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Die Grenzboten. Jg. 39, 1880, Viertes Quartal.

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anheimgestellt ist. Der Arbeiter vollends, der vielleicht jahrelang in einer Fabrik
gesponnen, aber aus irgend einem Grnnde veranlaßt worden ist, am Hafen
Arbeit zu suchen und am Lagerhause des Baumwollenhändlers von den: er¬
nährten Unfälle betroffen wird -- gestern hätte er Anspruch aus volle Versor¬
gung gehabt, heute nicht mehr. Die Praxis der Gerichte in Haftpflichtsachen
hat bisher ergeben, daß die Zumessungen im allgemeinen für den Arbeiter zu
reichlich ausgefallen sind. Für diejenigen Fälle des gröbern und thatsächlichen,
concreten Verschuldens, welche wir nunmehr dem Richter für Haftpflichtfacheu
übrig gelassen haben, hat diese Praxis allenfalls Berechtigung. In andern
Fällen ist es Axiom, daß ein Unfall nicht zur Bereicherung führen, ja daß nie¬
mals der wirkliche Schaden so gedeckt werden darf, daß das Interesse an der
Abwendung des Schadens irgend abnehmen konnte. Da in den seltensten Fällen
eine völlige Hilfs- und Erwerbslosigkeit der Geschädigten eintritt, dieselben viel¬
mehr, gestützt auf eine gesicherte Rente, immer noch irgend etwas verdienen
können, so würden als Maxima der Entschädigungen zu empfehlen sein: ein
Drittel des Betrages der bisherige!: Erwerbsfühigkeit oder der Beeinträchtigung
derselben bei gröberen Selbstverschulden, zwei Drittel bei den gewöhnlichen
Unfällen, drei Viertel bei den regreßfühigen Haftpflichtfällen und bei höherer
Gewalt.

In dem Lohne des Arbeiters liegt, wenigstens bei den gegenwärtigen Lohn-
Verhältnissen, nicht der durchschnittliche Ersatz für alle seine Bedürfnisse, also
auch nicht für seine Versicherung, während dies doch theoretisch gefordert werden
müßte. Aus diesem Grunde haben sich auch in den großen Etablissements die
Unternehmer durch regelmäßige und nicht unerhebliche Beiträge für Wohlthütig-
keits- und Versicherungszwecke des Arbeiters angenommen. Wenn nun die Ge¬
meindekassen schon ein Interesse haben, wegen des Unterstützungswohnsitzes und
der Armenlasten ihrerseits das allgemeine Arbeiterversicherungswesen pecuniär
zu unterstützen, um wie viel mehr der Arbeitgeber, welcher den directen Vor¬
theil hat! Diese Beiträge sind keine Almosen, und es muß vermieden werden,
sie als solche aufzufassen, denn überall, wo die Wohlthätigkeit sich in Almosen
kundgiebt, ist die Bevölkerung kraftlos, ausgeartet und lasterhaft. Das Heil¬
bringende der Versicherung ist nicht allein die materielle Hilfe, die gewährt wird;
anch der moralische Vortheil, welcher aus dem energischen Gefühle der per¬
sönlichen Verantwortlichkeit heraus dem Arbeiter erwächst, ist volkswirthschaftlich
nicht hoch genug anzuschlagen. "Die allgemeine Militärpflicht," sagt Hiltrvp,
"hat die Selbständigkeit des Staates, die Schulpflicht die geistige Bildung seinem
Angehörigen geschaffen, die Verhinderungspflicht entreißt dieselben dem Proletariat
durch ihre Arbeit." Wenn nun durch die Staatsgewalt alles geschieht, was
geeignet ist, die Industrie zu fördern, und der Staat selbst eine große Orgn-


anheimgestellt ist. Der Arbeiter vollends, der vielleicht jahrelang in einer Fabrik
gesponnen, aber aus irgend einem Grnnde veranlaßt worden ist, am Hafen
Arbeit zu suchen und am Lagerhause des Baumwollenhändlers von den: er¬
nährten Unfälle betroffen wird — gestern hätte er Anspruch aus volle Versor¬
gung gehabt, heute nicht mehr. Die Praxis der Gerichte in Haftpflichtsachen
hat bisher ergeben, daß die Zumessungen im allgemeinen für den Arbeiter zu
reichlich ausgefallen sind. Für diejenigen Fälle des gröbern und thatsächlichen,
concreten Verschuldens, welche wir nunmehr dem Richter für Haftpflichtfacheu
übrig gelassen haben, hat diese Praxis allenfalls Berechtigung. In andern
Fällen ist es Axiom, daß ein Unfall nicht zur Bereicherung führen, ja daß nie¬
mals der wirkliche Schaden so gedeckt werden darf, daß das Interesse an der
Abwendung des Schadens irgend abnehmen konnte. Da in den seltensten Fällen
eine völlige Hilfs- und Erwerbslosigkeit der Geschädigten eintritt, dieselben viel¬
mehr, gestützt auf eine gesicherte Rente, immer noch irgend etwas verdienen
können, so würden als Maxima der Entschädigungen zu empfehlen sein: ein
Drittel des Betrages der bisherige!: Erwerbsfühigkeit oder der Beeinträchtigung
derselben bei gröberen Selbstverschulden, zwei Drittel bei den gewöhnlichen
Unfällen, drei Viertel bei den regreßfühigen Haftpflichtfällen und bei höherer
Gewalt.

