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Die Grenzboten. Jg. 39, 1880, Viertes Quartal.

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Bestandtheil des Norddeutschen Bundes bildete, dessen Präsidium dem Könige
von Preußen zustand. Mit andern Worten: Die Ehre Preußens war im
Sommer 1870 Sachsens Ehre, und jeder Angriff auf die erstere war
zugleich gegen letztere gerichtet.

Das scheint man damals in Dresden nicht genügend erkannt zu haben.
Vielleicht auch ist es richtiger zu sagen, daß dem Grasen Beust in Wien seiner
ganzen Individualität uach der Sinn für diesen nächstliegenden Gesichtspunkt abging
und daß seine Rathschläge uoch allzuoft deu Sieg über die ursprünglichen Ab¬
sichten davontrugen. Ist es doch, um ein früheres Beispiel dieses unheilvollen
Einflusses anzuführen, eine unwidersprochene Behauptung*), daß im Juli 1866
der genannte, weil er von dieser Reise das Ende seines Regiments fürchten
mochte, den König Johann zurückzuhalten wußte, als letzterer nach dem Ab¬
schlüsse der preußisch-österreichischen Friedenspräliminarien (deren Art. 5 deu
Territorialbestand Sachsens unversehrt ließ) den Vorsatz aussprach, uach Nikols-
burg zu eilen, um sich mit dem Sieger zu verständigen und daß jener aus dem
nämlichen Beweggrunde auch den weitern Plan hintertrieb, den Kronprinzen
mit einem Briefe seines Vaters in das preußische Hauptquartier zu senden, so
daß König Wilhelm noch am 4. August bei der Durchreise auf dem Bahnhofe in
Görlitz, wo ihn der preußische Civileommissar in Dresden, Landrath v. Wurmb,
begrüßte und nach dem Stande der Dinge fragte, sich sehr befremdet äußern
konnte, daß er "von dem Könige von Sachsen nicht ein Wort gehört habe".

Mit dieser Reminiscenz schließt sich die Kette der vorstehenden Aufzeich¬
nungen; denn wer (wenn nicht etwa "der kleine Pfifsicus"^) ist im Stande zu
sagen, ob Graf Bismarck in den Julitagen 1870 an sein vier Jahre früher ab¬
gelegtes Bekenntniß eines begangenen Fehlers unwillkürlich sich erinnert
habe? Zu verdenken wäre diese Gedächtnißregung dem Kanzler damals wahr¬
lich nicht gewesen.




Gruft Rietschels Jugenderinnerungen.f)

Unter den zahlreichen bereits für den Weihnachtsmarkt bestimmten Büchern
und Büchlein fällt uns in hübscher Ausstattung eine besondre Ausgabe jeuer





S. die Leipziger "Deutsche Allgemeine Zeitung" vom ö. Decbr. und die Wiener
"Deutsche Ztg." vom 12. Decbr, 1874.
So hat ein geflügeltes Wort Hrn. v. Friesen einmal charakterisiert, wogegen er in
den Ministerien unter dem Namen "der kleine Krakehler" bekannt ist.
1') Jugenderinnerungen von Ernst Rietschel. Separatabdruck aus der Bio
graphie Rietschels von Andreas Oppermann, Leipzig, F. A. Brockhaus, 1880.

Bestandtheil des Norddeutschen Bundes bildete, dessen Präsidium dem Könige
von Preußen zustand. Mit andern Worten: Die Ehre Preußens war im
Sommer 1870 Sachsens Ehre, und jeder Angriff auf die erstere war
zugleich gegen letztere gerichtet.

Das scheint man damals in Dresden nicht genügend erkannt zu haben.
Vielleicht auch ist es richtiger zu sagen, daß dem Grasen Beust in Wien seiner
ganzen Individualität uach der Sinn für diesen nächstliegenden Gesichtspunkt abging
und daß seine Rathschläge uoch allzuoft deu Sieg über die ursprünglichen Ab¬
sichten davontrugen. Ist es doch, um ein früheres Beispiel dieses unheilvollen
Einflusses anzuführen, eine unwidersprochene Behauptung*), daß im Juli 1866
der genannte, weil er von dieser Reise das Ende seines Regiments fürchten
mochte, den König Johann zurückzuhalten wußte, als letzterer nach dem Ab¬
schlüsse der preußisch-österreichischen Friedenspräliminarien (deren Art. 5 deu
Territorialbestand Sachsens unversehrt ließ) den Vorsatz aussprach, uach Nikols-
burg zu eilen, um sich mit dem Sieger zu verständigen und daß jener aus dem
nämlichen Beweggrunde auch den weitern Plan hintertrieb, den Kronprinzen
mit einem Briefe seines Vaters in das preußische Hauptquartier zu senden, so
daß König Wilhelm noch am 4. August bei der Durchreise auf dem Bahnhofe in
Görlitz, wo ihn der preußische Civileommissar in Dresden, Landrath v. Wurmb,
begrüßte und nach dem Stande der Dinge fragte, sich sehr befremdet äußern
konnte, daß er „von dem Könige von Sachsen nicht ein Wort gehört habe".

