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Die Grenzboten. Jg. 39, 1880, Viertes Quartal.

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nisativn zum Heile der Arbeiterbevölkerung ins Leben rufen will, dann ist es
nicht mehr eine Aufgabe der Wohlthätigkeit, sondern eine Forderung der Pflicht
für alle Arbeitgeber, die Verwirklichung eines so segensreichen Zieles mit allen
Kräften zu erstreben. Eine Industrie, welche nicht im Stande ist, ihren Arbei¬
tern die Lebensbedürfnisse -- und dazu gehört auch die Sicherung der Zukunft
des Arbeiters -- zu gewähren, hat kein Existenzrecht, denn nicht der gesellschaft¬
liche Pauperismus, sondern der Wohlstand der Gesellschaft ist der Zweck aller
gewerblichen Thätigkeit.




Zur Geschichte Sachsens in den Jahren ^866 und ^870 *)
i.

Der ungenannte Verfasser eines "Beitrags zur Geschichte der sächsischen
Politik" im 34. Bande der "Preußischen Jahrbücher" (Novemberheft 1874) glaubt
zu wissen, daß die Zeit der preußisch-sächsischen Friedensverhandlungen im
Sommer 1866 großenteils ausgefüllt worden sei durch Hin-und Herreden über
eine Verzichtleistung der Dynastie auf den sächsischen Thron, und daß Graf
Bismarck den Bevollmächtigten des Königs Johann sofort bessere Bedingungen
>n Aussicht gestellt habe, wenn ein Wechsel der Dynastie eintrete.

Beide Angaben sind irrthümlich, und zwar darf zum Beweise des Irrthums
"uf die damalige Mittheilung des einen dieser Bevollmächtigten, des vormaligen
Gesandten Grafen Hohenthal (der andere Bevollmächtigte war der Staats-
un'nister Frhr. v. Friesen), an ein dem Ersteren nahe verwandtes Mitglied des
preußischen Herrenhauses Bezug genommen werden, zufolge welcher Graf
Bismarck nach den ersten Begrüßungsworten, die er an die sächsischen Friedens¬
unterhändler richtete, wörtlich folgendes geäußert habe: Preußen habe einen
Fehler begangen, als es zu Nikolsburg in die Erhaltung des sächsischen Stants-
wesens willigte; nachdem aber dieser Fehler einmal gemacht sei, werde man



*) Von dem früheren sächsischen Staatsminister Freiherrn von Friesen ist kürzlich unter
dem Titel "Erinnerungen ans meinem Leben" eine Darstellung des Antheils erschienen, den
der Genannte an der politischen Geschichte Sachsens in den letzten 40 Jahren genommen
hat. Wir gedenken das Buch, sobald es unsre Zeit gestattet, zum Gegenstande einer Be¬
sprechung zu macheu, als deren Vorläufer der Abdruck der obenstehenden beiden Aufsätze
dienen mag, die bereits vor sechs Jahren niedergeschrieben, von dem Verfasser aber erst jetzt
zufolge der Veröffentlichung des genannten Werks uns zur Verfügung gestellt wurden.
D. Red.
Grenzboten IV. 1880. 47

nisativn zum Heile der Arbeiterbevölkerung ins Leben rufen will, dann ist es
nicht mehr eine Aufgabe der Wohlthätigkeit, sondern eine Forderung der Pflicht
für alle Arbeitgeber, die Verwirklichung eines so segensreichen Zieles mit allen
Kräften zu erstreben. Eine Industrie, welche nicht im Stande ist, ihren Arbei¬
tern die Lebensbedürfnisse — und dazu gehört auch die Sicherung der Zukunft
des Arbeiters — zu gewähren, hat kein Existenzrecht, denn nicht der gesellschaft¬
liche Pauperismus, sondern der Wohlstand der Gesellschaft ist der Zweck aller
gewerblichen Thätigkeit.




Zur Geschichte Sachsens in den Jahren ^866 und ^870 *)
i.

Der ungenannte Verfasser eines „Beitrags zur Geschichte der sächsischen
Politik" im 34. Bande der „Preußischen Jahrbücher" (Novemberheft 1874) glaubt
zu wissen, daß die Zeit der preußisch-sächsischen Friedensverhandlungen im
Sommer 1866 großenteils ausgefüllt worden sei durch Hin-und Herreden über
eine Verzichtleistung der Dynastie auf den sächsischen Thron, und daß Graf
Bismarck den Bevollmächtigten des Königs Johann sofort bessere Bedingungen
>n Aussicht gestellt habe, wenn ein Wechsel der Dynastie eintrete.

Beide Angaben sind irrthümlich, und zwar darf zum Beweise des Irrthums
"uf die damalige Mittheilung des einen dieser Bevollmächtigten, des vormaligen
Gesandten Grafen Hohenthal (der andere Bevollmächtigte war der Staats-
un'nister Frhr. v. Friesen), an ein dem Ersteren nahe verwandtes Mitglied des
preußischen Herrenhauses Bezug genommen werden, zufolge welcher Graf
Bismarck nach den ersten Begrüßungsworten, die er an die sächsischen Friedens¬
unterhändler richtete, wörtlich folgendes geäußert habe: Preußen habe einen
Fehler begangen, als es zu Nikolsburg in die Erhaltung des sächsischen Stants-
wesens willigte; nachdem aber dieser Fehler einmal gemacht sei, werde man



*) Von dem früheren sächsischen Staatsminister Freiherrn von Friesen ist kürzlich unter
dem Titel „Erinnerungen ans meinem Leben" eine Darstellung des Antheils erschienen, den
der Genannte an der politischen Geschichte Sachsens in den letzten 40 Jahren genommen
hat. Wir gedenken das Buch, sobald es unsre Zeit gestattet, zum Gegenstande einer Be¬
sprechung zu macheu, als deren Vorläufer der Abdruck der obenstehenden beiden Aufsätze
dienen mag, die bereits vor sechs Jahren niedergeschrieben, von dem Verfasser aber erst jetzt
zufolge der Veröffentlichung des genannten Werks uns zur Verfügung gestellt wurden.
D. Red.
Grenzboten IV. 1880. 47
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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 39, 1880, Viertes Quartal, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341831_157695/361>, abgerufen am 27.12.2024.