä xinum
unter Umwandlung in eine villg, aä xalm^in zum Sammelpunkte einer christ¬
lichen Gemeinde gemacht. Hier treffen wir mancherlei wahre und falsche Bruder.
Die verschiedenen Elemente, die sich im Schooße der jungen Kirche zusammen¬
finden, die divergenten Richtungen innerhalb derselben lassen uns einen Blick
in das Wachsthum der neuen Lehre thun. Wohlthuend berührt die prächtige
Gestalt des unerschütterlich glaubensfesten Hermas; die Capitel, in denen die
wunderbare Rettung der zum Tode durch die wilden Thiere des Circus ver-
urtheilten Söhne des Phlegon durch den mitverurtheilten Hermas geschildert
wird, gehören zu den Glanzpunkten des Buches. Phlegon, dessen verweltlichter
Sinn in der Verblendung des Mammons sein eigen Fleisch und Blut auf die
Schlachtbank geliefert hat, wendet sich schließlich dem Glauben der glücklich ge¬
retteten zu und beschließt mit ihnen ein friedliches Leben in Aquae im Decu-
matenlande, dem alten Badeorte Baden.

Diese Erzählung von den Schicksalen der Familie das Phlegon zerreißt
etwas die Einheit der Komposition, und wir verlieren den Helden eine Zeit¬
lang zu sehr aus den Augen, ein Mangel, für den uns die farbenreiche Schil¬
derung der Kampfspiele im kolossalen Amphitheater schadlos halten muß. Im
ganzen aber ist der Bau des Romans vortrefflich. Jedes Capitel bildet ein
in sich geschlossenes Ganze; die Charakteristik der Personen, der hauptsächlichen,
wie auch der zahlreichen Nebenpersonen, ist psychologisch fein ausgearbeitet; manche
Scenen sind von packender Gewalt, so Phlegon an der Leiche der Gramm.
Die Mängel freilich des historischen Romans im allgemeinen zeigt auch dieser.
Wie der Verfasser des ja fast als kanonisch geltenden „Ekkehard" nicht zu ver¬
leugnen vermag, daß !er auf deutschen Universitäten studiert hat, so kann auch
George Taylor nicht in Abrede stellen, daß er ein Kind seiner und unserer
Zeit ist. Mehr modern als antik z. B. sind die Anschauungen, die der Um¬
gebung des Antinous und dann diesem selbst über sein Verhältniß zu Hadrian
beigelegt werden, ein Punkt überhaupt, der, wenn auch mit dem nöthigen Däm-
merschleier überdeckt, doch immer und immer wieder berührt werden muß, da
er ja einen Cardinalpunkt der psychologischen Entwicklung betrifft, und der doch
stets beengend und zurückstoßend wirkt. Sehr modern muthet es uns an, wenn
wir auf Grund der neueste» Forschungen in eine Aeltestenversammlung einge¬
führt werden, die sich mit der Redaction des Johannesevangeliums befaßt. Die
jungen Leute reden mitunter recht altklug; was Vitalis z. B. (S. 262) über
die Stadtende Kraft des Militärdienstes sagt, könnte jeder moderne Vertheidiger


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[0507] deren Unbeständigkeit er freilich schwer empfinden muß, die Familie dieses Mannes steht hier im Mittelpunkte; seine hehre Gattin Emilia, seine lieblichen Kinder vor allen sind eifrige Christen. Seine Schwiegermutter Gräcim, deren eigenthümliche Gestalt mit großer Kunst geschildert ist, hat die villa aä xinum unter Umwandlung in eine villg, aä xalm^in zum Sammelpunkte einer christ¬ lichen Gemeinde gemacht. Hier treffen wir mancherlei wahre und falsche Bruder. Die verschiedenen Elemente, die sich im Schooße der jungen Kirche zusammen¬ finden, die divergenten Richtungen innerhalb derselben lassen uns einen Blick in das Wachsthum der neuen Lehre thun. Wohlthuend berührt die prächtige Gestalt des unerschütterlich glaubensfesten Hermas; die Capitel, in denen die wunderbare Rettung der zum Tode durch die wilden Thiere des Circus ver- urtheilten Söhne des Phlegon durch den mitverurtheilten Hermas geschildert wird, gehören zu den Glanzpunkten des Buches. Phlegon, dessen verweltlichter Sinn in der Verblendung des Mammons sein eigen Fleisch und Blut auf die Schlachtbank geliefert hat, wendet sich schließlich dem Glauben der glücklich ge¬ retteten zu und beschließt mit ihnen ein friedliches Leben in Aquae im Decu- matenlande, dem alten Badeorte Baden. Diese Erzählung von den Schicksalen der Familie das Phlegon zerreißt etwas die Einheit der Komposition, und wir verlieren den Helden eine Zeit¬ lang zu sehr aus den Augen, ein Mangel, für den uns die farbenreiche Schil¬ derung der Kampfspiele im kolossalen Amphitheater schadlos halten muß. Im ganzen aber ist der Bau des Romans vortrefflich. Jedes Capitel bildet ein in sich geschlossenes Ganze; die Charakteristik der Personen, der hauptsächlichen, wie auch der zahlreichen Nebenpersonen, ist psychologisch fein ausgearbeitet; manche Scenen sind von packender Gewalt, so Phlegon an der Leiche der Gramm. Die Mängel freilich des historischen Romans im allgemeinen zeigt auch dieser. Wie der Verfasser des ja fast als kanonisch geltenden „Ekkehard" nicht zu ver¬ leugnen vermag, daß !er auf deutschen Universitäten studiert hat, so kann auch George Taylor nicht in Abrede stellen, daß er ein Kind seiner und unserer Zeit ist. Mehr modern als antik z. B. sind die Anschauungen, die der Um¬ gebung des Antinous und dann diesem selbst über sein Verhältniß zu Hadrian beigelegt werden, ein Punkt überhaupt, der, wenn auch mit dem nöthigen Däm- merschleier überdeckt, doch immer und immer wieder berührt werden muß, da er ja einen Cardinalpunkt der psychologischen Entwicklung betrifft, und der doch stets beengend und zurückstoßend wirkt. Sehr modern muthet es uns an, wenn wir auf Grund der neueste» Forschungen in eine Aeltestenversammlung einge¬ führt werden, die sich mit der Redaction des Johannesevangeliums befaßt. Die jungen Leute reden mitunter recht altklug; was Vitalis z. B. (S. 262) über die Stadtende Kraft des Militärdienstes sagt, könnte jeder moderne Vertheidiger

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 39, 1880, Viertes Quartal, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341831_157695/507>, abgerufen am 28.12.2024.