Mit dieser Reminiscenz schließt sich die Kette der vorstehenden Aufzeich¬
nungen; denn wer (wenn nicht etwa „der kleine Pfifsicus"^) ist im Stande zu
sagen, ob Graf Bismarck in den Julitagen 1870 an sein vier Jahre früher ab¬
gelegtes Bekenntniß eines begangenen Fehlers unwillkürlich sich erinnert
habe? Zu verdenken wäre diese Gedächtnißregung dem Kanzler damals wahr¬
lich nicht gewesen.




Gruft Rietschels Jugenderinnerungen.f)

Unter den zahlreichen bereits für den Weihnachtsmarkt bestimmten Büchern
und Büchlein fällt uns in hübscher Ausstattung eine besondre Ausgabe jeuer





S. die Leipziger „Deutsche Allgemeine Zeitung" vom ö. Decbr. und die Wiener
„Deutsche Ztg." vom 12. Decbr, 1874.
So hat ein geflügeltes Wort Hrn. v. Friesen einmal charakterisiert, wogegen er in
den Ministerien unter dem Namen „der kleine Krakehler" bekannt ist.
1') Jugenderinnerungen von Ernst Rietschel. Separatabdruck aus der Bio
graphie Rietschels von Andreas Oppermann, Leipzig, F. A. Brockhaus, 1880.
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[0366] Bestandtheil des Norddeutschen Bundes bildete, dessen Präsidium dem Könige von Preußen zustand. Mit andern Worten: Die Ehre Preußens war im Sommer 1870 Sachsens Ehre, und jeder Angriff auf die erstere war zugleich gegen letztere gerichtet. Das scheint man damals in Dresden nicht genügend erkannt zu haben. Vielleicht auch ist es richtiger zu sagen, daß dem Grasen Beust in Wien seiner ganzen Individualität uach der Sinn für diesen nächstliegenden Gesichtspunkt abging und daß seine Rathschläge uoch allzuoft deu Sieg über die ursprünglichen Ab¬ sichten davontrugen. Ist es doch, um ein früheres Beispiel dieses unheilvollen Einflusses anzuführen, eine unwidersprochene Behauptung*), daß im Juli 1866 der genannte, weil er von dieser Reise das Ende seines Regiments fürchten mochte, den König Johann zurückzuhalten wußte, als letzterer nach dem Ab¬ schlüsse der preußisch-österreichischen Friedenspräliminarien (deren Art. 5 deu Territorialbestand Sachsens unversehrt ließ) den Vorsatz aussprach, uach Nikols- burg zu eilen, um sich mit dem Sieger zu verständigen und daß jener aus dem nämlichen Beweggrunde auch den weitern Plan hintertrieb, den Kronprinzen mit einem Briefe seines Vaters in das preußische Hauptquartier zu senden, so daß König Wilhelm noch am 4. August bei der Durchreise auf dem Bahnhofe in Görlitz, wo ihn der preußische Civileommissar in Dresden, Landrath v. Wurmb, begrüßte und nach dem Stande der Dinge fragte, sich sehr befremdet äußern konnte, daß er „von dem Könige von Sachsen nicht ein Wort gehört habe". Mit dieser Reminiscenz schließt sich die Kette der vorstehenden Aufzeich¬ nungen; denn wer (wenn nicht etwa „der kleine Pfifsicus"^) ist im Stande zu sagen, ob Graf Bismarck in den Julitagen 1870 an sein vier Jahre früher ab¬ gelegtes Bekenntniß eines begangenen Fehlers unwillkürlich sich erinnert habe? Zu verdenken wäre diese Gedächtnißregung dem Kanzler damals wahr¬ lich nicht gewesen. Gruft Rietschels Jugenderinnerungen.f) Unter den zahlreichen bereits für den Weihnachtsmarkt bestimmten Büchern und Büchlein fällt uns in hübscher Ausstattung eine besondre Ausgabe jeuer S. die Leipziger „Deutsche Allgemeine Zeitung" vom ö. Decbr. und die Wiener „Deutsche Ztg." vom 12. Decbr, 1874. So hat ein geflügeltes Wort Hrn. v. Friesen einmal charakterisiert, wogegen er in den Ministerien unter dem Namen „der kleine Krakehler" bekannt ist. 1') Jugenderinnerungen von Ernst Rietschel. Separatabdruck aus der Bio graphie Rietschels von Andreas Oppermann, Leipzig, F. A. Brockhaus, 1880.

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 39, 1880, Viertes Quartal, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341831_157695/366>, abgerufen am 27.12.2024.