In dem Lohne des Arbeiters liegt, wenigstens bei den gegenwärtigen Lohn-
Verhältnissen, nicht der durchschnittliche Ersatz für alle seine Bedürfnisse, also
auch nicht für seine Versicherung, während dies doch theoretisch gefordert werden
müßte. Aus diesem Grunde haben sich auch in den großen Etablissements die
Unternehmer durch regelmäßige und nicht unerhebliche Beiträge für Wohlthütig-
keits- und Versicherungszwecke des Arbeiters angenommen. Wenn nun die Ge¬
meindekassen schon ein Interesse haben, wegen des Unterstützungswohnsitzes und
der Armenlasten ihrerseits das allgemeine Arbeiterversicherungswesen pecuniär
zu unterstützen, um wie viel mehr der Arbeitgeber, welcher den directen Vor¬
theil hat! Diese Beiträge sind keine Almosen, und es muß vermieden werden,
sie als solche aufzufassen, denn überall, wo die Wohlthätigkeit sich in Almosen
kundgiebt, ist die Bevölkerung kraftlos, ausgeartet und lasterhaft. Das Heil¬
bringende der Versicherung ist nicht allein die materielle Hilfe, die gewährt wird;
anch der moralische Vortheil, welcher aus dem energischen Gefühle der per¬
sönlichen Verantwortlichkeit heraus dem Arbeiter erwächst, ist volkswirthschaftlich
nicht hoch genug anzuschlagen. „Die allgemeine Militärpflicht," sagt Hiltrvp,
„hat die Selbständigkeit des Staates, die Schulpflicht die geistige Bildung seinem
Angehörigen geschaffen, die Verhinderungspflicht entreißt dieselben dem Proletariat
durch ihre Arbeit." Wenn nun durch die Staatsgewalt alles geschieht, was
geeignet ist, die Industrie zu fördern, und der Staat selbst eine große Orgn-


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[0360] anheimgestellt ist. Der Arbeiter vollends, der vielleicht jahrelang in einer Fabrik gesponnen, aber aus irgend einem Grnnde veranlaßt worden ist, am Hafen Arbeit zu suchen und am Lagerhause des Baumwollenhändlers von den: er¬ nährten Unfälle betroffen wird — gestern hätte er Anspruch aus volle Versor¬ gung gehabt, heute nicht mehr. Die Praxis der Gerichte in Haftpflichtsachen hat bisher ergeben, daß die Zumessungen im allgemeinen für den Arbeiter zu reichlich ausgefallen sind. Für diejenigen Fälle des gröbern und thatsächlichen, concreten Verschuldens, welche wir nunmehr dem Richter für Haftpflichtfacheu übrig gelassen haben, hat diese Praxis allenfalls Berechtigung. In andern Fällen ist es Axiom, daß ein Unfall nicht zur Bereicherung führen, ja daß nie¬ mals der wirkliche Schaden so gedeckt werden darf, daß das Interesse an der Abwendung des Schadens irgend abnehmen konnte. Da in den seltensten Fällen eine völlige Hilfs- und Erwerbslosigkeit der Geschädigten eintritt, dieselben viel¬ mehr, gestützt auf eine gesicherte Rente, immer noch irgend etwas verdienen können, so würden als Maxima der Entschädigungen zu empfehlen sein: ein Drittel des Betrages der bisherige!: Erwerbsfühigkeit oder der Beeinträchtigung derselben bei gröberen Selbstverschulden, zwei Drittel bei den gewöhnlichen Unfällen, drei Viertel bei den regreßfühigen Haftpflichtfällen und bei höherer Gewalt. In dem Lohne des Arbeiters liegt, wenigstens bei den gegenwärtigen Lohn- Verhältnissen, nicht der durchschnittliche Ersatz für alle seine Bedürfnisse, also auch nicht für seine Versicherung, während dies doch theoretisch gefordert werden müßte. Aus diesem Grunde haben sich auch in den großen Etablissements die Unternehmer durch regelmäßige und nicht unerhebliche Beiträge für Wohlthütig- keits- und Versicherungszwecke des Arbeiters angenommen. Wenn nun die Ge¬ meindekassen schon ein Interesse haben, wegen des Unterstützungswohnsitzes und der Armenlasten ihrerseits das allgemeine Arbeiterversicherungswesen pecuniär zu unterstützen, um wie viel mehr der Arbeitgeber, welcher den directen Vor¬ theil hat! Diese Beiträge sind keine Almosen, und es muß vermieden werden, sie als solche aufzufassen, denn überall, wo die Wohlthätigkeit sich in Almosen kundgiebt, ist die Bevölkerung kraftlos, ausgeartet und lasterhaft. Das Heil¬ bringende der Versicherung ist nicht allein die materielle Hilfe, die gewährt wird; anch der moralische Vortheil, welcher aus dem energischen Gefühle der per¬ sönlichen Verantwortlichkeit heraus dem Arbeiter erwächst, ist volkswirthschaftlich nicht hoch genug anzuschlagen. „Die allgemeine Militärpflicht," sagt Hiltrvp, „hat die Selbständigkeit des Staates, die Schulpflicht die geistige Bildung seinem Angehörigen geschaffen, die Verhinderungspflicht entreißt dieselben dem Proletariat durch ihre Arbeit." Wenn nun durch die Staatsgewalt alles geschieht, was geeignet ist, die Industrie zu fördern, und der Staat selbst eine große Orgn-

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 39, 1880, Viertes Quartal, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341831_157695/360>, abgerufen am 28.12.2024.